Handball:Zukunft erneut vertagt

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Sieben Spiele, vier Siege: Zu selten tritt das deutsche Team um Turnierdebütantin Nina Engel so dominant auf wie beim 35:16 zum EM-Abschluss gegen Slowenien. (Foto: Marco Wolf/dpa)

Die deutsche Handball-Auswahl der Frauen stagniert. Rang sieben bei der EM weist auf das Grundproblem: Zwischen dem Potenzial des Teams und der Platzierung besteht seit Jahren eine Diskrepanz.

Von Ulrich Hartmann

„Heute haben wir gesehen, wie hart wir noch arbeiten müssen, um auch die Topteams schlagen zu können“, sagte die slowenische Handballerin Tjasa Stanko nach der 16:35-Niederlage gegen Deutschland. Hätten die deutschen Spielerinnen das gehört, dann hätten sie gesagt: Moment, Topteam, wer, wir?

„Leider haben wir bei dieser EM nicht die Leistungen abrufen können, die wir brauchen, um auch die großen Teams zu schlagen“, sagte die deutsche Rückraumspielerin Mareike Thomaier nach dem Erfolg im letzten deutschen Spiel bei der Europameisterschaft. Weder der haushohe Sieg noch die Aussage der Slowenin Stanko konnten darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland auch bei diesem Turnier kein Topteam war. Gegen die großen Handballnationen setzte es klare Niederlagen beim 22:29 gegen die Niederlande, beim 22:30 gegen Dänemark und beim 27:32 gegen Norwegen. Darüber trösteten die deutlichen Siege gegen die Ukraine, Island, die Schweiz und Slowenien nur sehr bedingt hinweg. Am Ende blieb für das deutsche Team nur der siebte Platz.

Deutsche Handballerinnen
:An der Abwehr lag es nicht

Xenia Smits ist eine der besten Abwehrspielerinnen bei der EM, sie blockt die meisten Würfe – trotzdem ist für die Deutschen bereits in der Hauptrunde Schluss. Der Abstand zu den Topnationen ist deutlich zu groß.

Ulrich Hartmann

Größe ist immer eine Sache der Perspektive. Für die Sloweninnen war Deutschland am Mittwoch ein großes Team – aber für Deutschland sind die wirklich großen Teams Norwegen, Frankreich und Dänemark. Zu dieser Gruppe würde die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) schon seit einigen Jahren gern aufschließen, aber es hat bis jetzt einfach nicht geklappt. Mal war sie in den jährlich alternierenden EM- und WM-Turnieren näher dran am Halbfinale, mal weniger nah. Diesmal eindeutig weniger.

Dass der erst seit drei Monaten im Amt befindliche neue Sportdirektor Ingo Meckes hinterher grinsend sagte, „wir laufen nicht Gefahr, in irgendeiner Weise abzuheben“, darf man wohl unter schwäbischem Humor verbuchen. Dem zuvor lange Zeit in der Schweiz tätigen Handballmanager sei überdies verziehen, dass er sich zu einem Satz hinreißen ließ, den man so oder ähnlich in den vergangenen Jahren auch schon viel zu oft gehört hat über deutsche Handballerinnen. Meckes sagte: „Ich glaube, dass wir einiges Potenzial haben.“ Denn genau darum geht es ja seit Jahren: Wann sich all das Potenzial endlich in einer wirklich guten Platzierung bei einem großen Turnier niederschlägt.

Verbandspräsident Andreas Michelmann kritisierte am Mittwochabend, dass die Spielerinnen mit großen Ambitionen hohe Erwartungen selbst geschürt hatten. „Manchmal wünschte ich mir, wir würden vor den Turnieren nicht so viele Sprüche machen, sondern die Leistung – so wie gegen Slowenien – auf dem Parkett abliefern“, sagte Michelmann: „Vielleicht müssten wir vor einem Turnier zurückhaltender sein.“

Das Problem sind nicht die Spielerinnen,  sondern die Strukturen

Die Mannschaft und ihr Abschneiden sowie den Bundestrainer Markus Gaugisch nahm der Präsident allerdings explizit in Schutz: „Die Leistungen gegen die Niederlande, Dänemark und Norwegen sind die Ergebnisse aus 20 Jahren Nicht-Entwicklung im Deutschen Handballbund – dafür können wir den Spielerinnen und dem Trainer keinen Vorwurf machen.“ Man müsse endlich Strukturen schaffen, mit denen man mit den besten Nationen mithalten könne.

Binnen eines Jahres nun wird sich strukturell allerdings nicht genug ändern können, damit die deutschen Spielerinnen bei der Heim-WM in Deutschland und den Niederlanden vom 26. November bis 14. Dezember 2025 schon Weltklasse sein könnten. Michelmann stellt sich im Idealfall trotzdem vor, dass das Team mit dem nötigen Rückhalt der großen Kulissen in der Vorrunde in Stuttgart und von der Hauptrunde an in Dortmund das finale Wochenende in Rotterdam erreichen kann. „Bei den Fußballern hätte ein Dreivierteljahr vor der Heim-EM auch niemand einen Cent darauf gesetzt, dass die dann so eine EM abliefern“, sagt Michelmann: „So ein Heim-Turnier ist ja immer noch mal eine andere Nummer.“

Nach der EM, in der es den deutschen Spielerinnen unter anderem an Abgezocktheit im Torabschluss mangelte, richten sich die Hoffnungen auch auf die jungen Rückraumspielerinnen Viola Leuchter, 20, und Nina Engel, 21. Die Ludwigsburgerin Leuchter hat bei der EM krankheitsbedingt die meisten Spiele verpasst, dann sprang die Bensheimerin Engel in die Bresche. „Ich hoffe, dass wir bei der WM nächstes Jahr eine Menge Leute begeistern können“, sagt Nina Engel und liefert mit dieser Hoffnung einen Satz, an dem nicht mal der Präsident etwas auszusetzen haben kann.

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:"In der Mannschaft steckt unheimlich viel Potenzial"

1993 holten Deutschlands Handballerinnen WM-Gold. Andrea Bölk war Teil des Teams - nun kämpft ihre Tochter Emily um WM-Medaillen. Ein Gespräch über die deutschen Chancen, die mangelnde TV-Präsenz des Sports und das Leben in einer Sportfamilie.

Interview von Ulrich Hartmann

„Warum haben wir nie mehr erreicht?“

Seit 2008 (EM, Platz vier) haben es Deutschlands Handballerinnen bei Europa- und Weltmeisterschaften in kein Halbfinale mehr geschafft. Gesammelte Reaktionen aus 16 Jahren:

„Da wäre ein Psychologe gefragt.“ (Bundestrainer Rainer Osmann nach dem Vorrunden-Aus bei der EM 2010)

„Wir waren einfach nicht gut genug.“ (Bundestrainer Heine Jensen nach dem 17. Platz bei der WM 2011)

„Wir haben am Ende den Kopf verloren.“ (Spielerin Laura Steinbach nach der Viertelfinal-Niederlage gegen Dänemark bei der WM 2013)

„Wenn man die ganzen letzten Jahre betrachtet und all das Potenzial, das wir in dieser Mannschaft hatten und haben, dann fragt man sich schon manchmal: Warum haben wir eigentlich nie mehr erreicht?“ (Spielerin Anja Althaus nach dem zehnten Platz bei der EM 2014)

„Diese junge deutsche Mannschaft wird noch von sich reden machen.“ (Norwegens Trainer Thorir Hergeirsson nach dem Sieg im Achtelfinale gegen Deutschland bei der WM 2015)

„Das ist krachend danebengegangen.“ (Sportdirektor Wolfgang Sommerfeld nach der Niederlage im Achtelfinale gegen Dänemark bei der Heim-WM 2017)

„Mit ein bisschen Zeit wird sicher etwas werden aus unserer Mannschaft.“ (Spielerin Emily Bölk nach dem neunten Platz bei der EM 2018)

„Das war einfach nur peinlich.“ (Torhüterin Dinah Eckerle nach der 24:35-Niederlage gegen Schweden im Spiel um Platz 7 bei der WM 2019)

„Der Frauenhandball ist bei uns 20 Jahre lang stiefmütterlich behandelt worden, es fehlt an struktureller Stabilität.“ DHB-(Präsident Andreas Michelmann nach dem siebten Platz bei der EM 2020)

„Leider kenne ich diese Situation nur allzu gut.“ (Spielerin Meike Schmelzer nach der Viertelfinal-Niederlage gegen Schweden bei der WM 2023)

„Dieses Turnier könnte geholfen haben zu erkennen: Okay, im Moment sind wir auf Rang sieben und nicht auf Rang drei.“ DHB-(Präsident Andreas Michelmann nach dem siebten Platz bei der EM 2024)

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