Heidenheim in der Bundesliga:Abstiegskampf nach Art des Hauses

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Feuer unterm Dach: Frank Schmidt spricht mit Leonardo Scienza vor seiner Einwechslung gegen Kiel. (Foto: Roger Bürke/Eibner/Imago)

Die kommenden Wochen werden hart für den 1. FC Heidenheim. Aber Trainer Frank Schmidt bekommt „Eigenbefindlichkeiten“ in den Griff – und ein neuer Stürmer kommt rechtzeitig in Torlaune.

Von Sebastian Leisgang, Heidenheim

Das Spiel war gespielt, und Frank Schmidt sagte einen Satz, der sich nun hervorragend aus dem Kontext reißen ließe: „Schmidt spricht von der Meisterschaft!“ Als der Trainer des 1. FC Heidenheim am Sonntagabend nach dem 3:1 gegen Holstein Kiel darauf angesprochen wurde, dass seine Mannschaft nach dem letzten Tor gejubelt habe, als wäre sie jetzt deutscher Meister, lautete seine Antwort: „Ach, ist es nicht so? Sind wir nicht deutscher Meister?“

Nein, in Heidenheim sind sie nicht größenwahnsinnig geworden. Schmidts Bemerkung war natürlich nur ein Scherz, eine beiläufige Äußerung, aus der Situation heraus geboren. Und doch ließ sich gerade dieser Randnotiz entnehmen, wie es dieser Tage um die Seele von Schmidt und seiner Mannschaft bestellt ist: Nach dem 1:1 bei der TSG Hoffenheim und dem 3:1 gegen Kiel ist nicht nur die Zuversicht in Heidenheim zurück – es ist sogar wieder ein Hauch von Leichtigkeit eingekehrt.

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„Wenn wir das Spiel verloren hätten, wäre es extrem schwer geworden, den Glauben aufrechtzuerhalten“, gestand Schmidt. Aber jetzt, nach dem fünften Sieg dieser Saison, steht all das, was die Heidenheimer sagen, erklären und beteuern, nicht mehr gleich unter dem Verdacht, bloß noch Zweckoptimismus zu sein. Nach der Länderspielpause heißen die Gegner zwar VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen, Eintracht Frankfurt, Bayern München und VfB Stuttgart, doch Abwehrspieler Marnon Busch sagte nach dem Duell mit Kiel: „Mit so einer Leistung geht einiges. Da können wir auch sehr große Mannschaften ärgern.“

Reicht die Form, um auch gegen Spitzenmannschaften zu punkten? Der Nachweis steht noch aus

Der Nachweis, dass der Vortrag vom Sonntag wirklich genügen würde, um selbst gegen Spitzenmannschaften zu punkten, wäre zwar erst noch zu erbringen. Zwei Erkenntnisse aus den 90 Minuten können Heidenheim aber tatsächlich Mut machen. Die erste: Wenn es schon nichts mit der Meisterschaft wird, so lässt sich zumindest der Abstiegskampf auch nach Art des Hauses bewältigen.

Selbst in der Not blieb der FCH in den vergangenen Wochen seinen Prinzipien treu. Als Leo Scienza beim Abschlusstraining vor dem Hoffenheim-Spiel vor einer Woche „Eigenbefindlichkeiten“ gezeigt haben soll, wie Schmidt später verriet, hieß das: Für Scienza ist kein Platz im Kader. Weil die Einheit auf der Ostalb noch größer geschrieben wird als an anderen Bundesliga-Standorten, sucht der FCH das Glück auch in seiner unglücklichen Lage auf die Heidenheimer Weise – und nimmt es sogar in Kauf, sich in Sachen individueller Qualität selbst zu schwächen.

Am Sonntag stand Scienza dann wieder im Aufgebot und erlebte aus nächster Nähe mit, was nun als zweite Botschaft über dem Kiel-Spiel steht: Der FCH hat wieder einen Torjäger – Budu Zivzivadze, im Winter aus Karlsruhe gekommen und nach seinem Treffer in Sinsheim nun auch am Sonntag einer der Torschützen neben Marvin Pieringer und Sirlord Conteh.

Budu Zivzivadze lebt sich langsam aber sicher in Heidenheim ein – und trifft. (Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Zivzivadze benötigte zwar eine gewisse Anlaufzeit, aber jetzt kommt er mehr und mehr in Tritt. „Er lacht mittlerweile mehr. Ich fühle auch, dass er jetzt angekommen und noch einen Tick besser integriert ist“, sagte Schmidt und warf dann einen Blick in die Heidenheimer Vereinsannalen: „Wenn ich an die ganzen Jahre zurückdenke: Bis auf Tim Kleindienst haben sich alle, wirklich alle Offensivspieler mindestens ein halbes Jahr schwergetan, hier anzukommen.“ Eine Diagnose, die vor allem damit zu tun hat, dass Schmidt von seinen Stürmern nicht nur fordert, Tore zu schießen, sondern auch „bedingungslose Verteidiger zu sein“.

Diesem Anspruch werden beileibe nicht alle von Schmidts Schülern auf Anhieb gerecht, Zivzivadze kommt nun aber immer besser zurecht. „Er ist einer, der – ähnlich wie Tim Kleindienst – extrem viel unterwegs ist und für die Mannschaft arbeitet“, sagte am Sonntag sein Mannschaftskollege Busch, „aber ich will gar keinen Vergleich mit Tim ziehen, weil das Budu nicht gerecht werden würde.“ Schließlich hat Kleindienst in Heidenheim Maßstäbe gesetzt. Inzwischen ist er einer der besten Mittelstürmer Deutschlands und sogar Nationalspieler; aus Heidenheimer Sicht aber leider auch: Gladbacher. Zivzivadze dagegen würde selbst dann keinen Anruf von Bundestrainer Julian Nagelsmann erhalten, wenn er Heidenheim doch noch zur Meisterschaft schießen sollte. Das könnte zwar auch damit zu tun haben, dass Zivzivadze Georgier ist, aber allzu groß wäre der Bedarf beim DFB derzeit ohnehin nicht.

In Heidenheim ist das anders. Für den FCH könnte Zivzivadze der Trumpf in einem Abstiegskampf werden, in dem es nach neuer Definition schon ein Erfolg wäre, wenn am Ende zwei Mannschaften hinter Heidenheim landen würden. „Wir haben jetzt als Ziel ausgegeben, in die Relegation zu kommen“, sagte Schmidt am Sonntag. Dieses Mal grinste er nicht.

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