Abschied des Managers:Wie Heidel die Lust an Schalke verlor

Christian Heidel beim Bundesliga-Spiel Schalke 04 gegen den VfL Wolfsburg

Nicht mehr auf Schalke: Christian Heidel.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Nach dem Rücktritt von Christian Heidel plant Schalke offenbar mit dem Ex-Leverkusener Jonas Boldt als Nachfolger.
  • Trainer Tedesco verliert mit Heidel einen seiner größten Fürsprecher im Verein.
  • Heidels Rücktrittsentscheidung reifte bereits im Winter. Er hält manche Schalker Ziele für eine Illusion.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Im vorigen Sommer, als der Himmel über Schalke noch vizemeisterlich königsblau strahlte, hat Christian Heidel den Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies von seiner Ansicht wissen lassen, dass der Verein im sportlichen Management Verstärkung bräuchte. Man müsse sich "breiter aufstellen", um die komplexen Aufgaben zu bewältigen. Heidels Vorstellung bestand darin, einen für das Profiteam zuständigen Sportdirektor zu installieren, während er sich als Sportvorstand den vielen weiteren Aufgaben im Verein widmen würde, unter anderem dem kostspieligen Umbau des Vereinsgeländes.

Ein Kandidat für den neuen Posten war der Leverkusener Manager Jonas Boldt, der allerdings von seinem Klub soeben befördert worden war und begründete Hoffnung hatte, dass sich die Dinge bei Bayer 04 in der neuen Saison fortschrittlich entwickeln würden. Auch deshalb wurde auf Schalke die Idee vom Sportdirektor bis auf Weiteres vertagt. Offenbar sah keine der handelnden Personen die Einrichtung des Postens als dringend an. Es herrschte, wie erwähnt, optimistische Stimmung in Gelsenkirchen.

Von dieser Zuversicht ist nun nicht mehr viel mehr übrig, und das liegt nur zum Teil am Zustand der Mannschaft, die beim 0:3 in Mainz den sportlichen Tiefpunkt einer an Tiefpunktmomenten nicht armen Saison erreichte. Die desolate Verfassung der Mannschaft geriet jedoch erst mal in den Hintergrund der Debatte, nachdem Heidel im Anschluss ans Spiel eher geschäftsmäßig als tief bewegt mitteilte, dass er zu Beginn der Woche sein Engagement in Schalke gekündigt habe. Der bis Sommer 2020 laufende Vertrag wurde bereits aufgelöst, formell wird er sein Amt bis Juni behalten, faktisch beendete er seine Tätigkeit mit der Bekanntgabe der Demission am Wochenende.

"Mit mir muss niemand über Abfindung reden, ich will kein Geld, ich will gar nichts."

Die Tatsache, dass der 55-jährige Manager dies in Mainz verkündete, wo er ein Vierteljahrhundert wie ein Baumeister daran gearbeitet hatte, einen kleinen Zweitligaklub in einen soliden Erstligisten zu verwandeln, ergab eine ironische Pointe am Rande. Heidels Werk in Mainz hatte das Schalker Oberhaupt Tönnies glauben lassen, dass ihm so eine große Komposition auch in Gelsenkirchen gelingen könnte, aus dieser Überzeugung verabschiedete er den langjährigen Amtsinhaber Horst Heldt, der mit Schalke manche Krise durchgemacht, aber regelmäßig die Teilnahme am Europacup erreicht hatte.

Und nun endete das große Projekt mit Christian Heidel just dort, wo es begonnen hatte, und wie zum Beweis seiner endgültigen Abkehr blieb der Manager auch gleich in seiner rheinhessischen Heimatstadt, während der sichtlich geschockte Domenico Tedesco mit seinem Team allein den Weg ins Ruhrgebiet antrat. Der Trainer weiß, dass es um ihn jetzt sehr viel einsamer geworden ist, Heidels Schutz entfällt ab sofort. Er stünde Schalke "noch mit Rat und Tat zur Verfügung, aber nicht mehr an der vordersten Front", sagte Heidel. Sobald ein Nachfolger gefunden sei, werde er sich zurückziehen, "das ist auch die Intention des Klubs".

Dass Jonas Boldt, 34, womöglich schon in Kürze die sportlichen Geschäfte übernehmen könnte, ist eine naheliegende Spekulation, die am Wochenende auch allenthalben diskutiert wurde (die alternative Variante Klaus Allofs muss zurzeit noch als unrealistisch gelten). Der Weg wäre frei, im November hatte Boldt die Arbeit in Leverkusen eingestellt, nachdem sich die Dinge dort ganz anders entwickelt hatten, als er sich das vorgestellt hatte. Aber nun sind auch die Voraussetzungen auf Schalke ganz andere als zunächst besprochen.

Große Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität

Ein Duett und eine Arbeitsteilung mit Heidel, den Boldt seit vielen Jahren kennt, wird es in Gelsenkirchen nicht geben. Traut sich Boldt den Job zu, wenn er dort gleich an vorderster Front antreten müsste, in einer sehr speziellen und aggressiven Medienöffentlichkeit, die selbst den erfahrenen Heidel aus der Fassung brachte? Heidel beschrieb Boldt als "sehr, sehr guten Mann", aber die Suche nach dem Nachfolger sei nicht mehr seine Sache. Auch da war schon viel innere Distanz zu seinem quasi bereits vormaligen Arbeitgeber zu spüren.

Der Entschluss, den Verein zu verlassen, ist auch alles andere als eine spontane Reaktion auf die zugespitzte sportliche Lage und die Kritik, die sich wegen der Einkaufspolitik und Kaderzusammenstellung zuletzt auf ihn konzentrierte und in Teilen kampagnenhafte Züge trug. Zwar begründete Heidel seinen Schritt mit dem Eindruck, er sei "ein bisschen der Grund, warum Unruhe auf Schalke herrscht", weshalb er der Meinung sei, "ein Zeichen setzen und die Verantwortung tragen" zu müssen. Doch die Idee zu kündigen hatte bereits im Winter Gestalt angenommen, wie er am Samstag verriet.

Schon während der Winterpause gab es Gerüchte, dass Heidel im Sommer nach Mainz zurückkehren werde. Nicht, um sich seinem alten Klub anzuschließen, sondern - vorerst - als Privatmann. Christian Heidel hatte, prägnant formuliert, die Lust an der Aufgabe auf Schalke verloren, wo seiner Ansicht nach aufgrund der finanziellen Verhältnisse eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität besteht. Die im Verein herrschende Erwartung, in der Liga der logische Anwärter auf den Platz hinter dem FC Bayern und Borussia Dortmund zu sein, hält Heidel offenbar für eine Illusion. Und wo es ums auf Schalke stets knappe Geld geht: In eigener Sache wählt Heidel ein Ende, das in der Profibranche nicht üblich ist. Auf eine mögliche Entschädigung für die Vertragsauflösung werde er verzichten, ließ er Tönnies wissen: "Mit mir muss niemand über Abfindung reden, ich will kein Geld, ich will gar nichts."

Während Heldt vor drei Jahren in einem traditionell sentimentalen Festakt mit dem Applaus der Fankurve und unter Tränen auf Wiedersehen sagte, dürfte die Verabschiedung von Heidel weniger emotional werden - eine Folge der verschiedenartigen Mentalitäten zwischen den Beteiligten. Schon in Mainz hörte es sich manchmal an, als hätte Heidel die Wandlung zum Ex-Schalker bereits vollzogen. Er wisse nicht, ob die Mannschaft den Abstiegskampf beherrsche, sagte er: "Aber sie wird es müssen."

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