Handball-BundesligaEin isländischer Nationalspieler unter dem Christbaum

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Das hat wehgetan: Marek Nissen hatte sich für die Partie das Haupthaar extra blau färben lassen (die Erlanger Vereinsfarben sind blau-rot), dann setzte es gegen Lemgo eine deftige Niederlage.
Das hat wehgetan: Marek Nissen hatte sich für die Partie das Haupthaar extra blau färben lassen (die Erlanger Vereinsfarben sind blau-rot), dann setzte es gegen Lemgo eine deftige Niederlage. (Foto: Daniel Marr/Sportfoto Zink/Imago)

Der HC Erlangen reagiert auf die anhaltende sportliche Talfahrt und verstärkt den Kader mit Viggo Kristjansson aus Leipzig. Er soll nicht der letzte Zugang bleiben – und Aufsichtsratsboss Carsten Bissel verspricht auf der Weihnachtsfeier den Klassenerhalt.

Von Ralf Tögel

Es ist immer ein besonderer Termin, wenn die Erlanger Handballer zum letzten Punktspiel des Jahres laden. Dann werden alle Zuschauer gebeten, in schwarzer Kleidung zu erscheinen, denn die „Black Night“ hat Tradition beim Erstligisten. Im Anschluss an das Spiel erscheinen alle Profis vor den Sponsoren und Gönnern im Vip-Bereich zur Versteigerung ihrer Trikots. Stolze 81 500 Euro brachte diese Aktion diesmal ein, Geld, das vollumfänglich der Nachwuchsarbeit des Klubs zugutekommt. Damit sich fürderhin viele Spieler wie Eigengewächs Tim Gömmel dort entwickeln mögen. Das ist der Weg, den die Erlanger im Ringen mit den finanziell potenteren Konkurrenten in der weltweit besten Liga eingeschlagen haben.

Der Rechtsaußen Gömmel hatte sich in jüngerer Vergangenheit so prächtig gemacht, dass ihn seine Leistungen sogar in den vorläufigen Kader von Bundestrainer Alfred Gislason für die WM im Januar brachten. Eine Bestätigung für Spieler und Klub, auch wenn der 19-Jährige erwartungsgemäß der Reduzierung des WM-Kaders auf 15 Spieler zum Opfer fiel. Dass Gömmel bei all den guten Nachrichten bei der Erlanger Trikot-Versteigerung kein Lächeln über das Gesicht huschen wollte, lag an den 60 Spielminuten davor, denn da hatte der HC Erlangen eine bitterböse Heimpleite gegen den TBV Lemgo-Lippe einstecken müssen. Die Halle war zum zweiten Mal in dieser Saison mit 8400 Zuschauern ausverkauft, sportlich wurden die Erlanger diesem Zuspruch nicht gerecht: Das 19:28 gegen Lemgo muss man als vorläufigen Tiefpunkt interpretieren, da die halbe Saison gespielt ist. Die Jahresabschlusspartie in Magdeburg war wegen des Anschlags auf dem Weihnachtsmarkt verschoben worden. Folglich gehen die Erlanger – passend zu ihrem Motto – mit schwarzen Gedanken in die WM-Pause.

Erlangens Trainer Martin Schwalb spricht nach der Pleite von einem „richtigen Drecksspiel“

Selbst Trainer Martin Schwalb, seines Zeichens als Spieler wie als Übungsleiter mit allen erdenklichen Titeln ausgestattet und unverbesserlicher Berufsoptimist, sprach sichtlich ernüchtert von einem „richtigen Drecksspiel“. Die Mannschaft habe sich „so viel vorgenommen“, gegen die sehr strukturierten und clever agierenden Gäste aus dem Lipperland war das aber nur in kurzen Phasen jeweils zu Beginn der beiden Halbzeiten umzusetzen. Kämpferisch war dem Team einmal mehr kein Vorwurf zu machen, Kapitän Christopher Bissel oder Routinier Marko Bezjak warfen sich derart ins Getümmel, dass sie jenseits der Bande landeten und man um ihre Gesundheit fürchten musste.

Wie man aus begrenzten Möglichkeiten das Optimum herausholt, zeigten allein die Gäste, die eine robuste Abwehr stellten und im Angriff geduldig ihr Pensum herunterspielten. Meist schickte Lemgo-Coach Florian Kehrmann für den Torhüter den siebten Feldspieler aufs Parkett, der Ball lief vom österreichischen Nationalspieler Lukas Hutecek orchestriert zwischen den Rückraumspielern schnell hin und her, oft am Rande des Zeitspiels, ehe am Kreis oder auf Außen die Lücke gefunden wurde. Lemgo hat ebenfalls keine ganz großen Namen im Kader, weiß aber seine Mittel gewinnbringend einzusetzen.

Aus Erlanger Sicht war die Partie eine Blaupause der bisher gespielten Saisonhälfte, die Abwehr stand passabel, aber es genügten zwei, drei Fehlleistungen, um dem Erlanger Angriff jede Durchschlagskraft und den Spieler das Selbstvertrauen zu rauben. Beim 11:13 schien der HCE nach anfänglich großem Rückstand zurück im Spiel, dann prellte sich U21-Weltmeister Stefan Seitz den Ball an den eigenen Fuß, Antonio Metzner, mit sechs Treffern wie Kapitän Christopher Bissel bester Schütze, scheiterte am österreichischen Nationaltorhüter Constantin Möstl. Als auch noch Möstls Erlanger Nationalteam-Kollege Tobias Wagner völlig frei verwarf, schienen die Gastgeber fortan wie gelähmt. Jeder Spieler gab die Verantwortung mit einem Pass zum Nebenmann weiter, keiner suchte eine Entscheidung, Hauptsache keinen weiteren Fehler machen. In einer qualitativ derart gut besetzten Liga ist das schlichtweg ungenügend.

„Uns fehlt mental der Touch“: HCE-Kapitän Christopher Bissel hielt sein Team mit seinen Siebenmetertoren bis zu Beginn der zweiten Halbzeit im Spiel, dann zogen die Gäste davon.
„Uns fehlt mental der Touch“: HCE-Kapitän Christopher Bissel hielt sein Team mit seinen Siebenmetertoren bis zu Beginn der zweiten Halbzeit im Spiel, dann zogen die Gäste davon. (Foto: Daniel Marr/Sportfoto Zink /Imago)

„Man hat heute wieder gesehen, dass uns mental der Touch fehlt“, erklärte Spielführer Bissel: „Jeder will, jeder versucht alles, aber wir bekommen keine Abschlüsse hin und dann ist die Leichtigkeit weg.“ Es fehle an Kontinuität, an einer Spielidee – was das ausmacht, habe man am Gegner gesehen, der seit Jahren im Kern zusammenspiele: „Da weiß jeder, was er zu tun hat.“ Immerhin weiß Bissel in Trainer Schwalb den idealen Mann an der Kommandostelle, um diesen verunsicherten Haufen wieder auf Kurs zu bringen.

Zur Wahrheit gehört auch, dass in Sander Overjordet und Christoph Steinert zwei der Besten verletzt fehlten. Der norwegische Nationalspieler kuriert in der Heimat eine Herzmuskelentzündung aus. Steinert ist nach seinem beim Nationalteam erlittenen Mittelhandbruch auf dem Weg der Besserung und hofft, rechtzeitig zur WM wieder fit zu sein – dass er dort nach der Verletzung gleich wieder teilnehmen will, stößt bei seinem Arbeitgeber dem Vernehmen nach nicht auf ungeteilte Begeisterung.

Der HCE hat natürlich erkannt, wie brisant die Lage ist, und sich in dem Linkshänder Viggo Kristjansson zum Fest selbst beschert. Der isländische Nationalspieler wird zwar wie Steinert und Wagner die WM spielen, ist aber genau der Spielertyp, der Erlangen fehlt: Der 31-Jährige kann ein Spiel lenken, ist abwehrstark und torgefährlich, einer, der die richtigen Entscheidungen trifft und die Kollegen mitreißen kann. Außerdem sind die Verantwortlichen intensiv auf der Suche nach einer weiteren Verstärkung für den linken Rückraum. Kristjansson kommt aus Leipzig und war den Erlangern eine niedrige sechsstellige Ablöse wert, die der finanziell angeschlagene Konkurrent gut brauchen kann. Zudem wird Stephan Seitz zu den Sachsen wechseln, um dort mehr Spielzeit zu bekommen.

Erst zur Weltmeisterschaft, dann zum HC Erlangen: Der isländische Nationalspieler  Viggo Kristjansson wechselt aus Leipzig nach Franken.
Erst zur Weltmeisterschaft, dann zum HC Erlangen: Der isländische Nationalspieler  Viggo Kristjansson wechselt aus Leipzig nach Franken. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Möglich macht die Verstärkungen ein Sponsor, überhaupt stehen die Erlanger wirtschaftlich blendend da. Aufsichtsratschef Carsten Bissel hatte den Klub vor 14 Jahren auf Vermittlung des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann, der ebenfalls im Aufsichtsrat sitzt, übernommen und vor der Insolvenz gerettet. Mittlerweile ist die Heimat des Vereins die Metropolregion Nürnberg, die Zuschauerzahlen sind gut wie nie. Vorbei die Zeiten, als eine Tribüne hinter dem Tor mit einer großen Plane abgedeckt wurde. Trotz der sportlichen Lage war die Stimmung erneut blendend: Die 8400 Zuschauer feuerten ihr Team eisern bis zur Schlusssirene an, kein Pfiff war zu hören, kein Fan verließ die Halle trotz der Aussichtslosigkeit unten auf dem Parkett vorzeitig.

„Obwohl wir so schlecht spielen, hätten wir auch 15 000 Karten verkaufen können“, sagte HCE-Boss Bissel. Dann nahm er das Mikrofon in die Hand, auch das hat Tradition bei der Trikot-Versteigerung, und sagte: „Wir werden nicht absteigen. Das verspreche ich.“

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