Kai Havertz:Der neue Zehner

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Kai Havertz im Spiel gegen Russland. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Beim 3:0 gegen Russland überzeugt der Leverkusener Kai Havertz auf der Zehnerposition.
  • Er hat mit 19 Jahren schon 65 Bundesligaspiele absolviert. Joshua Kimmich sagt nach dem Spiel er sei "einer für den FC Bayern".
  • Auch Joachim Löw traut ihm eine "Schlüsselposition" in den nächsten Jahren zu.

Von Anna Dreher, Leipzig

Es war an diesem September-Abend in Sinsheim eigentlich schon klar, dass da ein sehr guter Fußballer eingewechselt wurde. Einer, aus dem noch ein sehr, sehr guter werden dürfte - nur konnte Kai Havertz das in den zwei Minuten nicht wirklich zeigen. Er kam im Freundschaftsspiel gegen Peru für Timo Werner in die Partie und weil kurz darauf schon Schluss war, wird Havertz' Premiere in der Nationalmannschaft nur in Erinnerung bleiben, weil diese zwei Minuten in der Statistik eben hochoffiziell als "erste Länderspielminuten" stehen werden. Zwei Monate später hat ihn Bundestrainer Joachim Löw dann länger als 120 Sekunden kicken lassen, am Donnerstag gegen Russland, zum ersten Mal von Anfang an. Aber dieses zweite Länderspiel war natürlich sein wahres Debüt. Denn es war das erste Spiel, bei dem er zeigen konnte: Deutschland hat da einen richtig feinen Spielmacher.

Es war überhaupt ein Abend, der in eine Phase fällt, an die man sich vermutlich als Zeit des Umbruchs erinnern wird. Bisher hing Löw ja noch sehr an seinen Weltmeistern von 2014, in Leipzig aber zeigte sich erneut sein Reformwille. Löw sprach nach dem 3:0 gegen einen wenig auffälligen Gegner auffällig offensiv über die Vertreter der Jahrgänge 1995/96. Spieler wie Joshua Kimmich, Leroy Sané, Serge Gnabry und Werner. "Die Jahrgänge 1995/96 sind schon sehr, sehr gut", sagte Löw über sie. Und: Es sei "sehr gut vorstellbar, dass diese beiden Jahrgänge auf Dauer mal das Gerüst unserer A-Nationalmannschaft bilden werden". Aber es stand eben auch der derzeit führende Vertreter des Jahrgangs 1999 im Fokus, mit ebenso auffälligen Fähigkeiten als Gerüstbauer.

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Was für ein außerordentlich begabter Fußballer der Leverkusener Havertz mit seinen erst 19 Jahren und 65 (!) Bundesligaspielen schon ist, zeigte er auf dem Platz quasi ununterbrochen. Toni Kroos, Julian Draxler und auch Marco Reus fehlten - dadurch rückte er ins Zentrum. Er dirigierte mit Übersicht, bestimmte das Tempo, bewegte sich gut, hatte seine Mitspieler immer im Blick und spielte genau die richtigen Pässe auf das vor ihm wirkende Sturmtrio Sané, Gnabry und Werner. Eine gute Flanke von Havertz hätte schon in der 23. Minute die Führung bringen können - wenn dem Kopfball von Sané nicht Präzision und Druck gefehlt hätten. Beim Tor zum 3:0 funktionierte diese Art von Zusammenspiel besser: Einer von vielen präzise ausgeführten Pässen von Havertz aus der Zentrale in die Spitze wurde von Gnabry vollendet.

All das war beeindruckend. Und es erinnerte an jenen Feinfüßler, der bis zu seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft im Sommer auf dieser Position spielte und den Havertz als Vorbild betrachtet: "Ich schaue mir viel ab von Mesut Özils Spiel." Vielleicht, hatte Havertz in einem früheren Interview gesagt, sei es ein Ziel von ihm, dort hinzukommen, wo Özil in der Nationalmannschaft so lange wirkte. Frei wäre die Zehner-Position jedenfalls. Und dass er sie ausfüllen kann, hat Havertz, der in diesem Jahr mit der Fritz-Walter-Medaille für den besten U19-Spieler ausgezeichnet wurde, gezeigt. "Ich mag es, Vorlagen zu geben und die Mitspieler glänzen zu lassen", sagte Havertz am Donnerstag. "Ich glaube, ich hatte ein ganz gutes Spiel. Ich wurde sehr gut integriert in die Mannschaft. Das funktioniert ganz normal über reden."

Geredet wurde auch nach dem Spiel noch mit ihm, verstärkt aber über ihn. Der sonst bei Talenten zurückhaltende bis skeptische Löw verhielt sich ganz untypisch, er schwärmte geradezu über die Entdeckung des Abends. "Seine Entwicklung ist auffällig gut. Für sein Alter ist er schon sehr weit. Er hat eine gute Ballbehandlung, eine gute Übersicht und die Orientierung nach vorne", sagte der 58-Jährige. "Er wirkt sehr abgeklärt." Und dann kam noch ein Satz, den ein Trainer aus reiner Fürsorge bei einem jungen Talent sonst eher nicht ausspricht, um keinen zu großen Druck aufzubauen: "Ich kann mir gut vorstellen, dass er in den nächsten Jahren eine Schlüsselrolle spielen kann." Havertz, das wurde deutlich, ist für Löw nicht nur spielerisch hoch veranlagt. Er sieht ihn auch im Kopf schon so gereift, dass der Bundestrainer dem Mittelfeldakteur vertraut, mit Einschätzungen dieser Art umgehen zu können.

Kimmich findet: Havertz sei "einer für die Bayern"

Havertz' Teamkollege Julian Brandt hatte in diesem Jahr bereits gesagt: "Kai hat das Talent und Potenzial, ein Weltstar zu werden." Brandt ist als Freund natürlich stark befangen. Aber neben Löw fanden am Donnerstag auch Spieler entsprechende Worte. Kimmich zum Beispiel sprach von dem brutalen Gefühl für den Raum des seiner Meinung nach besten Mannes auf dem Platz, steckte ihn in die Kategorie "Einer für die Bayern" und fügte hinzu: "Ich kann ihn nicht kaufen, aber er ist ein Spieler, der sehr gut zu uns passen würde." Nicht nur in München dürften bereits Überlegungen stattgefunden haben, Havertz aus seinem noch bis 2022 laufenden Vertrag aus Leverkusen wegzulocken. Bayers Sportdirektor Jonas Boldt drückte am Samstag gegenüber Sport1 zur Sicherheit schon mal seine Zuversicht über dessen Verbleib aus.

Der Gelobte selbst übte sich hingegen weiter in seiner bereits bekannten Zurückhaltung. Seine Haltung ist geprägt von der rhetorischen Frage, warum Fußballer etwas Besonderes sein sollten. Und vom Blick auf die Titel, die er noch gewinnen möchte. Er, der als jüngster Spieler der Bundesliga 50 Spiele absolviert hat (18 Jahre und 307 Tage) und bei Bayer Leverkusen mit seiner Spielintelligenz, Kreativität und enormen Ruhe am Ball entscheidend geworden ist, sagte: "Ich glaube, da ist noch Luft nach oben. Aber ich bin immer auf dem Boden geblieben und werde auch auf dem Boden bleiben." Kai Havertz findet, er hat noch nichts erreicht. Und so sieht er sich erst am Beginn des Weges, ein sehr, sehr guter Fußballer zu sein.

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