Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik:Mann mit drei Herzen

Das Gehen in Deutschland erlebte dank Hartwig Gauder goldene Zeiten, später lief er mit Spenderherz den New York Marathon: Zum Tod des Olympiasiegers von 1980 über 50 Kilometer.

Nachruf von Saskia Aleythe

Dieser Marathon war für Hartwig Gauder ein Schonprogramm. So wollte das der ehemalige Geher jedenfalls verstanden wissen, als er 1998 in New York mit 43 Jahren an die Startlinie trat: Früher hatte er Medaillen über 50 Kilometer Gehen gewonnen, jetzt standen für ihn ja nur 42 Kilometer auf dem Programm. "Was wollt ihr denn?", fragte er damals seine Ärzte, die dann doch einen kleinen Unterschied ausmachten: Da trat ja nun nicht mehr der Leistungssportler an, sondern einer, der gerade erst ein neues Herz bekommen hatte.

Die Anekdote mit dem Marathon hat Gauder gerne in seinen Vorträgen erzählt, mit Augenzwinkern, nicht mit Übermut. Er wusste sein Glück ja zu schätzen: 16 Prozent Herzleistung hatte er gerade noch, als er 1995 auf ein Spenderherz wartete, aus dem Weltklasse-Geher der Achtzigerjahre war plötzlich ein todkranker Mann geworden. Elf Monate lebte er mit einem Kunstherzen, das das eigene am Leben erhalten sollte, bis ihm doch noch ein echtes Organ transplantiert wurde. Die Lust am Laufen ist ihm geblieben. In 6:15 Stunden beendete er seinen Marathon. "Wenn ich nur das geringste Problem mit dem Herzen gehabt hätte, wäre ich nicht weitergelaufen", sagte er damals, "aber mir taten nur mal die Beine etwas weh".

Das Gehen in Deutschland erlebte dank Gauder goldene Zeiten: 1980 gewann der damals 25-Jährige Gold bei den Olympischen Spielen über 50 Kilometer, nachdem er vier Jahre zuvor noch durch technische Fehler als Favorit in der Qualifikation gescheitert war. Es war Olympia-Gold für die DDR, doch Gauder hatte auch Wurzeln in Württemberg: 1954 in Vaihingen als Schwabe geboren, siedelte er als Sechsjähriger Richtung Erfurt über. Durch den Olympia-Boykott des Ostblocks 1984 verpasste Gauder die Gelegenheit, seinen Titel zu verteidigen; sein Talent zeigte er dafür in den Folgejahren immer wieder: Europameister 1986 in Stuttgart, Weltmeister 1987 in Rom, Olympia-Dritter 1988 in Seoul, das waren nur die größten Erfolge.

Viel Einsatz für das Thema Organspende

Nach der Wiedervereinigung holte Gauder 1991 noch mal WM-Bronze in Tokio. Zwei Jahre später trat er vom Leistungssport zurück, 1995 machte ihm das Herz dann Probleme. Dopingmittel habe er früher zwar angeboten bekommen, aber nie genommen: "Ich hätte mir auch einen Bärendienst erwiesen, wenn ich später bei meiner Herzkrankheit etwas verschwiegen hätte", sagte Gauder mal dem Münchner Merkur. Ursächlich für die Probleme soll ein Praktikum gewesen sein: Als Architektur-Student musste Gauder ein verdrecktes Gebäude vermessen, eine Infektion übertrug sich auf den Herzmuskel.

"Fürchte Dich nicht, langsam zu gehen, fürchte Dich nur, stehen zu bleiben", hatte sich der Thüringer stets als Motto gesetzt. Und so nutzte er sein neues Leben später auch, um sich für Organspenden einzusetzen, er schrieb Bücher und hielt Vorträge. Dass er weiter aktiv blieb, sollte auch ein Zeichen sein, was mit fremdem Herzen möglich ist. Er lief nicht nur Marathon in New York, auch Bergsteigen hatten es ihm angetan. 2003 bestieg er als erster Mensch mit zweitem Herzen den Fuji, Japans höchster Berg mit 3776 Metern. 2016 wurde er in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen.

Immer wieder warfen ihn gesundheitliche Probleme auch wieder zurück, zuletzt wartete Gauder auf eine neue Niere. Am Mittwoch ist er im Alter von 65 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. "Hartwig Gauder war nicht nur eine Geher-Legende und ein großartiger Olympiasieger, sondern eine herausragende Persönlichkeit des Sports", sagte Jürgen Kessing, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes.

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SZ vom 24.04.2020/ska
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