Süddeutsche Zeitung

NBA-Spieler Isaiah Hartenstein:Gegen ihn hat's der Gegner schwer

Basketballer Isaiah Hartenstein brauchte einige Jahre, um in der NBA anzukommen, doch jetzt glänzt der Deutsche bei den Clippers - sein Einfluss aufs Spiel ist auf unauffällige Weise gewaltig.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Mit Statistiken ist das ja immer so eine Sache, deshalb zuerst ein paar Momente aus dem NBA-Spiel der Los Angeles Clippers gegen die Phoenix Suns: Gleich nach seiner Einwechslung im ersten Viertel provoziert der deutsche Center Isaiah Hartenstein einen Ballverlust von Gegenspieler JaVale McGee, gleich darauf sperrt er den Weg frei für einen Wurfversuch von Kollege Luke Kennard. Dann sperrt er wieder für den Mitspieler frei - und vollendet nach Zuspiel von Kennard selbst. Und dann stellt er sich in der Defensive dem heranstürmenden Cameron Johnson in den Weg; der prallt gegen Hartenstein und wirft daneben. All das, wohlgemerkt, passiert in weniger als drei Minuten.

In den anderen drei Spielabschnitten trat Hartenstein, 23, genau so auf: Kollegen freisperren, Fouls der Gegner provozieren und sie bei Wurfversuchen behindern, hin und wieder mal punkten, einen klugen Pass einstreuen oder einen Rebound pflücken.

Er war maßgeblich daran beteiligt, dass die Clippers am Montagabend auch ohne ihre Anführer Kawhi Leonard und Paul George überraschend mit 111:95 gegen die Suns gewannen, das derzeit beste Team der Liga. Hartenstein wirkte 23 Minuten mit, schaffte zwölf Punkte, fünf Rebounds und sieben Assists.

Hartensteins Können bei den Clippers offenbart sich erst auf den zweiten Blick

Konkret bedeutet das: Es taucht nicht unbedingt in den üblichen Statistiken auf, wie toll Hartenstein gespielt hat. Freiblocken von Kollegen oder dieser Pass vor dem Assist - diese Kategorien werden nun mal nirgends groß erfasst. Man muss für diese Art der unsichtbaren Einflussnahme ein bisschen suchen, bis man eine Zahl findet - doch die ist dann umso beeindruckender. Wer es im direkten Duell mit Hartenstein versucht, dessen Trefferquote ist knapp 17 Prozent schlechter als durchschnittlich gegen alle anderen Defensivspieler. Dieser NBA-weite Bestwert belegt, wie gut der Deutsche in der Verteidigung seine enorme Spannweite und seinen 2,13 Meter langen Körper einsetzt.

Noch eine Zahl: Er stört Gegner in der Zone unter dem Korb ligaweit am dritthäufigsten, deswegen zielen die so oft daneben- und er tut das, ohne häufig zu foulen und den Kontrahenten Freiwürfe zu schenken. Und noch eine Zahl, die vielleicht wichtigste: das "Defense Rating" der Clippers, der allgemein anerkannte Wert für die Widerstandskraft der Team-Verteidigung, sinkt von 108,2 auf viel bessere 101,2, wenn Hartenstein auf dem Feld ist. Diese Zahlen sorgen noch nicht für einen Stammplatz oder gar eine Einladung zum All-Star-Spiel, wohl aber für Respekt bei Kollegen und Gegnern. Und genau das ist es, was Hartenstein so dringend braucht in seiner vierten NBA-Saison.

Der Sohn des ehemaligen Profis Florian Hartenstein (mittlerweile Cheftrainer bei seinem Heimatklub Artland Dragons) wählte einen anderen Weg als etwa die Brüder Moritz und Franz Wagner, die sich in der University of Michigan ausbilden ließen und nun beide für Orlando auflaufen. Hartenstein, geboren in Oregon (wo sein Vater damals spielte), blieb als Jugendlicher in Europa. Er wollte gegen ausgebuffte und erfahrene Profis lernen und nicht gegen Talente, von denen einige NBA-Profis werden, andere aber Anwälte und Zahnärzte. Er spielte in Quakenbrück bei den Dragons und in Litauen bei Žalgiris Kaunas, wo er unter Trainer Sarunas Jasikevicius das Spiel erlernte.

Die Karriere von Hartenstein begann in Quakenbrück

2018 kam er etwas überraschend in die NBA - doch er fand zunächst seine Rolle nicht. Die Houston Rockets, Denver Nuggets und Cleveland Cavaliers schickten ihn weg, und wenn man ihn nun so spielen sieht, fragt man sich: Wie konnte das nur passieren? Vielleicht so: Sie weisen jungen Spielern gerne Kurzarbeiterprofile zu, und die sollen jene dann ausfüllen in den paar Minuten, die sie aufs Parkett dürfen. Also: Das ist der Schütze, der ist der für Ballsicherheit, der kann Würfe blocken. Hartenstein hat nicht diese eine grandiose Stärke, er ist vielmehr einsetzbar wie ein Puzzleteil, das seine Form verändern und deshalb in mehrere Bilder passen kann.

Clippers-Trainer Tyronn Lue, der Cleveland 2016 zum Titel geführt hat und gerne mal experimentiert, hat diese Vielseitigkeit erkannt - und setzt nun auf Hartensteins Fähigkeiten. Sie haben einen interessanten Kader beisammen, der allerdings erst zum Ende der regulären Saison seine Wirkung zeigen dürfte, weil Kawhi Leonard (Kreuzband) erst Ende März zurückkehren dürfte. Bis dahin ist alles ein Einspielen und Ausprobieren.

"Man kann heutzutage ja alles tun", sagt Lue: "Cleveland spielt zum Beispiel mit drei Centern, also ist alles möglich." Er sagt das in Anspielung darauf, dass nicht nur Leonard und Paul George (gegen die Suns ebenso verletzt) großartige Defensivspieler sind, sondern auch der erfahrene Center Serge Ibaka, der biestige Flügelspieler Terance Mann - und eben Hartenstein. Wenn diese fünf in den Playoffs gemeinsam auf dem Feld stehen werden: viel Glück an alle, die zuverlässig Punkte erzielen wollen gegen so eine Formation.

Hartenstein fliegt, was die allgemeine Wahrnehmung angeht, unter dem Radar - so wie sich die Clippers mit einer Bilanz von 16:12 im Schatten der Überflieger-Teams befinden: die Suns, die trotz der Niederlage immer noch eine dominante Rolle spielen; gleichauf mit den Golden State Warriors. Das darf den Clippers egal sein, sie wissen aus eigener schmerzlicher Erfahrung der vergangenen zwei Jahrzehnte: Der NBA-Titel wird im Frühjahr vergeben.

So sehen sie das auch mit Hartenstein. Kann schon sein, dass er nicht so viele Momente erzeugt, die sich auf einem Slam-Dunk-Schnappschuss verewigen lassen - oder aufregende Zahlen. Sie wissen, dass sie da jemanden haben, der etwas anderes ist: das Puzzlestück, das sich derart verändern kann, dass es ein Foto komplettiert. Ein Foto, von dem die Clippers hoffen, dass darauf im Juni die Meister-Trophäe zu sehen ist.

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