Hannovers Coach Tayfun Korkut:Fasziniert von del Bosque

Hannover 96 v 1. FC Koeln - Bundesliga

Tayfun Korkut hat viel erlebt - jetzt trifft er erstmals auf seinen alten Weggefährten Xabi Alonso.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Er spricht nur, wenn er etwas zu sagen hat: Hannovers Coach Tayfun Korkut gehört zu den stillen Vertretern der Branche, dabei hat er unter drei Weltmeister-Trainern gelernt. Gegen die Bayern trifft er an diesem Samstag auf einen alten Bekannten.

Von Boris Herrmann, Hannover

Sage nur dann etwas, wenn du etwas zu sagen hast. Das klingt weise und richtig. So etwas sollte man sich merken als junger Trainer, findet Tayfun Korkut. Sein Merksätzchen könnte aus der Bibel stammen. Korkut hat es allerdings aus einer anderen vertrauenswürdigen Quelle: von Vicente del Bosque.

Tayfun Korkut, 40, hat über den spanischen Weltmeister-Coach mehr zu sagen als manch einer vermuten mag. Del Bosque, 63, war sein Trainer und Lehrmeister, als er vor zehn Jahren im Mittelfeld von Besiktas Istanbul spielte. Es heißt ja oft, er, Korkut, sei aus dem Nichts gekommen. Tatsächlich staunten die Leute nicht schlecht, als er zu Beginn dieses Jahres auf den Cheftrainerposten bei Hannover 96 rückte.

Ein hierzulande weitgehend unbekannter Berufsanfänger erhielt einen der 18 begehrtesten Arbeitsplätze im deutschen Fußball. Aber das Nichts ist ein dehnbarer Begriff, und wenn es stimmt, dass Korkut tatsächlich von dort kommt, handelt es sich hier um eine höchst gehaltvolle Variante des Nichts. Ein Nichts, in dem man immerhin Aphorismen von Del Bosque lernt.

Und mehr als das. "Del Bosque hat eine unheimlich gute Eigenschaft, egal wie das Spiel ausgeht. Ob du 5:0 gewinnst oder 0:3 verlierst, er ist immer gleich. Das war absolut faszinierend für mich", erzählt Korkut. Er hat sich vorgenommen, seinen Job in Hannover mit dieser spanischen Gemütsruhe anzugehen. Nicht immer gleich den Dicken machen, wenn man mal gewinnt. Aber auch nicht verzweifeln, wenn mal was schiefgeht. Das hilft natürlich als Trainer einer Mannschaft, die in dieser Saison bislang zu Hause alles gewonnen, aber auswärts noch kein Tor geschossen hat.

Korkut hat im Übrigen eine seriöse Trainerausbildung beim DFB genossen. Er war Teil jener berühmter Abschlussklasse von 2011, zu der auch Markus Gisdol, Markus Weinzierl, Thomas Schneider, Sascha Lewandowski oder Michael Wiesinger gehörten. Sie alle hatten zunächst als Jugendtrainer begonnen - in Hoffenheim, Augsburg, Stuttgart, Leverkusen, Nürnberg - und wurden in ihren Klubs bald zu den Profis befördert, wo sie mit unterschiedlichem Erfolg auf sich aufmerksam machten.

Korkut ging einen anderen Weg. Er diente sich nicht in Hannover nach oben, er war unterwegs, mal im Baskenland, mal im Kraichgau, mal in Istanbul. Er betreute Jugendmannschaften von Real Sociedad San Sebastian, Hoffenheim, dem VfB Stuttgart und versuchte sich ein paar Monate lang als Co-Trainer der türkischen Nationalelf. Seine Trainerkarriere ist bislang so rastlos wie sein ganzes Leben. Ankommen, Koffer auspacken, anpassen, Koffer einpacken.

Korkut hält das für einen Verkaufsvorteil: "Es hilft mir, dass ich in verschiedenen Ländern gelebt und verschiedene Kulturen gesehen habe", sagt er. Wer reist, lernt Leute kennen. Leute wie Del Bosque.

Als Korkut in den Neunzigern das Trikot von Fenerbahce trug, wurde er unter anderem auch von Carlos Alberto Parreira und Joachim Löw gecoacht. Auch diese beiden haben ja schon einmal eine WM gewonnen, Parreira 1994 mit Brasilien, Löw neulich mit Deutschland. Von allen, sagt Korkut, habe er sich was abgeschaut. Die Unterschiede ("Parreira saß das ganze Spiel, Del Bosque steht manchmal auf, Löw steht fast immer") genauso wie die Gemeinsamkeiten.

Große Trainer, Vorbilder, findet Korkut, erkennt man unter anderem daran, dass sie sich nicht zu wichtig nehmen. Dass sie ein Gefühl für ihre Gruppe haben. Dass sie ihren Spielern höchsten (oder im Fall von Löw auch: högschden) Respekt entgegenbringen. "In schwierigen Momenten denke ich manchmal zurück und frage mich, was hätte Parreira an dieser Stelle gemacht? Was Del Bosque? Was Löw?" Die Antwort muss nicht immer richtig sein, aber falsch ist sie auch nicht immer.

Nicht ganz so bekannt wie Löw

Man tritt Tayfun Korkut nicht zu nahe, wenn man sagt, dass er auch nach zehn Monaten in der Bundesliga nicht ganz den Bekanntheitsgrad von Del Bosque, Parreira oder Löw erreicht hat. Wahrscheinlich liegt er da eher im Bereich von Zinnbauer und Breitenreiter. Das könnte damit zusammenhängen, dass Korkut seinen Job bislang weder auffallend erfolgreich noch auffallend erfolglos erledigt. Und dass er, den Worten Del Bosques folgend, meist nur dann redet, wenn er etwas zu sagen hat.

Es könnte aber auch schlichtweg damit zu tun haben, dass er in Hannover arbeitet, in jener Stadt, die seit ihrer ersten urkundlichen Erwähnung im Jahre 1150 n.Chr. nach einem Image sucht. Und wenn in Hannover dann doch mal etwas Interessantes passiert, dann geht es im Rest des Landes meistens unter. Zum Beispiel, dass der örtliche Bundesligist einen jungen Coach hat, der sich an drei Weltmeistertrainern orientiert. Der eher aus dem Überall zu kommen scheint als aus dem Nichts.

Korkuts Eltern stammen aus Bulgarien. Als die Balkantürken im Sozialismus dort zunehmend unterdrückt wurden, wanderten sie erstmals aus. In die Türkei, nach Izmir. Von dort ging es bald weiter nach Stuttgart. Dort wurden in den Sechzigerjahren Gastarbeiter gesucht. "Mein Vater hat sich beworben, weil er sich ein amerikanisches Auto kaufen wollte. Der Plan war: Arbeiten, Geld verdienen, sich das Auto kaufen und wieder zurück fahren", erzählt Korkut. Aus dem Auto wurde eine Ewigkeit.

Korkut wird manchmal auch als der "zweite türkische Bundesligatrainer bezeichnet". Der erste war Özkan Arkoc, der 1977/78 kurz den HSV betreute. Arkoc wurde im türkischen Hayrabolu geboren, später machte er in Hamburg eine Kneipe auf, in der er ein damals exotisches Gericht namens Döner verkaufte. Korkut wuchs in Ostfildern auf, das liegt nicht in der Türkei. Wenn er Deutsch spricht, klingt eher das Schwäbische als das Türkische durch.

Sein erster Profiklub waren die Stuttgarter Kickers. Die Zeit bei Fenerbahce in Istanbul bezeichnet er als "meine erste Auslandsstation". Später spielte er im Baskenland bei Real Sociedad, dort lernte er seine Frau Elena kennen. Korkuts Kinder wachsen dreisprachig auf: Spanisch, Deutsch und Türkisch.

Da stellt sich schon die Frage, ob es sich hier wirklich um den zweiten türkischen oder nicht eher um den ersten transnationalen Bundesligatrainer handelt. "Ich kann im Moment nicht sagen, wo meine Heimat ist, dafür bin ich zu viel unterwegs gewesen", sagt Korkut. Seine Biografie ist so außergewöhnlich wie unsere Zeit. Sie ist Ausdruck einer Welt, in der zunehmend die Grenzen verschwimmen.

Im Kader von Hannover 96 stehen derzeit Spieler mit 14 verschiedenen Migrationshintergründen. Das ist also auch so eine Art transnationale Patchwork-Familie, die Tayfun Korkut da betreut. Es muss kein Nachteil sein, dass er sich in vier Sprachen unterhalten kann und dass er weiß, wie es sich anfühlt, in der Fremde anzukommen. Er weiß allerdings auch, dass man ihn, den Berufsanfänger, am Ende nicht nach seiner interkulturellen Kompetenz bewerten wird, sondern zum Beispiel danach, ob er vielleicht auch mal irgendwann ein Auswärtsspiel gewinnt.

An diesem Samstag spielt Hannover in München beim FC Bayern, da denkt man natürlich an Xabi Alonso. An 206 Ballkontakte. Jeder Trainer, der sein Team auf ein Spiel in München vorbereitet, muss sich derzeit mit dem roboterhaften spanischen Ballverteiler beschäftigen. Alles andere wäre fahrlässig. Und Tayfun Korkut tut das natürlich auch, auf seine Weise.

Er kennt Alonso besser als jeder andere Bundesligatrainer. Die beiden haben in den frühen Nullerjahren zusammen im Mittelfeld von Real Sociedad gespielt. Alonso als junger Berufsanfänger, Korkut als sein erfahrener Nebenmann. "Man hat schon damals gesehen, dass das bei ihm in die richtige Richtung gehen wird", sagt Korkut. Wie dieser Xabi Alonso so ansatzlos zur dominanten Figur im Bayern-Spiel werden konnte? Dank seinem klaren Spiel und der unfassbaren Passsicherheit, klar.

Aber auch dank seiner vielen Einflüsse aus San Sebastian, Liverpool, Madrid und München, meint Tayfun Korkut: "Er hat andere Kulturen kennengelernt, andere Fußballarten, und jetzt lernt er halt noch mal schnell eine neue kennen." Solche Leute, glaubt Korkut, können auch mal aus dem Nichts heraus eine Chefrolle übernehmen.

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