Süddeutsche Zeitung

Hannover:Zweifel an der Lieblingsformel

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Teuer einkaufen? Hannover 96 setzt bei der Mission Klassenerhalt lieber weiter auf Leihspieler.

Von Jörg Marwedel, Hannover

In seiner Laufbahn als Bundesliga-Manager hat Horst Heldt, 49, schon schönere Zeiten erlebt. Auf seiner ersten Station beim VfB Stuttgart wurde er 2007 deutscher Meister, bei Schalke 04 2011 DFB-Pokalsieger. Auch in Hannover hatte er angenehmere Momente, zum Beispiel die Bundesliga-Aufstiegsfeier 2017, die er "niemals vergessen wird", wie er kürzlich sagte. Nun muss Heldt mit ziemlich wenig Geld dafür sorgen, dass der Tabellenvorletzte Hannover 96 mit seinen Wintertransfers zumindest noch das Mindestziel Klassenverbleib erreicht.

Das wird nicht einfach. Trainer André Breitenreiter hat die fehlende Eignung des Kaders mit diversen "Empfehlungen", wie er seine Verstärkungswünsche nennt, öffentlich gemacht. Das richtet sich einerseits gegen den Trainer selbst, der etwa den enttäuschenden HSV-Stürmer Bobby Wood unbedingt haben wollte; andererseits auch gegen den Manager, der das letzte Wort bei Verpflichtungen hat. Klubchef Martin Kind errechnete, dass 96 in den vergangenen zwei Jahren 43 Millionen Euro in neue Profis investiert, aber nur 13 Millionen bei Verkäufen eingenommen hat.

Neun Millionen davon hat Heldt 2017 in den Stürmer Jonathas gesteckt. Der Brasilianer spielte zuvor für den Europa-League-Teilnehmer Rubin Kasan. Die Ablöse ist die größte Summe, die 96 für einen Spieler je ausgegeben hat. Nun beschäftigt sich Heldt damit, den nach Verletzungen und privaten Schicksalsschlägen an Corinthians São Paulo ausgeliehenen Wandervogel, der für 13 Klubs auflief, vor Ablauf seines einjährigen Leihvertrages zurückzuholen. Das Problem: Der in guten Zeiten als torhungrig aufgefallene Angreifer war bei Corinthians kein Stammspieler mehr. Sein letztes Spiel machte er vor drei Monaten. Zudem verpasste er die Vorbereitung auf die Rückrunde, die am Samstag mit dem Spiel gegen Werder Bremen beginnt. Kann er kurzfristig helfen? Eher nicht.

Heldts und Breitenreiters Problem: Kind ist offenbar nicht mehr bereit, neben den ausgeliehenen Kevin Akpoguma (Hoffenheim, Defensive) und Nicolai Müller (Frankfurt, Offensive) noch viel Geld für einen weiteren Stürmer springen zu lassen. Die Transferbilanz des Sommers 2018 war ein Desaster. Allein der Brasilianer Walace ist sportlich eine Verstärkung, während Genki Haraguchi (4,5 Millionen Euro Ablöse an Hertha BSC) und die drei Leihspieler Takuma Asano (FC Arsenal), Kevin Wimmer (Stoke City) und Bobby Wood (HSV)

der Mannschaft kaum weiterhalfen. Die kurzfristige Rettung soll trotz Asano, Wood und Wimmer aber offenbar weiter vor allem durch geliehene Spieler erreicht werden. Das bedeutet: Ein Team kann so nicht zusammenwachsen. Es geht nur noch darum, das Haus Bundesliga nicht einstürzen zu lassen. Wie gewagt das ist, zeigte schon Breitenreiters Klage vor Weihnachten: Die Profis würden, anders als in den vergangenen beiden Spielzeiten, "nicht als Mannschaft funktionieren".

Zudem haben Leihverträge manchmal auch Tücken und können eventuell sehr teuer werden. Etwa beim Abwehrspieler Wimmer. Für den Österreicher müsste 96 wegen der Kaufoption zwölf Millionen Euro an Stoke zahlen, wenn er in mindestens 24 Pflichtspielen für 96 aufläuft. Bisher sind es elf Liga- und zwei DFB-Pokalspiele. Was also macht der Trainer im Abstiegskampf, wenn er den Spieler einerseits braucht, der aber nach seinem 24. Einsatz viel zu kostspielig wird für den Klub? Immer häufiger denkt Kind an 2016, als man im Winter, trotz Investitionen in fünf neue Spieler und Hoffnungsträger-Trainer Thomas Schaaf, chancenlos abstieg. Da ging plötzlich Kinds Lieblingsformel nicht mehr so glatt auf, die besagt, dass solche Ausgaben immer noch preiswerter sind als ein Abstieg. Deshalb ist der skeptische Unternehmer nun deutlich zurückhaltender.

Nun gelten Akpoguma und Müller nicht als schwierige Charaktere, aber wie sollen sie für vier Monate die Mannschaft prägen? Der von Kind in Aussicht gestellte weitere Stürmer - egal, ob er Jonathas heißt - muss besser passen als Wood, der zunächst den langfristig ausfallenden Torjäger Niclas Füllkrug ersetzen soll. Immerhin steuerte Wood beim letzten Testspiel gegen Heracles Almelo zwei Tore zum 4:1-Sieg bei. Doch Breitenreiters allgemeine Unzufriedenheit mit dem Amerikaner zeigte sich in seinen Aussagen. Hatte er dem Angriff vor dem Almelo-Spiel noch die nötige Bundesliga-Qualität abgesprochen, sagte er nun in Bezug auf Wood: "Stürmer muss man immer starkreden. Das weiß jeder, der mal vorne gespielt hat. Das Vertrauen haben wir in ihn." Klingt etwas wetterwendisch, denn genau solche Mutmacher hatte er zuletzt verweigert. Ansonsten kann der gebürtige Hannoveraner Breitenreiter nur noch hoffen, dass jetzt bei einigen Profis eine Steigerung kommt. Sonst wird er bald, wie die meisten Leihspieler, zur nächsten Abstiegs-Episode der 96-Geschichte.

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SZ vom 17.01.2019
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