Hannover-96-Torwart Miller trainiert wieder:Zurück aus der inneren Verzweiflung

Vor elf Wochen machte Hannovers Torwart Markus Miller mit Unterstützung des Klubs seine Burn-out-Erkrankung öffentlich - jetzt steht er erstmals wieder auf dem Trainingsplatz. Der sichtlich gelöste Profi hat aus seiner Auszeit wohl mehr gelernt als die immer noch sehr leistungsfixierte Gesellschaft.

Boris Herrmann, Hannover

Er lächelt. Nicht gekünstelt, sondern aufrichtig. Das ist daran zu erkennen, dass die Nasenflügel mitlächeln. Entspannt zwinkert er den neugierigen Kamera-Augen entgegen. Auf seinen gewaltigen Geheimratsecken spiegeln sich die Neonlichter des Kabinentrakts von Hannover 96. Sein Gesicht ist festlich erleuchtet wie ein Christbaum. Markus Miller sieht glücklich aus. Er sagt: "Elf interessante, spannende, aber auch emotionale Wochen liegen hinter mir." Wer seine Geschichte nicht kennt, könnte glauben, er komme gerade aus dem Urlaub.

Miller trainiert nach psychischer Erkrankung

Mit einem Lächeln auf dem Trainingsplatz: Markus Miller (re.) ist zurück im Profifußball. 

(Foto: dpa)

Er kommt aber aus der inneren Verzweiflung. Anfang September stand der 29-jährige Ersatztorwart von Hannover 96 kurz vor einem Burnout. Vielleicht war er auch schon mittendrin - wie so viele in seiner Branche, wie so viele in dieser Gesellschaft. Im Gegensatz zu vielen anderen hat Miller aber beschlossen, sich dafür nicht schämen zu wollen.

Er begab sich in die Obhut von Ärzten und teilte dies auch öffentlich mit. Jetzt, nach elf Wochen, hat er erstmals wieder mit der Mannschaft trainiert, weil er sich wieder gesund fühlt, oder, wie er es ausdrückt: "neu aufgestellt". Und auch an dieser Stelle geht er in die Offensive. Er gibt gleich am ersten Tag eine Pressekonferenz.

"Herzlich willkommen von meiner Seite", mit diesem sympathisch-sperrigen Satz hat Miller am Dienstagvormittag seinen Vortrag eingeleitet. Herzlich willkommen - das klingt fast so, als ob nicht er, sondern alle anderen für geraume Zeit verschwunden gewesen wären. Die Öffentlichkeit hat das natürlich etwas anders wahrgenommen. Aber die Öffentlichkeit ist ja auch nicht Markus Miller. "Das ist meine Entwicklung", wird er später noch sagen.

Natürlich ist die Öffentlichkeit auch deshalb so zahlreich erschienen, weil sie gerade wieder fragend vor dem Fall des Schiedsrichters Babak Rafati steht, weil sie die Fälle Rangnick, Deisler immer noch nicht ganz verstanden hat - und weil sich in Hannover auch die Tragödie um Millers Vorgänger Robert Enke zutrug. Der Mensch ist versucht, Querverweise zu ziehen, weil man sich an großen Thesen nun einmal besser festhalten kann als an kleinen Mosaiksteinchen. Von einem wie Miller, einem Betroffenen also, verspricht sich offenbar so mancher eine große These.

"Jeder Mensch ist einzigartig"

Aber die kommt nicht. Nichts zum allgemeinen Leistungsdruck in dieser Gesellschaft, nichts zur Unmenschlichkeit im Profifußball. Und genau das ist wiederum doch so etwas wie eine These. Wenn Miller an diesem Tag eine wichtige Botschaft zu verkünden hat, dann diese: "Es gibt höchstens geringe Parallelen in den Krankheitsbildern. Man müsste jedem eine eigene Diagnose stellen, weil auch jeder Mensch einzigartig ist."

Der einzigartigen Geschichte von Markus Miller wird jetzt gerne ein gewisser Vorbildcharakter attestiert - weil er redete, wo andere geschwiegen haben. Aber auch der Rolle des großen Tabubrechers begegnet der Torwart eher vorsichtig. Er sagt: "Es ist einfacher, an sich selbst zu arbeiten, als 80 Millionen zu verändern." Und er weiß auch, dass er das Glück hatte, bei einem Klub angestellt zu sein, der eine besondere Sensibilität für die Schwächen von vermeintlich starken Männern entwickelt hat.

"Wenn mein Fall also dazu beiträgt, dass auch andere Vereine so professionell damit umgehen, dann bin ich gerne Vorbild", sagt Miller. Hannovers Manager Jörg Schmadtke hört so etwas natürlich gerne. Auch er wehrt sich aber gegen eine allzu ausufernde Querverweiserei und formuliert stattdessen ganz behutsam: "Der Fall Miller trägt vielleicht dazu bei, zu zeigen, dass der Weg zurück möglich ist."

Möglich ist es. Das muss aber nicht heißen, dass es auch wirklich klappt. "Es war schön, mal wieder die Jungs zu drücken", sagte Markus Miller nach seinem ersten Training seit knapp drei Monaten. Zur eigenen Überraschung will er dabei festgestellt haben, dass er sich körperlich "nahezu in Topform" befindet. Die wird er wohl auch brauchen, denn er ist ja nicht zurückgekommen, um sich knuddeln zu lassen, sondern um zu arbeiten.

Stammtorwart bei Hannover 96 aber ist kein Geringerer als der hochbegabte Neu-Nationalkeeper Ron-Robert Zieler. Deshalb war es schon recht mutig von Miller, gleich am Comeback-Tag zu verkünden: "Bald greift wieder der normale Mechanismus, der Trainer hat die Qual der Wahl!"

Bislang, auch das gehört zur Wahrheit, hat sich Trainer Mirko Slomka mit diesem Mechanismus gar nicht so sehr gequält. Sein letztes Bundesligaspiel hat Markus Miller im Mai 2009 gemacht, für den Karlsruher SC.

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