Thomas Schaaf drehte sich im Kreis. Das heißt, eigentlich stand er aufrecht und äußerlich unbewegt in der Ecke des Stuttgarter Presseraums. Doch seine Sätze machten Kreisel wie zuvor sein flinker Regisseur Hiroshi Kiyotake. Immer wieder kam Schaaf zurück auf die "Bestätigung", die dieser Sieg gebe. Bestätigung dafür, "dass es gut ist, was wir tun". Zwischendurch machte er ein paar Kurven zum "Selbstbewusstsein", das diese "Bestätigung", dieser überraschende 2:1-Sieg bei den zuvor seit acht Bundesliga-Spielen ungeschlagenen Stuttgartern, verleihe. Und schon war er wieder bei der Bestätigung. "Punkte sind wichtig, Bestätigung ist das Allerwichtigste." Dem Trainer war die psychologische Komponente des ersten Siegs seiner Zeit in Hannover nach fünf Niederlagen wichtiger als alles andere.
Abstiegskampf zermürbt; erst recht, wenn die Lage so hoffnungslos erscheint wie zuletzt in Hannover. Sechs Punkte Rückstand waren es vor diesem Spieltag, nun sind es plötzlich nur noch vier. "Wir sind noch da", sagte Kapitän Christian Schulz, mit seinen zwei Toren ein Mann des Spiels. Eine "schöne Geschichte" sei das. Selten war ein Tabellenletzter so gut gelaunt wie die Hannoveraner an diesem auch sonst sehr sonnigen Samstag in Stuttgart. Und darauf wollte Schaaf hinaus: "Die Mannschaft lebt." Natürlich habe er daran immer geglaubt, "ich spiele ihnen doch nichts vor, das ist ja keine Märchenstunde". Viel entscheidender sei eine andere Sache: "Wie viel können wir von dem zeigen, was wir draufhaben?"
Kiyotake kann Freistöße auch mit Pech am Schuh schießen
Dabei kommt der Kopf ins Spiel - und die Suche nach Bestätigung. Doch so kompliziert die Wege des Erfolgs manchmal durch Spielerköpfe führen, so einfach ist das Spiel manchmal auf dem Platz. Nach sehr guter Anfangsphase der Hannoveraner legte Alexandru Maxim in Minute 17 einen Freistoß sanft in den Strafraum, wo Timo Werner freier stand als eine Sonnenliege Ende Februar im nahen Freibad am Neckar. So reichte ein eigentlich verunglückter Versuch mit der Schulter, um den Ball ins lange Eck zu lenken. Auch das ist nicht kompliziert: Läuft es, dann fällt einem das Glück auf die Schulter. Und bei den Erfolglosen klebt das Pech eben gerne am Schuh.
Hiroshi Kiyotake kann jedoch auch mit Pech am Schuh schöne Freistöße schießen. Gleich bei seinem ersten Startelfeinsatz nach dreimonatiger Verletzungspause zeigte der Japaner, was er drauf hat - und schlug den Ball präzise an den langen Pfosten zu Christian Schulz, der es ohne Schulter schaffte, den Ball ins Tor zu köpfen. Es wurde still in Stuttgart, nur die Hannoveraner jubelten natürlich. Nach 482 Minuten ohne Tor hatten sie mal wieder getroffen.
Der Erste der Rückrundentabelle trifft auf den Letzten - klare Sache?
Vor, zwischen und nach den beiden Treffern trat diese Partie in der ersten Hälfte den eindrucksvollen Beweis an, dass auch ein Spiel unter spielerischem Top-Niveau überdurchschnittlich viele Top-Chancen produzieren kann. Erst vergaben diese die Gäste, bei denen neben Kiyotake die Neuen Hotaru Yamaguchi und Iver Fossum stark begannen, dann kam der VfB besser ins Spiel.
13 Punkte hatte der VfB aus den fünf Spielen in diesem Jahr geholt, 96 gar keine - der Erste der Rückrundentabelle würde gegen den Letzten doch sicher den Sack zu machen? Je länger das Spiel dauerte, desto übermächtiger schienen diese Stuttgarter, die aber nun wechselweise an ihrem eigenen Unvermögen oder Hannovers starkem Keeper Ron-Robert Zieler scheiterten. Gemeinsam mit Kapitän Schulz und Kiyotake wurde der Nationaltorhüter zum entscheidenden Mann der zuvor Abgeschriebenen - ein Trio, das in Hannover schlussendlich für etwas Luft zum Atmen sorgte.
Schulz trifft erstmals seit acht Jahren doppelt
Denn als die Stuttgarter Chancenverwertung wieder groteske Züge annahm, wich plötzlich das Pech von den Schuhen der Gäste. Die erste gefährliche Situation seit einer gefühlten Ewigkeit führte überraschend zum Siegtreffer. Wieder Freistoß Kiyotake, wieder Treffer Schulz (84.). Es war der erste Doppelpack des Innenverteidigers seit gut acht Jahren. Der damalige Gegner: MSV Duisburg. Der Kapitän wagte einen Blick auf die klubinterne Torjägerliste: "Da mache ich wohl einen großen Sprung." Mit seinen zwei ersten Treffern in dieser Saison schafft er es aufgrund von gerade einmal 21 Saisontoren tatsächlich auf Rang drei, was die bedrohliche Lage in Hannover verdeutlicht.
Doch das interessierte Schaaf am Samstagabend nicht so sehr, genauso wenig wie die Tabelle und Platz 18. Er drehte sich noch mal im Kreis. Kiyotake und Schulz seien eben Spieler, die "die anderen mitnehmen", wiederholte er - mehrmals.