Hannover:14 Paraden, null Punkte

GER 1 FBL Hannover 96 vs SV Werder Bremen 19 01 2019 HDI Arena Hannover GER 1 FBL Hannover

Ein guter Torwart macht noch keine Punkte: Michael Esser.

(Foto: imago/Nordphoto)

Selbst der überragende Torwart Esser hilft 96 nicht. Trainer Breitenreiter muss sich Gedanken machen.

Von Jörg Marwedel

Es ist ein durchaus bemerkenswerter Rekord, den Hannovers Torwart Michael Esser am Samstag aufgestellt hat. 14 Paraden zeigte er im Spiel gegen Werder Bremen, einmal drehte er einen harten Schuss von Milot Rashica auf unwirkliche Weise noch um den Pfosten, Ähnliches gelang ihm gegen Maximilian Eggestein. 14 Paraden, das ist der Bestwert, seitdem 2011 die Bundesliga die Statistik um Spielerdaten erweitert hat. Aber Esser, über den Trainer André Breitenreiter redet wie über ein besonders beliebtes Familienmitglied und den er beim Spitznamen "Bruno" nennt, hat das alles nicht interessiert. Sagt er jedenfalls.

Die Partie endete 0:1, und Esser hatte den besten Blick, um das "zu passive und zu langsame" Bemühen seiner Kollegen im 1000. Bundesligaspiel der 96-Geschichte aus der Nähe mitzuerleben.

Manches Mal hat er seinen Mitspielern zugerufen, sie müssten auch mal rangehen, wenn die Bremer wieder angriffen. Seine Schlussfolgerung nach dem ersten Spiel der Rückrunde: "So wird es schwierig, überhaupt ein Spiel zu gewinnen." Was nutzten Esser da die Worte von Werder-Coach Florian Kohfeldt, wonach der "überragende Gastgebertorwart" schuld gewesen sei, dass es bis zum Schluss nur 1:0 stand - was ja im Grunde "wahnwitzig" sei.

Nur gegen den besten Angriffszug der Hansestädter hatte auch Esser in der 32. Minute keine Chance. Max Kruse, der nach dem Wintertrainingslager plötzlich so beweglich erscheint, als habe er einen Fitness-Crashkurs absolviert, hatte Mittelfeldspieler Eggestein angespielt; der brachte den Ball vors Tor, wo Martin Harnik, der ehemalige 96er, ihn mit der Hacke weiterleitete. Esser war froh, den Versuch überhaupt noch zu parieren, aber den Abpraller bugsierte Rashica dann ohne Mühe über die Linie.

Es gibt inzwischen in Hannover nicht wenige, die dem ungeliebten Nachbarn Eintracht Braunschweig eher den Klassenverbleib zutrauen als dem eigenen Team. Wobei man wissen muss, dass die Eintracht als Tabellenletzter der dritten Liga acht Punkte auf einen Nichtabstiegsplatz aufholen muss, während die 96er nur vier Zähler zurückliegen. Aber wie soll Besserung eintreten, wenn es in den nächsten Wochen gegen Tabellenführer Borussia Dortmund und Leipzig geht? Vielleicht, indem einem niemand mehr etwas zutraut? "Wir haben ja nichts mehr zu verlieren", sagt etwa Kevin Akpoguma, der aus Hoffenheim ausgeliehene Verteidiger.

Akpoguma ist einer der drei Spieler, die dem zuletzt nicht funktionierenden Team Stabilität geben sollen. Aber er bemerkte schnell den Unterschied zum Champions-League-Bewerber Hoffenheim. "Klare Torchancen" habe er nicht gesehen, sagte er korrekt. Auch "gefährliche Standards oder gefährliche Schüsse aus der zweiten Reihe" hätten nicht zum Repertoire gezählt. Und Nicolai Müller, vom Europa-League-Teilnehmer Eintracht Frankfurt ausgeliehener Flügelstürmer, konnte seine Schnelligkeit nicht ausspielen, weil ihn niemand mit entsprechenden Pässen losschickte.

Blieb noch Cristian De Jesus Mauricio, genannt Jonathas, der gerade von seiner Leihe beim brasilianischen Klub Corinthians zurückgekehrte Stürmer. Wie groß die Not im 96-Angriff ist, wurde an seiner Einwechslung in der 63. Minute deutlich. Da kam jemand nach nur einer Trainingseinheit und drei Monaten ohne Spielpraxis auf den Platz und sollte die Hannoveraner retten? Okay, Jonathas war nicht schlechter als der ausgewechselte Bobby Wood, der mal wieder ein Ausfall war. Aber sollte Jonathas 96 vor dem Abstieg retten, wäre das so, als hätte ein Chirurg mit gebrochener Hand die Operation seines Lebens gemacht.

Wie lange Präsident Martin Kind noch zuschaut bei dieser Abwärtsspirale, ist spannend. Manager Horst Heldt, der sich nach dem Spiel nicht äußerte, ist mal wieder im Gespräch bei einem anderen Klub - nach Köln und Wolfsburg diesmal bei seinem früheren Arbeitgeber Schalke 04. Breitenreiter machte sich ebenfalls Gedanken um seine Zukunft. Zu Recht. Der Kicker berichtete am Sonntagabend, der Trainer stünde vor dem Rauswurf.

Was tatsächlich gegen die Beurlaubung sprechen könnte: Er würde bei Auflösung des erst im Sommer bis 2021 verlängerten Vertrages laut kicker eine Millionenabfindung kassieren. Zudem ist nicht nur die sportliche Bilanz bisher desolat. In dieser Saison soll sich schon ein Minus von 17 Millionen Euro angehäuft haben.

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