Süddeutsche Zeitung

96-Manager Schmadtke im Gespräch:"Eigentlich hatten wir gar kein Image"

Jörg Schmadtke kämpft als Manager von Hannover 96 gegen den Langeweiler-Ruf des Klubs. Vor dem Spiel gegen den FC Bayern spricht er über die Nachteile von korrektem Hochdeutsch, eine Stadt ohne Dom, den Aufschwung der Mannschaft und erklärt, warum er ganz froh ist, dass 96-Trikots inzwischen in der Türkei gefälscht werden.

Boris Herrmann

SZ: Herr Schmadtke, nennt man sich selbst gerne Hannoveraner, wenn man in Hannover wohnt?

Schmadtke: Ich nenne mich Düsseldorfer.

SZ: Gefällt Ihnen denn das Wort Hannoveraner?

Schmadtke: Das klingt schon irgendwie komisch. Nach Pferdezucht. Ich glaube, die sagen hier deshalb auch mal gerne: Ich bin Niedersachse.

SZ: Der Hannoveraner als Mensch steht in dem Ruf, emotional eher verhalten zu sein.

Schmadtke: Ein ruhiger und besonnener Zeitgenosse ist das. Hat mit dem, was ich aus dem Rheinland kenne, eher wenig zu tun. Ich neige allerdings auch eher dazu, ein bisschen distanzierter zu sein. Ich bin auch keiner, der auf den Tischen tanzt oder versucht, mit feurigen Reden Stimmung zu machen. Ich glaube, deshalb passe ich auch ganz gut hier her.

SZ: Harald Schmidt hat in Zeiten, als die Deutschen noch seine Sendung geschaut haben, immer sehr ausführlich über Hannover gelästert.

Schmadtke: Vermutlich, weil er aus Stuttgart kommt, und deshalb selbst ein Problem hat. Zumal ich sagen muss, dass Hannover deutlich attraktiver ist, als es rüberkommt. Das ist eine kompakte, aber auch eine lebenswerte Stadt. Trotzdem können viele mit Hannover nichts anfangen, weil es hier nicht den Anker gibt, weshalb man hier unbedingt hinmüsste. Einen Kölner Dom oder so was, das kennt man schon. Aber Hannover?

SZ: Was fällt einem da so ein, das bundesweit bekannt wäre?

Schmadtke: Der Maschsee.

SZ: Der Maschsee?

Schmadkte: Na gut, die Cebit. Hannover als Messestadt.

SZ: Mir fiele der Leibnitz-Keks ein. Und Hannover 96, das kennt man außerhalb der Stadt doch auch ein bisschen.

Schmadtke: Nicht nur ein bisschen. Wussten Sie, das unsere Trikots inzwischen in der Türkei nachgebaut werden?

SZ: Ach?

Schmadtke: Da muss man schon eine gewisse Wahrnehmung haben, damit einem diese Ehre zu Teil wird. Das geht letztlich nur über sportlichen Erfolg. So wie wir ihn jetzt mit der Teilnahme an der Europa League haben. Vor zwei Jahren hat man in Istanbul jedenfalls noch keine gefälschten Trikots von 96 gefunden.

SZ: Trotz des vielleicht etwas ernüchternden 2:2 am Donnerstag gegen Kopenhagen, kann man sagen: Hannover hat gerade einen Lauf. Die Stadt hat in den vergangenen zwei Jahren einen Bundespräsidenten, einen FDP-Chef und einen Bundesliga-Spitzenklub hervorgebracht.

Schmadtke: Und Lena nicht zu vergessen! Wobei man sagen muss, wir haben mit Stefan Raab einen Kölner gebraucht, um die bekannt zu machen.

SZ: Das muss Sie als Düsseldorfer besonders ärgern.

Schmadtke: Wieso? Die große Party hat ja dann in Düsseldorf stattgefunden.

SZ: Wie entflammt man als unterkühlter Rheinländer die unterkühlten Niedersachsen mit Fußball?

Schmadtke: Uns ist es schon gelungen, die Stadt in den vergangen Jahren zu emotionalisieren. Ich war zum Beispiel wirklich überrascht über den Auftritt der Fans hier in der Europa-League-Qualifikation gegen Sevilla. Das war schon sehr südländisch. Da sind mal alle richtig aus sich herausgegangen. Es wird in der Stadt inzwischen auch viel mehr über den Klub gesprochen, es gibt viel mehr Autos mit 96-Emblem. Wir haben deutlich mehr Zulauf, weil wir gezeigt haben, dass es Spaß machen kann, sich mit Hannover 96 zu beschäftigen.

SZ: Was ist das Besondere am Standort Hannover?

Schmadtke: Was wir hier haben, ist ein enormes Einzugsgebiet und ein tolles Stadion, das durch die WM 2006 entstanden ist. Das ist zumindest schon mal kein Wettbewerbsnachteil.

SZ: Vielleicht ist ja die Sprache ein Wettbewerbsnachteil. Die Bayern sagen "Mia san mia", das vermittelt die heimelige Wärme der Muttersprache und ist zudem ein Slogan für ihr kleines Vaterland.

Schmadtke: Mag sein, dass die regionale Zugehörigkeit hier schwerer herstellbar ist, weil hier das reine Hochdeutsch gesprochen wird. Da geht schon ein wenig das Heimatgefühl verloren. Was uns hier aber vor allem fehlt, ist eine Generation von Fußballfans. Der Verein hat in den Neunzigern über Jahre nicht in den ersten beiden Ligen stattgefunden. Er war verschwunden von der Fußball-Landkarte, und zwar genau in der Zeit, als der Sport in Wahrnehmung und in Vermarktung extrem gewachsen ist.

SZ: Welche Generation fehlt Ihnen?

Schmadtke: In der Werbebranche würde man sagen, die werberelevante Zielgruppe zwischen 29 und 49. Der klassische Fußballfan wächst in so etwas hinein, und das bleibt dann auch ein Leben lang. Nehmen Sie zum Beispiel den KFC Uerdingen, der heute überhaupt keine Rolle mehr spielt. Wenn Sie in den Westen gehen, da werden Ihnen die Leute immer von dem 7:3 gegen Dresden erzählen. Wahrgenommen wird man nur, wenn man Erfolg hat. Oder eine Geschichte, und die haben wir nicht.

SZ: Wie viele Deutsche kennen wohl den Bundesliga-Rekordtorschützen von Hannover 96?

Schmadtke: Der Schatz (Dieter Schatzschneider, d. Red) ist doch unser Rekordtorschütze, oder?

SZ: In der Bundesliga ist es Hans Siemensmeyer.

Schmadtke: Hm, wie viele werden den wohl kennen? Ich denke mal, wenn man das Stadtgebiet verlässt, wird es eng.

SZ: Braucht ein Verein ein Image?

Schmadtke: Hat ein Verein nicht immer ein Image? Im Moment werden wir schon als ein bisschen überraschend wahrgenommen.

SZ: Und davor?

Schmadtke: Da galten wir als langweilig. Wir hatten acht, neun Jahre in der Bundesliga gespielt, und die Leute haben immer noch gesagt: Hannover, was ist das denn bitte? Eigentlich ist das in der Tat gar kein Image gewesen.

SZ: Das erste, woran man sich erinnert, war das Kanzlerimage, als Gerhard Schröder öfter mal zu Besuch kam . . .

Schmadtke: . . . der allerdings Dortmund-Fan ist. Danach kamen Oliver Pocher und Veronica Ferres.

SZ: Sind Sie sicher, dass die nicht auch heimlich zum BVB hält?

Schmadtke: Bin ich. Sie trägt immer häufiger eine 96-Kappe, ist zu Gast im Stadion und kommt sogar in die Kabine. Aber auch das transportiert kein sportliches Image. Und das war lange Zeit unser Problem. Es gibt einen einzigen Traditionsverein hierzulande, der kein sportliches Image hat, das ist der FC St. Pauli.

SZ: Seit der vergangenen Saison hat Ihr Team dieses sportliche Image ja endlich: den Überfallkonter.

Schmadtke: Genau. Und auf einmal beschäftigt man sich mit uns.

SZ: Begonnen hat diese Beschäftigung mit dem Tod von Robert Enke.

Schmadtke: Zunächst einmal hat uns die Tragödie um Robert Enke in richtig große Probleme gebracht. Wir haben nicht nur den Nationaltorhüter verloren, sondern einen ganz wichtigen Pfeiler dieser Mannschaft, als Mensch. Darunter haben wir sportlich sehr lange zu leiden gehabt. Aber ich glaube, insgesamt hat diese Trauer in der äußeren Wahrnehmung von 96 tatsächlich ein paar Dinge beschleunigt. Wir haben das einigermaßen würdevoll hinbekommen. Ich glaube, das hat uns doch ein wenig Respekt bei den Leuten eingebracht.

SZ: Vor einigen Wochen hat ihr Ersatztorhüter Markus Miller seine Depressionen öffentlich gemacht und sich in Behandlung begeben. Wie geht es ihm?

Schmadtke: Es geht ihm ganz gut. Er arbeitet an sich. Ich denke, wir werden ihn in absehbarer Zeit auch wieder hier bei der Mannschaft haben. Natürlich haben wir da jetzt auch eine gewisse Sensibilität in solchen Dingen.

SZ: Dem Image von 96 haftet neuerdings auch bestes hanseatisches Kaufmannstum an. Vor fünf Jahren wäre ein Stürmer wie Mohammed Abdellaoue in der norwegischen Liga noch klassischerweise vom SV Werder entdeckt worden.

Schmadtke: Mag sein, aber Teil der Erklärung unseres Aufschwungs ist auch, dass die einzelnen Elemente, die wir im Klub haben, im Moment zusammen passen: Präsident, Geschäftsführung, Trainer, Mannschaft.

SZ: Gerade Trainer und Manager haben sich nicht immer so prächtig verstanden. Wie ist Ihr Verhältnis zu Mirko Slomka inzwischen?

Schmadtke: Gut.

SZ: War es jemals schlecht?

Schmadtke: Nicht so, wie es dargestellt worden ist. Mirko Slomka ist eingestellt worden in einer bedrohlichen Situation für den Klub. Danach haben wir die nächsten sechs Spiele verloren. Dass wir uns da nicht jubelnd in den Armen gelegen haben, das stimmt. Aber daraus sind dann viel mehr Spannungen konstruiert worden, als eigentlich da waren.

SZ: Und jetzt sind Sie bald ein Erfolgsduo der Kategorie Schaaf-Allofs?

Schmadtke: Es wäre schon erstrebenswert, mal über einen gewissen Zeitraum gemeinsam an 96 herumzuwerkeln. Aber Sie wissen doch auch, wie schwer es ist in diesem Geschäft, Vorhersagen zu treffen, die länger als einen Monat halten.

SZ: Herr Schmadtke, jetzt haben wir ganz vergessen, über den Gegner vom Sonntag zu sprechen.

Schmadtke: Mal ehrlich, ich finde den FC Bayern super. Die haben die Gunst der frühen Geburt perfekt genutzt. Da ist schon von Anfang an viel richtig entschieden worden. Und das kann wahrlich nicht jeder Klub von sich behaupten.

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Quelle:
SZ vom 22.10.2011/segi
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