Hannover - Leverkusen (18 Uhr):Worte wie Dolchstöße

Hannover 96 Training Session

Taumeln mit Hannover 96 der 2. Liga entgegen: Sportchef Horst Heldt und Trainer Thomas Doll (rechts).

(Foto: Thomas F. Starke/Getty Images)

In einer chaotischen Saison hat Hannover nun eine besonders chaotische Woche erlebt, weil Präsident Kind alles und jeden schlechtredete. Bleibt die Frage: Mit wem soll Trainer Doll die Wende schaffen?

Von Jörg Marwedel, Hannover

Es wäre ungewöhnlich gewesen, wenn sich die Ultra-Fans von Hannover 96 vor dem Heimspiel am Sonntag gegen Bayer Leverkusen nicht auch noch eingemischt hätten in die Diskussion, wie es mit ihrem abstiegsgeweihten Verein weitergehen soll. Also haben sie am Freitag beim Training Plakate aufgehängt. 17 Namen von aktuellen Spielern waren dort zu lesen. Zum Beispiel Wimmer, Wood, Walace oder Anton. Dahinter die Botschaft: "Namen kommen und gehen - was wir erwarten, ist bedingungsloser Einsatz für unsere Farben!!!" Auffällig: Namen wie Bakalorz, Esser, Weydandt, Prib, Maina oder Sarenren Bazee waren nicht aufgeführt. Es sieht so aus, als seien das aus Anhängersicht jene Profis, mit denen 96 den erneuten Bundesliga-Aufstieg anpeilen soll.

Damit wären sie gar nicht so weit entfernt vom frustrierten Präsidenten Martin Kind, dem sie ja eigentlich in heftiger Abneigung gegenüberstehen. Der hatte vergangene Woche das Team als "kaputt, schlecht zusammengestellt und gescheitert" bezeichnet und den bevorstehenden Abstieg als kaum noch abwendbar bezeichnet. Es waren Worte wie Dolchstöße. Schließlich ist Kinds größte Stärke aus seiner Sicht, ein Realist zu sein. Der Realist hat damit aber auch die Arbeit der handelnden Personen gestört und insbesondere Horst Heldt öffentlich abqualifiziert. Und weil der Manager, der eigentlich auch in der zweiten Liga weiterarbeiten sollte, seine Abfindung nicht gefährden will, hat er nur gesagt, es sei nicht der richtige Zeitpunkt, solche Dinge öffentlich zu diskutieren. Das sei eher etwas, was man intern besprechen sollte. Fußball-Funktionärsdeutsch eben.

Auch der neue Trainer Thomas Doll, dessen Serie mit Ausnahme des 2:0 gegen den Tabellenletzten 1. FC Nürnberg sich auch zahlenmäßig liest wie ein Abstiegsszenario (0:3, 0:3, 0:3, 1:5), wehrte sich dezent gegen den Klubboss. Seine Spieler würden das ganz anders sehen. Es seien ja bei fünf Zählern Rückstand auf den Relegationsplatz noch immer 30 Punkte zu vergeben: "Das ist eine Situation, die für alle nicht einfach ist mit den Aussagen vom Präsidenten. Da kann man aber auch eine andere Meinung haben, und die habe ich."

Ausgerechnet der hart kritisierte Walace soll jetzt 96 antreiben

Doll versucht jetzt, jene Profis um sich zu scharen, deren Charakter er für geeignet hält im Abstiegskampf. Auch deshalb hat er vergangene Woche einen Kapitänswechsel vorgenommen und Marvin Bakalorz anstelle von Waldemar Anton zum Anführer bestimmt. Der erst 22-jährige Verteidiger Anton sei ein bisschen überfordert mit dieser Aufgabe, auch wenn er einer der wenigen sei, die "diesen Verein leben". Das tue aber auch der sieben Jahre ältere Bakalorz: "Der hat schon etwas mehr miterlebt. Er hat ein Standing in der Mannschaft, dass man ihn respektiert und ihm zuhört, das hat er sich erarbeitet."

Einen Widerspruch hat Doll aber nicht aufgeklärt. Warum er am Sonntag den Brasilianer Walace aufstellen will, den er beim 1:5 in Stuttgart wegen fehlenden Engagements auf der Ersatzbank schmoren ließ und über den Kind gerade sagte: "Mit Spielern wie Walace, die nicht bereit sind, alles zu investieren, brauchen wir nicht zu planen." Man kann sich die Kehrtwende nur so erklären: 96 will den 23-jährigen brasilianischen Nationalspieler ins Schaufenster für mögliche Interessenten stellen. Das klappt aber nur, wenn er endlich mal wieder seine verschütteten Fähigkeiten abruft.

Denn eines ist inzwischen klar: der Wiederaufstieg soll mit den Ablösen der teuersten Spieler finanziert werden. Das sind neben Walace noch Anton, der längerfristig ausfallende Niclas Füllkrug und der momentan ebenfalls verletzte Ihlas Bebou. Das Problem für den überzeugten Marktwirtschaftler Kind ist aber, dass der Marktwert genau jener Spieler, die die Kasse füllen sollen, rapide gesunken ist. Walace, bei dem man angeblich eine Klausel im Vertrag hat, dass er bei einem Angebot von 30 Millionen Euro gehen kann, steht nach dem neuesten Update des Portals Transfermarkt nur noch bei zehn Millionen, das sind vier Millionen weniger als noch im Sommer - und klingt immer noch übertrieben. Auch bei Anton ist der Wert um drei Millionen Euro auf zwölf gesunken. Und bei Füllkrug und Bebou ist der Wert seit den Verletzungen nicht gestiegen.

Thomas Doll aber hat seinem Präsidenten, der das Team quasi als tot bezeichnet hatte, noch einmal widersprochen. Das Geburtstagsständchen für Jonathas, der am Mittwoch 30 geworden war, habe etwas anderes gezeigt. "Ich habe mich gefreut, wie die Jungs ihn haben hochleben lassen", applaudierte der Coach, "das habe ich so noch nicht erlebt. Das war großartig. Das hat geknallt, und es war laut, die Mannschaft lebt." Wenn das so ist, kann man ja am Sonntag ein anderes 96-Team erwarten.

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