Hannover - Köln (15.30 Uhr):Lewandowski jagen statt Smog atmen

Hannover 96 v Hamburger SV - Bundesliga

Erzielte auch gegen Hamburg ein Tor: Stürmer Martin Harnik hat sich wunderbar in Niedersachsen eingelebt.

(Foto: Martin Rose/Getty Images)

Martin Harnik hätte für sehr viel Geld nach China wechseln können, doch er entschied sich fürs "graue" Hannover. Nun ist er dort erfolgreichster Torschütze - und nennt seine Mitspieler "Freunde".

Von Jörg Marwedel, Hannover

Manchmal muss man im Leben Entscheidungen treffen, die Auswirkungen haben auf die Familie, das persönliche Fortkommen und die Lebensqualität im Allgemeinen. Für Martin Harnik, 30, war es 2016 mal wieder so weit. Mit dem VfB Stuttgart war der Stürmer aus der Bundesliga abgestiegen, hatte in einer von Verletzungen in Unordnung geratenen Saison gerade mal zwei Tore beigesteuert und war für die heimischen Medien ein Gesicht des Niedergangs des schwäbischen Aushängeschilds gewesen. Für Harnik, den gebürtigen Hamburger mit österreichischem Pass war klar: Er musste nach sechs Jahren in Stuttgart irgendwo anders einen Neustart wagen.

Er hatte ein lukratives Angebot aus China von Shandong Luneng, dem Klub des deutschen Trainers Felix Magath. Doch eine kurze Reise in die von Smogluft durchzogene Stadt Taishan machte ihm schnell klar: Hier würde er auch für das doppelte Gehalt nicht mit seiner Familie wohnen wollen. Auch diese extraordinäre Bezahlung sei es nicht wert, unter so unschönen Bedingungen zu leben. Und dann kam der zweite Bundesliga-Absteiger Hannover 96 mit einer (deutlich bescheideneren) Offerte. Stadt und Verein waren bei ihm zudem unter dem Begriff "farblos" abgelegt. Doch inzwischen hat Harnik eine andere Meinung von der grünen niedersächsischen Metropole und natürlich auch von dem Klub, mit dem es abseits der Fanquerelen derzeit nur aufwärts geht.

Breitenreiter lobt Harniks "Näschen": "Er versenkt die Dinger"

Dazu hat er selbst eine Menge beigetragen. Mit 17 Zweitliga-Toren hat er 96 wieder in die erste Liga geschossen. Wenn die Hannoveraner am Sonntag gegen den 1. FC Köln antreten, belegt 96 einen Platz knapp hinter den Branchengrößen Borussia Dortmund und Bayern München. Und er selbst ist mit vier Treffern in fünf Spielen der Verfolger der Super-Torjäger Robert Lewandowski und Pierre-Emerick Aubameyang.

Ob Hannover wirklich ein schlafender Riese ist, wie Harnik mal sagte, mag dahingestellt sein. Eines aber ist unwidersprochen: Der in der zweiten Liga entwickelte Teamgeist hat sich unter dem im März 2017 gekommenen Trainer André Breitenreiter noch verstärkt. Und weil Harnik ein Mann mit klarer Sprache ist, hat er diese Stärke verbal zugespitzt: "Wir sind wie eine Kneipentruppe auf Bundesliga-Niveau." Er meint, dass sich die Kollegen untereinander "mehr als Freunde denn als Mitarbeiter fühlen". Daran hat der durchaus eigenwillige Angreifer seinen Anteil, besonders auf dem Rasen. Denn auch, wenn er seine Tore "fast alle im Fünfmeterraum macht", wie 96-Idol Dieter Schatzschneider analysierte, ist Harnik während des Spiels überall auf dem Feld unterwegs - selbst wenn er zuweilen mal nicht zu sehen ist.

Dass 96 derzeit "wenig Chancen braucht, um ein Tor zu erzielen", wie Sportdirektor Horst Heldt feststellte, hat natürlich wesentlich mit Harnik zu tun. In Wolfsburg erzielte er das 1:1 mit der Hacke, beim 2:0 gegen den HSV stocherte er den Ball irgendwie ins Tor. Und das Tor beim 1:1 in Freiburg machte er, weil er einfach so nah am Gegenspieler Caglar Söynücü dran war, dass dieser ihm verunsichert die Kugel am Fünfmeterraum überließ. Breitenreiter beschreibt Harniks Hoch so: "Hanno hat einen Lauf und dafür arbeitet er hart." Er habe halt "das Näschen und das Selbstvertrauen, die Dinger zu versenken".

Wenn jemand ein sogenannter Führungsspieler ist, dann ist es in Hannover Harnik - auch wenn die Kapitänsbinde Torwart Philipp Tschauner trägt. Entsprechend warnt der Torjäger vor dem nächsten Gegner: "Köln ist angeschlagen. Aber angeknockte Boxer sind meist die gefährlichsten. Wir stellen uns auf Einiges ein." Gleichwohl wolle man die ungeschlagene Serie fortsetzen. "Wir haben zuletzt alle drum herum verwöhnt", sagt der österreichische Norddeutsche (sein Vater stammt aus der Alpenrepublik). Das Duell in der Arena von Hannover ist vor allem eines, in dem ein Team mit einem aus 15 ungeschlagenen Spielen unter Breitenreiter gespeisten Selbstvertrauen auf eine Mannschaft trifft, die zuletzt in fünf verlorenen Partien jede Selbstsicherheit verloren hat.

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