Hannover:Ein letzter Gänsehautmoment

GER 1 FBL Hannover 96 vs SC Freiburg 11 05 2019 HDI Arena Hannover GER 1 FBL Hannover 96 v

Zu spät den Teamgeist entdeckt: Nach einer vergebenen Chance hilft Hendrik Weylandt (rechts) seinem Kollegen Edgar Prib auf die Beine.

(Foto: imago)

Den Niedersachsen gelingt beim Bundesliga-Abschied wenigstens die Abstiegsparty - der Umbau bei 96 für die zweite Liga könnte radikal ausfallen.

Von Jörg Marwedel, Hannover

Die Mannschaft schüttelte bei ihrer letzten Runde im Stadion viele Hände treuer Fans. Die Anhänger sangen das Lied vom Europapokal. Es wirkte diesmal nicht wie Hohn über versagende Spieler, sondern wie ein Startschuss zur schnellstmöglichen Rückkehr in die Bundesliga. Selbst den geborenen Hannoveraner Niclas Füllkrug, dessen Weggang zu Werder Bremen amtlich ist und der bei seinem letzten Fünf-Minuten-Einsatz für Hannover nach langer Verletzungspause ausgepfiffen wurde, haben sie noch mal gewürdigt. 96-Trainer Thomas Doll lobte "den tollen Zusammenhalt", Freiburgs Stürmer Nils Petersen empfand diesen Bundesliga-Abschied als "Abstiegsparty". Jedenfalls herrsche beim Absteiger "bessere Laune als bei uns".

Das war vielleicht übertrieben, denn es war natürlich "kein schöner Moment", wie Doll seinen ersten persönlichen Abstieg und den sechsten in der 96-Geschichte nannte. Zumindest einige Profis hatten doch Tränen in ihren Augen. Aber tatsächlich hatten die Hannoveraner bei diesem 3:0-Sieg das beste Spiel seit Monaten gemacht. Freiburgs Coach Christian Streich drückte es so aus: Der Sport-Club habe wie ein Absteiger und Hannover wie ein Team aus dem Bundesliga-Mittelfeld gespielt.

Die Niedersachsen hatten auf jeden Fall versucht, das Wunder noch möglich zu machen, nämlich in zwei Spielen einen Sechs-Punkte-Rückstand auf den auf dem Relegationsplatz liegenden VfB Stuttgart aufzuholen. Aber selbst der Trick, den für den VfB günstigen Zwischenstand gegen Wolfsburg nicht zu vermelden, nützte nichts. Ein Wahlergebnis wird ja auch nicht besser, nur weil man bei den Hochrechnungen die Zahlen der Konkurrenz nicht nennt.

Gleichwohl wurde in dieser Partie, die durch Tore von Waldemar Anton (39. Minute), Ihlas Bebou (51.) und Walace (81.) entschieden wurde, deutlich, dass die Saison aus Hannoveraner Sicht besser hätte laufen können, wenn Profis wie Füllkrug, Edgar Prib sowie die schnellen Außen Bebou und Linton Maina (die gegen Freiburg viel Druck ausübten) nicht über Monate ausgefallen wären. Sie alle sind erst jetzt zurückgekommen. Zudem stand der von der TSG Hoffenheim geliehene U21-Auswahlspieler Kevin Akpoguma als Abwehrbollwerk nach nur vier Spielen mit einer Schulterverletzung nicht mehr zur Verfügung.

Aber das ist nur die eine Wahrheit. Die andere ist: Die von Manager Horst Heldt und Trainer André Breitenreiter gebaute Mannschaft, in die 18,5 Millionen Euro investiert wurde, ließ in der Hinrunde Teamgeist vermissen. Breitenreiter, wie Heldt im Frühjahr entlassen, verriet im Dezember, der Mannschaftsrat habe ihm schon vor Längerem mitgeteilt, "dass in unserer Kabine keine Einheit herrscht". Das passte zum Gesamtbild, auch zwischen 96-Hauptgesellschafter Martin Kind und den opponierenden Fans herrschte Dissonanz. Letztere stellten sich massiv gegen die von Kind angestrebte Ausnahmegenehmigung von der 50+1-Regel, die ihm noch mehr Macht verliehen hätte.

Der "tolle Zusammenhalt", von dem Doll sprach, entwickelte sich erst, als Kind seinen Antrag beim DFB in Übereinstimmung mit der neuen, ihm kritisch gegenüber eingestellten Vereinsführung vorerst ruhen ließ. Zudem hat Doll den vermissten Teamgeist entfacht. Auch, indem er Kämpfer wie Hendrik Weydandt oder Marvin Bakalorz förderte und Spieler, die vor allem auf sich selbst schauen (Walace, Bobby Wood) degradierte. Eigengewächs Anton entzog er die Kapitänsbinde, weil der 22-Jährige überfordert war, Doll übergab sie dem erfahrenen Bakalorz.

Ob Doll nun auch der Mann sein wird, der die Hannoveraner wieder nach oben bringen soll, ist eher unwahrscheinlich. Man wolle nach der Saison selbstkritisch die Lage analysieren, sagte Kind beim TV-Sender Sky und fügte an: "Wir sind offen für einen Neuanfang. Wie der sich darstellen wird, kann ich nicht beantworten." Doll, der über einen Vertrag bis 2020 verfügt, sagt, er sei "in diesem Moment wirklich der Unwichtigste von allen". Zugleich machte er deutlich, dass ihm die Arbeit in Hannover "trotz der ganzen Niederlagen Spaß gemacht" habe. Zudem sei die zweite Liga "eine harte Kiste". Da brauche man Spieler, die das auch annehmen.

Die Leihspieler Wood, Nicolai Müller, Akpoguma und Kevin Wimmer kehren zu ihren alten Klubs zurück. Füllkrug ist verkauft, Walace soll ebenso Geld bringen wie womöglich Anton und Bebou. Das Gerüst könnten Torwart Michael Esser, Bakalorz, Prib, Weydandt und Maina bilden. 96 hat zwar nach Heldts Abschied noch keinen Manager, aber der frühere 96-Profi Jan Schlaudraff plant im Moment mit dem Sportlichen Leiter Gerhard Zuber die Zukunft. Und noch etwas hat Bakalorz nach der Abstiegsparty noch mal betont: "Das war ein Gänsehautmoment. Hannover ist eine Fußballstadt."

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