Hannover 96:Spieler zittern vor den eigenen Fans

Fußball: Bundesliga, FSV Mainz 05 - Hannover 96

Hannovers Spieler jubeln, die Fans schweigen weitgehend.

(Foto: dpa)
  • Der Konflikt zwischen Klub-Patriarch Martin Kind und zahlreichen Fans scheint zu eskalieren.
  • Die Mannschaft übt sich in Zurückhaltung und Neutralität.
  • Der Stimmungsboykott beschäftigt die Spieler: "Hoffentlich sind sie sich ihrer Verantwortung bewusst, wir brauchen jeden einzelnen", sagt Harnik.

Von Johannes Aumüller, Mainz

Martin Harnik wirkt nicht wie jemand, der sich schnell vor etwas fürchtet. Lange Mähne, üppiger Bart und den rechten Arm von unten bis zum Trikotansatz voller Tattoos - und noch dazu kam er vor 30 Jahren im Stamme der furchtlosen Österreicher zur Welt. Aber als der Angreifer von Hannover 96 am Samstag in Mainz vor die Journalisten trat, kam er nicht umhin, ein gewisses Unbehagen zu formulieren. "Mir graut es, wenn ich mir vorstelle, dass sie auch bei unserem Heimspiel nächsten Sonntag so ruhig sind", sagte er. Mit "sie" meinte er: die eigenen Fans.

Eine Saison ohne Stimmung?

Hannover 96 durchlebt fürwahr merkwürdige Zeiten. Da kann der Klub sportlich sehr befriedigende Phasen genießen, da feierte er im Sommer nach nur einem Jahr Abstinenz seine Rückkehr in die Bundesliga und startete in Mainz dank eines Treffers von Harnik (73.) gleich mit einem Sieg in die neue Saison. Aber wegen des eskalierenden Konfliktes zwischen Klub-Patriarch Martin Kind und zahlreichen Fans ist Hannover im Zustand dauernder Unruhe - und mit Beginn der Saison erhält das noch einmal eine neue Färbung. Nun geht es nicht mehr nur um die Debatte, wem der Klub gehört und mit welchen Methoden die beiden Seiten ihre Auseinandersetzung bestreiten. Jetzt geht es auch um die Frage, ob so ein Konflikt Auswirkungen aufs sportliche Geschehen haben kann.

Stimmungsboykott für die ganze Saison, das war die Losung, die viele Hannoveraner Fans vor einer Woche vereinbart hatten. Und tatsächlich war in Mainz von ihnen 73 Minuten lang nichts zu hören, sondern nur zu lesen. "Kind muss weg", forderten sie auf einem Plakat, und immerhin an diesem Tag war der Präsident auch nicht da, sondern schaute sich die Partie wegen eines privaten Abendtermins zu Hause am Fernseher an. Dann schoss Harnik nach 73 Minuten das 1:0, und der Stimmungsboykott war fürs Erste dahin. Eine schöne Bundesliga-Rückkehr wirkt bei manchen Anhängern doch schwerwiegender als der Groll auf den ungeliebten Patron.

Es fällt den Spielern merklich schwer, mit dieser Situation umzugehen. Sie fühlten sich nur als "Nebendarsteller", sagte Harnik, und sie wollten in keiner Weise Stellung beziehen. Aber sie müssen aufpassen, eine vernünftige Balance zu wahren. Sie wollen ja niemanden verärgern, nicht den Boss und nicht die Fans. In Mainz sah das dann so aus, dass die Spieler trotz Stimmungsboykotts und Kind-muss-weg-Plakats noch in die Kurve gingen, um sich zu bedanken. Aber als sie das Thema hinterher kommentieren sollten, waren sie auf größte Nüchternheit bedacht. "Wir bedanken uns immer bei den Fans, die mitgereist sind. Das haben wir auch heute gemacht und das war's eigentlich. Das machen wir doch bei jedem Auswärtsspiel", sagte Kapitän und Torwart Philipp Tschauner.

Der Heimvorteil steht auf dem Spiel

Es war ein recht glücklicher Sieg, den Mannschaft und Fans dann bejubeln durften. Mainz war beim Bundesliga-Debüt von Trainer Sandro Schwarz zunächst die bessere Elf mit den besseren Chancen (Stefan Bell, 6.; Yoshinori Muto, 19./31.) - und in der Nachspielzeit wurde ein Schuss von Robin Quaison erst kurz vor der Torlinie von Waldemar Anton weggegrätscht. Dazwischen lagen nur zwei Möglichkeiten für die 96er, eine vergebene durch Felix Klaus (58.) und die genutzte durch Harnik.

Mischung aus Mahnen und Appellieren

Sie wissen in Hannover nur zu gut, dass es für den anvisierten Klassenerhalt wieder die Heimstärke der Vorsaison braucht, als nur eine Partie verloren ging - und da kommt das Fan-Verhalten ins Spiel. Heimstärke gibt es nur bei angemessener Stimmung, und entsprechend sorgenvoll blicken die Hannoveraner nun auf das Duell mit Schalke am Sonntag und die weiteren Partien. Bei einem Auswärtsspiel wie in Mainz sei so ein Stimmungsboykott noch leichter zu kompensieren, sagte Harnik, aber bei einem Heimspiel wäre ein ruhiges Stadion schwierig.

"Hoffentlich sind sie sich ihrer Verantwortung bewusst, wir brauchen jeden einzelnen", sagte er. Sportchef Horst Heldt, naturgemäß klarer als die Spieler pro Präsident positioniert, hatte schon unter der Woche angemerkt: "Ich kann mich daran erinnern, dass der letzte Stimmungsboykott beinahe dazu geführt hätte, dass 96 abgestiegen wäre."

Es ist nur die Frage, ob diese Mischung aus Mahnen und Appellieren auch reicht, um den Fans den Stimmungsboykott wieder auszureden. Zwar hat bei Fußballklubs sportlicher Erfolg schon öfter verfahrene Situationen gelindert; aber der Konflikt in Hannover mutet doch zu substanziell und tief greifend an.

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