Süddeutsche Zeitung

Hannover 96:Eine besonders schöne Spekulation

  • Die Unruhe bei Hannover 96 hat sich nach dem Abstieg anscheinend etwas gelegt.
  • Nun sollen Mirko Slomka, der wieder Trainer in Hannover ist, und der einstige Profi Jan Schlaudraff als Sportdirektor den Klub renovieren.
  • Zum Zweitliga-Start an diesem Freitagabend (20.30 Uhr) geht es gegen den VfB Stuttgart.

Von Martin Schneider

Fußballer fliegen im Sommer nach Mallorca, und manchmal kommt was Gutes dabei heraus. Hannovers Kapitän Marvin Bakalorz weilte in diesem Jahr dort auf einer Hochzeit, und weil Jan Schlaudraff, der längst nicht mehr Spieler, sondern nun Sportdirektor bei Hannover 96 ist, das wusste und unbedingt wollte, dass Bakalorz auch nach dem Bundesliga-Abstieg in Hannover bleibt, flog er ebenfalls nach Palma. Auf Malle überzeugte er Bakalorz, 29, seinen Verein nicht im Stich zu lassen. So jedenfalls geht die Geschichte, die sie in Hannover jetzt gerne erzählen. Die Botschaft: Der Kapitän bleibt an Bord!

Und nun? Volle Fahrt voraus, bloß weit weg von dieser furchtbaren letzten Saison!

Vor jeder neuen Spielrunde stellt sich jeder Klub die Frage: Was wird das nun? Hannover 96 ist gerade ein besonders schöner Spekulationsfall. Vor dem Zweitliga-Auftakt beim VfB Stuttgart an diesem Freitag findet man für jede erdenkliche Saisonprognose treffliche Für-und-Wider-Argumente. Eine Auswahl: Der neue Trainer Mirko Slomka, 51, war - von einem desaströsen Zehn-Spiele-Intermezzo beim Karlsruher SC abgesehen - fast fünf Jahre raus aus dem Fußballgeschäft. Einerseits. Andererseits war er der letzte Trainer, mit dem Hannover so etwas wie Erfolg hatte.

Mit Niclas Füllkrug (nach Bremen) und Ihlas Bebou (zu Hoffenheim) verliert das Team nach dem Abstieg wichtige Profis, allerdings gelten die neuen Stürmer Cedric Teuchert (kommt aus Schalke) und Marvin Ducksch (kommt aus Düsseldorf und war einst in Kiel sogar mal Zweitliga-Torschützenkönig) als durchaus durchschlagskräftig in der zweiten Liga. Zudem kehrt Ron-Robert Zieler zurück, jener Torwart, der das Kunststück geschafft hat, als 96-Mitglied Weltmeister zu werden - wenn auch nur als Zuschauer in Rio auf der Bank. Neben Zieler kommt in Sebastian Jung ein weiterer ehemaliger Nationalspieler, auch wenn Jung nur ein Länderspiel zubuche stehen hat. Zudem bleiben neben Bakalorz die Stammspieler Edgar Prib, Stoßstürmer Hendrik Weydandt und U 21-Nationalspieler Waldemar Anton. Falls es Schlaudraff schafft, den Brasilianer Walace zu verkaufen, wäre im Budget sogar Platz für den Transfer eines weiteren Innenverteidigers.

Das ergibt in der Summe für die zweite Liga einen ordentlichen Kader, allerdings sind die Mannschaften der Konkurrenz nicht unwesentlich schlechter. Neben Hannover gibt es mit Stuttgart und dem Hamburger SV natürliche Anwärter auf die zwei sicheren Aufstiegsplätze, im Rest des Feldes drängt der 1. FC Nürnberg nach oben.

Was Hannover helfen könnte: Die Unruhe der Vorsaison scheint sich etwas gelegt zu haben. Trainer Thomas Doll, der auch dadurch auffiel, dass er den Phrasen-Baukasten des Fußballs leerte ("Müssen den Bock umstoßen ...") und die Verantwortung eher bei der Mannschaft als bei sich selbst sah, ist nicht mehr da. Und auch der Machtkampf zwischen Martin Kind und den Fans ist vorerst entschieden - zu Gunsten der Fans. Auf der Mitgliederversammlung wurde Kind als Präsident des Vereins abgewählt, im Aufsichtsrat dominieren seine Gegner. Seinen Antrag auf Übernahme des Vereins (aufgrund einer Ausnahmegenehmigung in der sogenannten 50+1-Regel) lässt der 75-Jährige nun ruhen - es heißt, das von Kind angerufene Ständige Schiedsgericht werde ihn sowieso ablehnen. Kind führt aber als Besitzer der Spielbetriebs-GmbH weiter die Geschäfte und ist sich mit dem neuen Präsidenten Sebastian Kramer (ein ehemaliger Fanbeauftragter) in vielen Punkten uneins. Hannover 96 machte im vergangenen Geschäftsjahr außerdem 18 Millionen Euro Verlust, in dieser Saison plant Kind mit einem Minus von 17 Millionen Euro.

96-Trainer Slomka hat die Chance, einen Negativrekord zu verhindern

Schlüsselfigur dieses Konglomerats ist aber der neue Trainer, der zusammen mit Schlaudraff so etwas wie das Europapokal-Duo vom Maschsee bildet. Der eine war als Spieler, der andere als Trainer maßgeblich daran beteiligt, dass Hannover 2011/12 in der Europa-League-Qualifikation den FC Sevilla ausschaltete und erst im Viertelfinale knapp an Atlético Madrid scheiterte. Das ist lange her, aber doch keine Geschichte aus dem vergangenen Jahrhundert. Slomka wohnt weiter in Hannover, er ist in der Stadt bestens vernetzt und hat dank der zwei Europa-League-Teilnahmen (2011/12, 2012/13) immer noch einen gewissen Kredit. Erst Slomkas Zeit beim Hamburger SV (Februar bis September 2014) bedeutete den Bruch in seiner Karriere, aber zu seiner Verteidigung könnte man vorbringen, dass bislang noch fast jede Trainerkarriere beim HSV zumindest einen Knick bekam.

In der Gegenwart hat Slomka zunächst die Chance, einen Negativrekord zu verhindern. Hannover 96 hat letztmals ein Liga-Auswärtsspiel am 21. Oktober 2017 in Augsburg gewonnen - seitdem folgten 29 Spiele in fremden Stadien ohne Sieg. Nur noch sechs Partien fehlen bis zur Rekordauswärtspleitenserie des Karlsruher SC. Gut zu wissen, dass in Stuttgart fast alle Profis zur Verfügung stehen, nur Timo Hübers (Knie-OP) sowie Teuchert (Muskelfaszienverletzung) fallen erst einmal aus.

Mirko Slomka tritt in der Vorbereitung bescheiden auf, wohl auch, weil er ahnt, dass einem große Sprüche in der kernigen Niederung der zweiten Liga in Aue, Sandhausen, Osnabrück oder Wehen-Wiesbaden schnell um die Ohren fliegen können. Davon konnte er offenbar auch Martin Kind überzeugen. Der Immer-noch-Chef von Hannover 96 gab zunächst das Ziel Wiederaufstieg aus. Nun heißt es nur noch, die direkte Rückkehr in die erste Liga sei nicht das offizielle Saisonziel. Sondern nur ein Wunsch.

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SZ vom 26.07.2019/tbr
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