Hannover 96:Nur regionale Marke

Fußball - 50+1

Seit 1997 hat Martin Kind Hannover 96 professionalisiert – ihm hat das nicht mehr gereicht.

(Foto: Peter Steffen/dpa)

Martin Kind zieht seinen ruhenden Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung von der 50+1-Regel für Hannover 96 zurück.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Martin Kind hatte Großes vor. Der einstige Präsident von Hannover 96 wollte, wie er sagte, den Klub von einer "regionalen Marke" in eine "nationale Marke" verwandeln und als Hauptgesellschafter mit weiteren Investoren (wie dem befreundeten Drogerie-Unternehmer Dirk Rossmann) alleiniger Machthaber in der ausgegliederten Profi-Abteilung sein. Es waren Pläne, die zwischenzeitlich den ganzen deutschen Fußball beschäftigten. Eine Weile sah es so aus, als sollte Kind sein Vorhaben gelingen. Zwischen 2011 und 2013 qualifizierte sich 96 zwei Mal für die Europa League. Doch danach ging es bergab, 2016 und in diesem Sommer erneut bis in die zweite Liga - auch weil Kind eine Menge falscher Personalentscheidungen traf.

Kinds Versuch, 2017 bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) eine Ausnahmegenehmigung von der 50+1-Regel zu erlangen, wie sie schon der VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen und 1899 Hoffenheim besitzen, wurde vor einem Jahr vom DFL-Präsidium abgelehnt. Dass Kind seit über 20 Jahren die Geschicke bei 96 bestimmt, reichte der DFL nicht. Die Regelung besagt generell, dass ein Klub die Anteils-Mehrheit gegenüber Investoren haben muss. Und jetzt hat der Hörgerätefabrikant Kind, der inzwischen kein Präsident, sondern nur noch Geschäftsführer der 96-Tochtergesellschaften ist, seinen zuletzt ruhenden Antrag gegenüber dem Ständigen Schiedsgericht für Vereine und Kapitalgesellschaften zurückgezogen. Die Gründe für diese Rücknahme und "die Entscheidungen für die Zukunft" würden "in Kürze" dargelegt werden, hieß es auf der 96-Homepage.

Hat Kind eingesehen, dass sein Machtanspruch den Verein zerstören könnte?

Die Frage ist, ob Kind eingesehen hat, dass er, der den Klub 1997 vor dem Konkurs bewahrt und in zwei Jahrzehnten professionelle Strukturen bei 96 aufgebaut hatte, mit seinen Machtansprüchen den Verein zerstören könnte. Ein Teil der Fans hatte nach dem Wiederaufstieg 2017 der Mannschaft monatelang die Unterstützung verweigert und immer wieder mit "Kind-muss-weg"-Rufen protestiert. Im März 2019 verhalf dann die Mitgliederversammlung des Stammvereins Hannover 96 e.V. der Opposition im Aufsichtsrat zur Mehrheit und wählte mit Sebastian Kramer einen Präsidenten, der sich für die Beibehaltung der 50+1-Regel aussprach.

Die Führung des 96 e.V. will im Gegensatz zu Kind, dass der Klub weiterhin Einfluss auf die Entscheidungen der Profi-Abteilung behält. Es gibt Verhandlungen der Parteien, aber theoretisch könnte der Verein Kind inzwischen auch entlassen. Der wiederum hätte die Möglichkeit, sein Geld aus dem Klub zu ziehen. Das hätte schwerwiegende Folgen für 96 - auch wenn Kind nach Meinung der DFL nur einen Bruchteil desen investiert hat, was etwa Milliardär Dietmar Hopp für Hoffenheim ausgab.

Vermutlich haben Kind und sein Anwalt Christoph Schickhardt nur noch wenig Aussicht auf Erfolg gesehen. Schickhardt warf dem Vorsitzenden des Ständigen Schiedsgerichts, Udo Steiner, vor, dass dieser "alles in seiner Macht Stehende unternimmt, um die 50+1-Regel aus traditionellen Überlegungen zu retten". Für den Fall eines Scheiterns vor dem Schiedsgericht hatte Kind schon lange eine Klage vor dem Landgericht Frankfurt vorbereiten lassen - auch bei der Europäischen Kommission für Wettbewerbsrecht könnte er sich beschweren. Viele Juristen sind der Ansicht, dass die nur in Deutschland geltende 50+1-Regel nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Ein entsprechendes Urteil könnte Auswirkungen auf den ganzen deutschen Fußball haben, die Beschränkung des Investoren-Einflusses wäre womöglich obsolet.

Einfacher wäre es für Martin Kind, sich von der Vision der "überregionalen Marke" Hannover 96 und seinen totalen Machtansprüchen zu verabschieden. Die ersten Schritte hat er ja schon getätigt: Mit Trainer Mirko Slomka, dem einstigen Regisseur Jan Schlaudraff als Sportdirektor und dem zurückgeholten Weltmeister-Torwart Ron-Robert Zieler hat er schon viel dafür getan, dass 96 zumindest eine regionale Marke bleibt.

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