Es gibt Gerichtsurteile, die lösen einen Streitfall, sie klären ihn auf - und es gibt solche, die machen alles nur noch komplizierter. So geschehen gerade in Hannover, wo der Geschäftsführer der Profifußballer von Hannover 96 am Dienstag vor dem Landgericht einen kleinen Sieg erringen konnte: Martin Kind, 78, darf sein Amt nun doch weiter ausüben, obwohl ihm Anfang August noch mit großem Knall gekündigt worden war.
Diese Kündigung sei vorschnell und unrechtmäßig erfolgt, urteilten die Richter, weil unter anderem die Zustimmung des maßgeblich entscheidenden Aufsichtsratsgremiums gefehlt habe. In einem Hauptsache-Verfahren soll die Angelegenheit endgültig geklärt werden; wann dieses eröffnet wird, ist jedoch unklar.
Und jetzt? Sind die Gräben noch tiefer geworden. Kind auf der einen Seite, der Mutterverein von Hannover 96 auf der anderen - so geht das schon seit Jahren, nun eben offiziell vor Gericht. Kind weiß, dass ihn der Vorstand um den Vorsitzenden Sebastian Kramer dringend loswerden möchte. Als Geschäftsführer werden Kind Weisungsverstöße vorgeworfen. Er hätte Fördergelder verspätet überwiesen und bei Großausgaben, etwa bei der Ablöse für den neuen Trainer Stefan Leitl, nicht zuvor den Aufsichtsrat kontaktiert. Kind bestreitet dies.
Ohne Kind ging im Verein in den letzten drei Jahrzehnten nichts - das weiß er natürlich
Kinds Glück (und das Pech seiner Gegner) ist es, dass er in den vergangenen Jahrzehnten bei 96 fast ohne Gegenwind schalten und walten konnte. Der vermögende Hörgeräte-Unternehmer hatte zeitweise die komplette Macht im Verein an sich gerissen; hätte ihn in dieser Zeit jemand entlassen können, dann nur Martin Kind selbst. Und auch jetzt, da die Opposition im Hauptverein erstarkt ist und unter anderem das Präsidentenamt übernommen hat, ist seine Macht noch groß.
Denn die Strukturen im Verein sind reichlich kompliziert, so ist Kind nicht nur Geschäftsführer der Profifußballer, sondern auch Mehrheitsgesellschafter der mächtigen Sales&Service GmbH&Co. KG, der die Profifußball-KGaA zu 100 Prozent gehört. Ohne Kind und seine befreundeten Geschäftspartner, zu denen der Drogerie-Großunternehmer Dirk Rossmann zählt, geht bei den Niedersachsen also nichts. Der Aufsichtsrat der Management GmbH, der Kind abberufen könnte, ist zudem paritätisch besetzt - zwei Aufsichtsräte stehen auf Kinds Seite, zwei auf der des Vereinsvorstands. Es sei "auch für Juristen eine spannende Frage, wie das Ganze hier ausgeht und keinesfalls eindeutig", sagte Richter Carsten Peter Schulze.
Und Kind wäre nicht Kind, würde er nicht gleich zum Gegenangriff übergehen. Er kritisierte das "unnötige und nicht zu Ende gedachte Vorgehen" und legte dem Vorstand den Rücktritt nahe. Wie soll bei all diesem Streit und Zwist eine Mannschaft, die nicht gerade glorreich in die Zweitligasaison gestartet ist, eigentlich aber aufsteigen möchte, erfolgreich Fußball spielen?
Die große Frage: Ginge es bei 96 tatsächlich auch ohne Martin Kind?
Möglicherweise steht am Ende des Hauptsache-Verfahrens tatsächlich die Ablösung Kinds. Und dann? Wird alles noch vertrackter. Dann stünde Kind, immer noch Hauptgeldgeber, in direktem Konflikt mit einem neuen 96-Geschäftsführer. Dieser dürfte, da ihn satzungsgemäß der Verein beruft, ein Freund der 50+1-Regel sein, die den Einfluss von Investoren grundsätzlich begrenzt. Martin Kind ist bekanntlich deren schärfster Gegner im deutschen Profifußball. Als in den vergangenen Wochen in der Stadt der Name Andreas Rettig (ein Freund von 50+1) als Kandidat für den Geschäftsführerposten kolportiert wurde, ließ Kind prompt seine Ablehnung mitteilen.
Gibt Kind sein Geld in Zukunft nur noch, wenn ihm die Entscheidungen der neuen Geschäftsführung genehm sind? Oder zieht er sich komplett aus dem Verein zurück, den er 1997 vor dem Ruin gerettet und zwischenzeitlich bis in den Europapokal geführt hat? In diesem Fall, da sind die Beobachter einig, müsste der Zweitligist augenblicklich um seine Lizenz fürchten, wird nicht ein anderer, ebenso solventer Geldgeber präsentiert. Das weiß auch der aktuelle Vorstand. Loswerden wollen sie Martin Kind trotzdem lieber heute als morgen. Das mag verständlich sein, doch ob es auch zu Ende gedacht ist, ist die große Frage.