Süddeutsche Zeitung

Hannover 96:Schlappe für Kind - die Opposition siegt

  • Martin Kind erlebt bei der Mitgliederversammlung von Hannover 96 eine schwere Schlappe.
  • Der Aufsichtsrat des Vereins wird künftig ausschließlich mit Kind-Kritikern besetzt sein.
  • "Das wird jetzt sicher nicht einfach", sagte Kind am Samstagabend. Als Präsident des Stammvereins war er zuvor schon zurückgetreten.

Von Carsten Scheele, Hannover

So hatte sich Martin Kind seinen Abschied als Präsident von Hannover 96 nicht vorgestellt. Als das Abstimmungsergebnis bekannt gegeben wurde, brach lauter Jubel aus in der Swiss Life Hall. Kinds Kritiker klatschten ab, manche fielen sich in die Arme. Sie stellen im neuen Aufsichtsrat, der am Samstag auf der Mitgliederversammlung gewählt wurde, gleich fünf von fünf Mitgliedern. Im Verein bedeutet dies einen Umsturz - für Kind einen empfindlichen Machtverlust.

Seine Kritiker wurden bislang "die Opposition" genannt. Jetzt stellen sie die Mehrheit. "Heute ist der Tag, an dem wir wieder zueinander finden", jubilierte Ralf Nestler, Kind-Kritiker und vermutlich Chef des neuen Aufsichtsrats, nach den Streitereien der vergangenen Monate. Nestler sitzt künftig gemeinsam mit dem früheren 96-Profi Carsten Linke, Jens Boldt, Lasse Gutsch und Nathalie Wartmann im Gremium. Die Kandidaten aus dem Kind-freundlichen Lager erhielten deutlich weniger Stimmen.

Die neuen Machtverhältnisse werden schon bei der Wahl von Kinds Nachfolger als Vereinspräsident greifen: Der neue Aufsichtsrat wird in einigen Tagen Sebastian Kramer ernennen, einen erklärten Kind-Kritiker und früheren Fanbeauftragten, der künftig das oberste Vereinsamt inne haben wird. Der zeigte sich vom Votum überrascht: "Dass es so klar ausfällt, hätte ich nicht erwartet", sagte Kramer am Samstagabend.

Eine Provinzposse, die für den gesamten Fußball steht

Für Kind brechen damit harte Zeiten an. Als Präsident tritt er ab, Geschäftsführer der ausgegliederten Profigesellschaft (sowie einiger Untergesellschaften) und Hauptinvestor möchte er aber bleiben. Als solcher kämpft er weiterhin für eine Ausnahmeregelung von der umstrittenen 50+1-Regel, mit der er als Hauptgesellschafter die finanzielle Macht bei Hannover 96 übernehmen würde. Der Fall liegt aktuell vor dem Ständigen Schiedsgericht der DFL.

"Das wird jetzt sicher nicht einfach", sagte Kind nach der Versammlung. Er sah tief betroffen aus. Ob dies ein guter oder schlechter Tag für 96 sei, wurde er gefragt. Kind antwortete kühl: "Das wird die Zukunft zeigen."

Der allmächtige Hörgeräteunternehmer gegen seine Kritiker - von außen betrachtet mochte es wie eine Provinzposse wirken, doch was an diesem Samstag in Hannover geschah, steht für den Fußball im ganzen Land. Der 96-Aufsichtsrat besteht nun ausschließlich aus Gegnern von Kinds 50+1-Politik - die Mitglieder befinden sich damit mehrheitlich auf der Linie der Traditionalisten im Land. Gegen den noch größeren Einfluss von Investoren im deutschen Fußball, pro 50+1 in jetziger Form.

Kind hatte bereits zu Beginn der Versammlung eine fast 17-minütige Abschiedsrede gehalten. Dass zu seinem Rücktritt nach mehr als 20 Jahren als Präsident ausgerechnet der neuerliche Abstieg aus der Bundesliga droht, findet Kind ausdrücklich "zum Kotzen". Das abgelaufene Geschäftsjahr habe einen Verlust von 18 Millionen Euro ergeben, im Fall des Abstiegs rechnet Kind mit weiteren 17 Millionen Euro Verlust. In schweren Zeiten brauche 96 "Kontinuität", beschwor Kind die Mitglieder - doch diese entschieden sich für den großen Umbruch. Die Gräben sind tief, so stand etwa ein Drittel der Halle zum Abschluss der Rede auf, um Kind zu danken. Der Rest blieb schweigend sitzend.

Dagegen wurde die erste Kind-kritische Wortmeldung mit langem Applaus bedacht - der war lauter als nach Kinds Abschiedsrede zuvor. Immer wieder gerieten die verschiedenen Lager aneinander, Wortbeiträge wurden mit Zwischenrufen unterbrochen, wenn auch nicht so drastisch wie bei der Versammlung im vergangenen Jahr. Immerhin bedankte sich Robin Krakau, einer der schärfsten Kritiker Kinds, beim scheidenden Präsidenten für die geleistete Arbeit - "auch wenn wir selten einer Meinung waren".

Der neue Aufsichtsrat wird Kinds Arbeit stärker kontrollieren - und könnte den Geschäftsführer in letzter Konsequenz sogar abberufen. Und der Abend hielt weitere Niederlagen für Kind bereit: Wie schon bei der Mitgliederversammlung 2018 wurden weder Vorstand noch Aufsichtsrat von den Mitgliedern entlastet - ein vor allem symbolischer Schritt, der die Unzufriedenheit der Mehrheit der Mitglieder zum Ausdruck brachte.

Kind muss nun sehen, wie er mit den veränderten Machtverhältnissen umgeht. Ein Szenario, das durch die Stadt geistert: Kind könnte sich zurückziehen, seine Anteile als Investor verkaufen, den Verein, den er aus der Regionalliga zu einem erfolgreichen Bundesligisten geformt hat (der sogar zweimal im Europapokal spielte), künftig sich selbst überlassen. Diesen Schritt erwartet er nicht, sagte Kramer, der designierte Präsident. Er glaubt an eine weitere Zusammenarbeit mit Kind: "Ich glaube nicht, dass er die Leine verlässt." Bei 96 gilt es nun, ein demokratisches Votum umzusetzen.

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