Hannover 96:Felipes schwere Nacht

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Das zweite von drei Felipe-Unglücken: Hannovers Verteidiger (in rot) unterläuft das Eigentor zum 2:3.

(Foto: Ronny Hartmann/AFP)

Bei der 2:4-Niederlage gegen den BVB verhilft Hannovers Verteidiger Felipe den Dortmundern gleich zu drei Treffern.

Von JÖRG MARWEDEL, Hannover

Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Mats Hummels kann besser Englisch als Lothar Matthäus oder Berti Vogts. Beweisen konnte er es am Samstag, als ein internationaler Fernsehsender ihn nach dem 4:2-Sieg von Borussia Dortmund bei Hannover 96 fragte, ob der BVB wieder bereit sei, dem FC Bayern die deutsche Meisterschaft streitig zu machen. Das wäre wunderbar, antwortete er nach dem "close fight", also einem engen Kampf in Hannover. Aber "the distance", der Abstand zwischen beiden Teams, sei in den vergangenen Jahren doch sehr groß gewesen.

Anderseits konnte Hummels den neunten Pflichtspielsieg im neunten Spiel, den besten Dortmunder Start in 53 Jahren Bundesliga und die Verteidigung der Tabellenspitze nicht kleinreden. Die Dortmunder Anhänger, die das gegnerische Stadion zum großen Teil in schwarz-gelbe Borussia-Farben getaucht hatten, formulierten ihren Wunsch lautstark: "Deutscher Meister wird nur der BVB, nur der BVB." Und so knapp, wie Hummels es schilderte, war es dann auch wieder nicht - obwohl die 96er grandios kämpften, 1:0 durch Artur Sobiech (18. Minute) in Führung gingen und, ebenfalls durch Sobiech, noch einmal zum 2:2 in der 53. Minute ausglichen. Zu "dominant" war aber der Spitzenreiter über weite Strecken aufgetreten, wie Trainer Thomas Tuchel in einer erneuten Hymne auf seine neue Mannschaft hervorhob. Es hätte zwar nach dem Ausgleich in eine andere Richtung gehen können, sagte Klubchef Hans-Joachim Watzke, aber das sei "nicht sehr wahrscheinlich" gewesen.

Einen fremden Helfer hat die Borussia für ihr weitgehend souveränes Spiel aber doch gut gebrauchen können: Felipe Trevisan Martins, genannt Felipe, der kurzfristig für Hannovers rückenkranken Kapitän Christian Schulz in der Innenverteidigung aushelfen musste. Nach der Partie hat ihm 96-Trainer Michael Frontzeck eine "schwere Nacht" vorhergesagt, das war eher mitfühlend gemeint, Frontzeck ist ein empathischer Mensch. Der Brasilianer Felipe, der mit seiner Frisur aussieht wie ein Doppelgänger seines Landsmannes Dante, hatte den Dortmundern am Ende zu drei Toren verholfen. In der 34. Minute stieß er im Strafraum ziemlich ungeschickt Jonas Hofmann um, den Elfmeter verwandelte Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang unaufgeregt. In der 67. Minute hob Felipe dann den Ball nach einer Hereingabe von Matthias Ginter über Keeper Zieler zum 2:3 ins eigene Tor. Und in der 85. Minute touchierte er nach einer Flanke von Shinji Kagawa die Kugel mit der Hand. Diesmal lupfte Aubameyang beim Strafstoß den Ball so cool ins Netz, dass man all das neue Selbstvertrauen der Borussen ebenso erleben konnte wie beim Volleyschuss von Hendrikh Mkhitaryan zum 1:2 kurz vor der Halbzeit.

Die neue Sicherheit war auch beim Vorlagengeber Ginter zu spüren, dem zum rechten Außenverteidiger umgeschulten Weltmeister ohne Einsatz. In Hannover hat der gelernte Innenverteidiger und defensive Mittelfeldspieler den dritten und vierten Assist aufgelegt. Das brachte ihm mehr als ein Extra-Lob ein. "Einige hatten ja schon von einem Fehleinkauf geschrieben", stellte Watzke süffisant fest. Tuchel überzeugte, "mit welcher Offenheit er Ja gesagt hat", als er ihm nach den Verletzungen von Lukasz Piszczek und Erik Durm die neue Position vorschlug. Ginter selbst hat dort inzwischen "wahnsinnig Spaß". Es sei ja im Grunde ein Mix aus Innenverteidiger und Sechser, behauptet er, weil die Außenverteidiger bei Borussia sehr hoch stehen.

So war es unerheblich, dass Marco Reus verletzt fehlte und Hummels in seinem 200. Ligaspiel eher außer Form war und sich nicht hätte beschweren dürfen, wenn es nach einem Einsatz gegen Edgar Prib kurz vor der Pause Elfmeter gegeben hätte. Beim 2:2 trug er eine Mitschuld, wie er einräumte. Irgendwie "musste ich die Kugel da wegbekommen", urteilte er, besser mit dem Fuß als mit dem Kopf. Aber Tuchel hob stattdessen die Reaktion der Elf auf dieses Missgeschick hervor. Damit sei er besonders zufrieden gewesen. Und was den Konkurrenzkampf mit dem FC Bayern angehe, da wolle er sich heraushalten. "Wir fahren gut damit, unsere eigenen Ansprüche zu erfüllen. Die sind sehr hoch", sagte der Coach. Auch eine gute Umschreibung.

In Hannover wachsen die Abstiegssorgen, obwohl das Team, so Frontzeck, "alles gezeigt hat". Zudem wirkte sich die Rückkehr des drei Monate verletzten Regisseurs Hiroshi Kiyotake positiv aus. Vielleicht wäre es gut, wenn sich Präsident Martin Kind, 71, bei der Suche nach einem Geschäftsführer und einem Sportchef "vollumfänglich" aus der Planung "rausnehmen" will, wie er bei Sky mitteilte. Der erfolgreiche Unternehmer Kind ("Ich verstehe nichts vom Fußball") hatte bei der Auswahl des sportlichen Personals selten ein gutes Händchen. Ob sein Rückzug 96 retten würde, ist jedoch so ungewiss wie die Prognose, ob Frontzeck im Winter noch 96-Coach ist.

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