Hannover gegen Braunschweig:Derbysieger in Aufstiegslaune

Hannover 96 v Eintracht Braunschweig - Second Bundesliga

Zwei Torschützen: Hendrik Weydandt (links) und Linton Maina bejubeln den Derbysieg gegen Braunschweig.

(Foto: Cathrin Mueller/Getty Images)

Hannover 96 gewinnt das Niedersachsenderby gegen Braunschweig und denkt schon an die erste Liga. Nur die Ultras machen wieder ihr eigenes Ding.

Von Carsten Scheele, Hannover

Was diejenigen Fans von Hannover 96 planen und tun, die sich Ultras nennen, ruft bei der Klubführung des Zweitligisten seit Jahren zuverlässig Kopfschütteln hervor. Daran hat sich am Samstag nach dem Niedersachsen-Derby wenig verändert, als die Mannschaft drinnen im Stadion einen prestigeträchtigen 4:1-Sieg gegen den missliebigen Nachbarn Eintracht Braunschweig feierte, womit Hannover für einen Abend lang sogar an die Tabellenspitze gehüpft ist. Und die Ultras die Aufmerksamkeit trotzdem auf ihre Weise an sich rissen.

Als drinnen auf der Videoleinwand die Pressekonferenz lief, versammelten sich draußen rund 500 Ultras vor dem Stadiontor, dicht an dicht gedrängt, einige mit Schutzmasken im Gesicht, viele aber auch ohne. Sie schossen Pyrofeuerwerk in die Luft und hüllten das Stadion in grün-weißen Nebel, ignorierten die Aufforderungen der Polizei. Und skandierten so lange, dass die Mannschaft rauskommen möge, bis die Mannschaft auch endlich kam.

Die Derbysieger leisteten damit ihren Beitrag, dass die Situation einigermaßen friedlich blieb. Hendrik Weydandt stimmte eine "Humba-Tätärä" an, dann appellierte er an die Fans, sich in Pandemiezeiten verantwortungsvoll zu verhalten. "Lasst uns gewissenhaft bleiben", mahnte Weydandt, den die Lokalpresse den "Märchenstürmer" nennt, weil er mal in der Kreisliga kickte und das Derby im Jahr 2017 noch im Fanblock miterlebt hat, jetzt aber die Mannschaft emotional anführt.

Den Fußballern von Hannover 96 ist im vergangenen Zweitliga-Jahr eher wenig gelungen, dies soll sich nun ändern, dafür soll auch dieser Derbysieg stehen. Eine Halbzeit lang dominiert, trotzdem in Rückstand geraten - ein solches Spiel wäre den Hannoveranern in weniger souveränen Zeiten zuverlässig entglitten. Diesmal brachte Martin Kobylanski die Braunschweiger im lichtesten Moment des ansonsten überforderten Überraschungsaufsteigers mit einem künstlerischen Linksschuss in Führung (51.), Hannover benötigte aber nur drei Minuten, um durch Linton Maina (54.) auszugleichen. Und 20 weitere Minuten, um durch Weydandt (71.) und Niklas Hult (74.) eine sichere Führung herauszuschießen.

Weil Genki Haraguchi (84.) kurz vor Schluss auch noch traf, konnte Trainer Kenan Kocak seinen Dank an die Mannschaft aussprechen. Er sei "unglaublich stolz. Wie die Mannschaft zurückgekommen ist, davor ziehe ich meinen Hut." Weydandt jubilierte, dieser Derbysieg sei "ein unbeschreibliches Gefühl". Dass dieser in etwas dürftiger Atmosphäre (Braunschweiger Fans waren nicht zugelassen) und vor nur 7300 Fans gelungen war, statt in ausverkaufter Arena, war in diesem Moment egal. Es hätten sogar 9800 Menschen ins Stadion gedurft, aber so groß war das Interesse an einem Derby in Pandemiezeiten wohl doch nicht.

Trotzdem reift in Hannover gerade ein positives Gefühl heran, dass es vielleicht klappen könnte in dieser Saison mit der Rückkehr nach oben. Die vergangenen beiden Jahre verliefen mit dem Bundesliga-Abstieg 2019 und dem klar verpasstem Wiederaufstieg enttäuschend, es wurden in Thomas Doll, Mirko Slomka und Jan Schlaudraff gleich mehrere Trainer und ein Sportdirektor entlassen und in Kenan Kocak ein neuer Coach installiert, der zwar mit deutlich kleinerem Namen als Slomka daher kam, die Mannschaft seitdem aber stabilisiert hat. Mehr noch: Nach der Corona-Pause hatte 96 eine der besten Punkteausbeuten aller Zweitligisten vorzuweisen. In der Tabelle der gerade begonnenen Saison steht 96 mit zwei Siegen aus drei Spielen ordentlich da; und es zeichnet sich ab, dass Hannover an guten Tagen offensiv von den meisten Gegnern in der Liga schwer zu halten sein wird.

Dort ist Haraguchi ein normalerweise zu guter Spiellenker für die zweite Liga, vor ihm geben Weydandt und der frühere Dortmunder Marvin Ducksch ein kampfstarkes Sturmduo ab, das noch durch Maina unterstützt wird, der so viel fußballerisches Talent mitbringt, dass sie ihn in Hannover für einen Hochbegabten halten. Im Mittelfeld ist das Team um Dominik Kaiser herum gebaut, den früheren Leipziger, der im Januar nach Hannover kam und im Sommer gleich zum Kapitän erklärt wurde. Das Team wurde nicht runderneuert, aber an neuralgischen Stellen modifiziert. Es scheint ganz gut zu funktionieren.

Die Aufstiegsabsicht hat Martin Kind, inzwischen in Hannover nur noch Geschäftsführer, zuletzt wieder sehr deutlich formuliert ("unser Ziel ist ganz klar"), etwas zu forsch für seinen Trainer, der solche Töne lieber meidet. Kind versicherte aber, dass man sich in der Sache einig sei. Im Sommer wurde das Interesse gleich fünf türkischer Klubs kolportiert, die Kocak gerne verpflichtet hätten - er blieb jedoch in Hannover. Und fühlt sich nun endgültig in der Stadt akzeptiert. "Als ich gekommen bin, hat man mir gesagt, dass ich erst ein richtiger Hannoveraner bin, wenn ich das Derby gewinne", erklärte Kocak. Die Mission hat er schon mal erfüllt.

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