Welchen Vorwurf sollte man Gerhard Zuber nun machen? Er hatte sich bedrängt gefühlt, er fand in einem leeren Stadion nicht den Freiraum, den er sich wünschte - also verordnete Hannovers Sportdirektor dem Braunschweiger Manager Peter Vollmann einen amtlichen Schubser. "Er ist einfach nicht weggegangen und von daher musste ich mir ein bisschen Raum verschaffen", erklärte Zuber die Szene Mitte der zweiten Halbzeit. Dann äußerte er sich zum eigentlichen Vorwurf, der nach dem 2:1-Sieg im Derby bei Eintracht Braunschweig durch die Medien nachhallte.
Immer wieder Zuber! In einer Saison, die für das aufstiegswillige Hannover 96 bislang nicht wunschgemäß verläuft, reißt Zuber die Schlagzeilen derzeit an sich. Unter der Woche ging es um sein schlechtes Verhältnis zu Trainer Kenan Kocak, zu dem sich sogar Geschäftsführer Martin Kind öffentlich äußerte. Und jetzt also der Vorwurf des Amtskollegen Vollmann, Zuber habe im Aufruhr nach einem Foulspiel einige Braunschweiger Spieler bespuckt.
Die Braunschweiger blieben bei ihrer Version, die TV-Bilder belegten den Vorwurf aber nicht - Gerhard Zuber bestritt ihn vehement: "Ich habe gesagt, dass das definitiv nicht der Fall war", erklärte er bei Sky, und er wollte Vollmann die Sache auch nicht groß nachtragen: "Gehört ja dazu zum Derby", fand Zuber.
Ein Streit wie damals bei Slomka und Schmadtke?
Dass Hannover auch das zweite prestigeträchtige niedersächsische Nachbarschaftsduell mit der Eintracht in dieser Saison gewinnen konnte, hellt die Stimmungslage im Verein etwas auf. Dass es 96 bislang nicht schafft, ernsthaft ins Aufstiegsrennen einzusteigen (32 Punkte, Platz sechs), hatte zuvor deutlich aufs Gemüt der Hannoveraner gedrückt, was auch das Verhältnis zwischen Zuber und Kocak belegte. Die Arbeitsatmosphäre zwischen den beiden sei gestört, hieß es in der vergangenen Woche aus dem Klubumfeld. Auch Kind, der Erfahrung hat bei 96 mit internem Zank zwischen Trainern und Managern, bescheinigte seinen Führungskräften "eine Phase, die schwierig ist". Eine Trennung von einem der beiden Kontrahenten jedoch schloss der im Klub nach wie vor mächtige Hörgeräteunternehmer aus.
Zuber hatte in der Winterpause einige Transfervorschläge gemacht, von denen kein einziger in die Planungen von Trainer Kocak gepasst hatte, entweder qualitativ oder monetär - mit dem Ergebnis, dass 96 keinen einzigen Spieler nachverpflichtete. Derlei Uneinigkeit ruft sofort Erinnerungen wach an die Zeiten des legendären 96-Streits zwischen Mirko Slomka und Jörg Schmadtke. Beide hatten den Klub 2011 in die Europa League geführt, ehe die Entfremdung einsetzte - mit dem Ergebnis, dass erst der Sportchef Schmadtke und später auch Trainer Slomka gehen mussten, woraufhin Hannover den Weg nach unten einschlug, bis in die zweite Liga.
Hier ringt 96 seit zwei Jahren mit den Schwierigkeiten, die etablierte Erstligisten durchleiden müssen, wenn es mit dem direkten Wiederaufstieg nicht klappt. Der Klub muss seine Ambitionen anpassen, sieht sich vom Renommee und vom Kader her eigentlich knapp hinter Tabellenführer Hamburger SV, muss aber eingestehen, dass das Team sportlich bislang in dieser Saison nicht an Klubs wie dem VfL Bochum, Holstein Kiel oder Greuther Fürth vorbeikommt.
Einige Spieler, die den Unterschied ausmachen können, stehen trotzdem im Kader. Den Sieg in Braunschweig hatte Hannover vor allem Niklas Hult zu verdanken. Kurz nach der Braunschweiger Führung durch Dong-Won Ji (17.) flankte der Schwede zweimal sehr effektiv in den Strafraum. Mit dem ersten Ball fand er Valmir Sulejmani, der mit einer artistischen Kopfballvariante zum Ausgleich einnickte. Zwei Minuten später setzt Hult erneut an, Kopfball Marvin Duksch, es wurde die Führung, die bis zum Ende halten sollte.
Um in der Öffentlichkeit kein noch zerrisseneres Bild abzugeben, waren Kocak und Zuber bemüht, ihre Meinungsverschiedenheiten klein zu reden. Zuber bescheinigte sich ein "sehr ordentliches Verhältnis" zum Chefcoach, klar habe man Differenzen, aber sowas sei ja "auch befruchtend und gut". Kocak räumte lediglich "kontroverse Diskussionen" ein, auch der von Kind anberaumte "Friedensgipfel" sei als solcher nicht nötig gewesen. Es sei "nicht so, dass ich den Gerry nicht sehen will und der Gerry mich nicht sehen will. Wir rudern in die gleiche Richtung", sagte der Trainer.
Und überhaupt, nach einem Derbysieg gehe es nicht um solche Nebensächlichkeiten: "Ich widme diesen Sieg den Fans in Hannover", betonte Kocak. Auch Torschütze Ducksch erklärte mit Blick auf all die Entbehrungen in der zweiten Liga: "Wir wollten den 96-Anhängern was zurückgeben." Das ist für den Moment geglückt, nach dem Spiel veröffentliche der Verein ein Jubelbild aus der Kabine, alle Spieler und der ganze Staff Arm in Arm, ein paar Bierflaschen in den Händen. Kocak jubelte ganz vorne in der ersten Reihe, Zuber hinten in der letzten.