Hannover 96:Altkanzler kanzelt Hannovers Ultras ab

Hannover 96 v Borussia Moenchengladbach - Bundesliga

Im Spiel gegen Borussia Mönchengladbach machten die Ultras von Hannover 96 wieder gegen Klubpräsident Martin Kind mobil.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Der Streit zwischen der Klubführung und den organisierten Fans bei Hannover 96 erreicht eine neue Stufe.
  • Die Fans setzen ihren Stimmungsboykott fort, dafür gibt es harsche Kritik von Altkanzler Gerhard Schröder.
  • Er nennt die Opposition im Klub eine "ärgerliche Randerscheinung".

Von Carsten Scheele, Hannover

Altkanzler Gerhard Schröder war neulich bei Hannover 96 im Stadion, er hatte seine künftige Ehefrau mitgebracht. Schröder, 73, und Soyeon Kim guckten sich die Bundesligapartie gegen Mönchengladbach an, sie wurden von 96-Präsident Martin Kind begrüßt, sie tuschelten verliebt auf der Tribüne, es gab einige harmonische Bilder. Kim trug gar einen Schal in den 96-Farben, musste aber mit ansehen, wie dieses Spiel 0:1 verloren ging und die Stimmung in der Arena am Maschsee auf einen neuen Tiefpunkt gelangte.

Schröder dürfte Soyeon Kim anschließend erklärt haben, dass sich das Ärgernis mit einem Teil der Fans bald erledigt haben werde. Er ist da guten Mutes, wie auch Vereinsboss Kind. Der Stimmungsboykott, die ätzenden "Kind muss weg"-Rufe der Ultras, die Beschimpfungen der Fangruppen untereinander - all dies soll bald der Vergangenheit angehören. Wenn nötig, verfügt von ganz oben, mit harter Hand.

Schröder kommt Kind zur Hilfe

Denn die Situation im verbissensten Fankonflikt der Liga ist kaum noch aufzulösen. Im Kern geht es um die Frage: Wem gehört 96? Wem soll 96 gehören? Auf der einen Seite steht die Vereinsführung um Präsident Kind, der per Ausnahmeregelung die Mehrheit des Klubs übernehmen will, sein Argument vor den Gremien der Deutschen Fußball Liga (DFL): Er habe Hannover 96 seit 20 Jahren maßgeblich gefördert. Kind hat mächtige Freunde um sich geschart, neben Schröder beispielsweise den Drogerie-Großunternehmer Dirk Roßmann.

Auch ein Teil der Fans ist ihm dankbar, dass Hannover endlich wieder eine gute Rolle in der Bundesliga spielt; der andere Teil der Anhängerschaft lehnt die Übernahmepläne strikt ab und bezweifelt, dass Kind dem Verein seit 20 Jahren tatsächlich so viele Millionen hat zukommen lassen, wie er angibt. Sie möchten Kind loswerden, und sei es zu dem Preis, dass sie die Arena bei Heimspielen weiter in einen gruseligen Ort verwandeln. In der Hoffnung, dass Kind entnervt aufgibt.

Die Vorkommnisse beim Gladbach-Spiel haben viele Leute geschockt, auch Schröder (der sich sonst nicht zum Tagesgeschehen im Verein äußert). "Was sich da in der letzten Zeit entwickelt hat, das schadet der Mannschaft (...), das schadet dem Ansehen von Hannover 96", sagte Schröder dem Sportbuzzer. Die Ultras, die abermals die Stimmung boykottierten, kanzelte er ab. Eine "ärgerliche Randerscheinung" sei diese Opposition: "Ich würde sie nicht Fans nennen, denn das ist eine Beleidigung der wirklichen Fans."

Die Schärfe seiner Wortwahl dürfte ein Freundschaftsdienst an Präsident Kind gewesen sein, beide Männer sind seit Jahren miteinander gut bekannt, haben zusammen Tennis gespielt. Und sie stammen aus Hannover, wo sich jeder, der in der Stadt eine gehobene Position begleitet, irgendwie kennt. Als 96 noch in der zweiten Liga kickte, holte Kind seinen Weggefährten in den Aufsichtsrat der Fußball GmbH.

Kurz hatte es nun in Hannover Hoffnung auf einen Friedensschluss gegeben. Nachdem Kind Anfang Februar ankündigte, seinen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung zur Übernahme des Vereins bei der Deutschen Fußball Liga ruhen zu lassen, votierte eine knappe Mehrheit der organisierten Fanszene dafür, den Stimmungsboykott zu beenden. Beim 2:1 gegen Freiburg war erstmals in dieser Spielzeit wieder richtig was los im Stadion, doch seit der Verein vorige Woche eine Podiumsdiskussion mit Fanvertretern absagte, mit der Begründung, man sei mit einigen Diskussionsteilnehmern nicht einverstanden, ist das Klima vergifteter als zuvor. Gegen Gladbach war das Geschehen auf dem Rasen zeitweise nebensächlich. Die Ultras brüllten "Kind muss weg", andere Fans antworteten "Ultras raus". Die Mannschaft wirkte verunsichert und verlor.

Kommen am Ende tatsächlich Stadionverweise?

Er habe "eine solche negative Atmosphäre noch nie erlebt", klagte Trainer André Breitenreiter. Manager Horst Heldt wütete gar, so mache es in Hannover einfach keinen Spaß. Es kotze ihn "alles an".

Dabei ist die Opposition, entgegen Schröders Hoffnung, mehr als eine Randerscheinung. Mögen Ultragruppen in anderen Klubs nur Krawallmacher sein, erhält die IG "Pro Verein 1896", in der sich die kritische, aktive Fanszene in Hannover formiert (auch viele Ultras), Zuspruch aus nahezu allen Bevölkerungsschichten der Stadt. Es sind Menschen aus vielen Milieus, die sich um die Machtverhältnisse im Verein sorgen. Der juristische Kopf des Widerstands ist der Anwalt Ralf Nestler, er ist auch Aufsichtsrat im Stammverein. Er kämpft öffentlich, hat Gutachten gegen Kinds Übernahmeversuche eingeholt; der Verein drohte Nestler strafrechtliche Konsequenzen an. Es sei "bedauerlich, dass sich Menschen, von denen man eigentlich mehr Verstand erwartet, für so etwas hergeben", urteilte Schröder abschätzig.

Doch die Opposition sieht sich im Aufwind. Verbreitet wird, Kind habe seinen Antrag bei der DFL nur ruhen lassen, weil er nicht belegen könne, dass er den Verein "finanziell erheblich" unterstützt habe. Das ist der Terminus, um den es im Kern geht: Ab welcher Summe, ab welchem Aufwand beginnt "erheblich"? Wie wird das gerechnet? Drei Klubs genießen im Bundesliga- Fußball eine so definierte Sonderstellung: Leverkusen und Wolfsburg, die traditionell als Werksklubs der DAX-Konzerne Bayer und VW gelten, sowie als Vorbild für Kind die TSG Hoffenheim. Dort durfte der Milliardär Dietmar Hopp die Stimmenmehrheit nach 20 Jahren übernehmen. Jedoch hat Hopp seinen Klub nicht nur gefördert, er hat ihn auch erfunden. Der Streit geht im Kern um die 50-plus-1-Regel, die es exklusiv in Deutschland gibt. Laut dieser Regel müssen die Stammvereine mit 50+1-Stimmen die Mehrheit am Fußball-Betrieb behalten. So soll der Einfluss von Investoren begrenzt werden.

"Sie lehnen alles ab, hinterlassen verbrannte Erde, und am Schluss bleibt Chaos", klagt Kind im kicker über seine Gegner. Wie es weitergeht? "Für die nächste Saison werden wir Dinge ändern." Das könnte auf Stadionverweise hinauslaufen. Diesen Schritt hat Kind angedroht, aber noch nie umgesetzt.

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