Süddeutsche Zeitung

Handballer Michael Kraus:Unvollendet zurück in die Provinz

Einst galt Michael Kraus als größtes Versprechen im deutschen Handball. Durchgesetzen konnte er sich bei den Topklubs der Liga nicht. Nun entscheidet er sich offenbar für den Neuanfang - in Göppingen, wo alles begann.

Von Carsten Eberts, Hamburg

Zurück nach Göppingen. Gut möglich, dass Michael Kraus diesen Weg einschlagen wird. Von Hamburg aus auf die A7, runter in den Süden, bis es bei Aalen auf die kleine Bundesstraße geht, in die 60.000-Einwohner-Stadt Göppingen. Hier war Kraus einst das größte Versprechen, das der deutsche Handball seit langer Zeit hervorbrachte.

Viele Sportler machen am Ende ihrer Karriere in jener Stadt Station, wo sie ihre ersten Erfolge hatten. Doch Kraus ist erst 29 Jahre alt. Läuft er in der kommenden Saison tatsächlich für Frisch Auf Göppingen auf, wäre es auch ein kleines Eingeständnis: Dass er es bei den größeren Klubs nicht geschafft hat.

1983 wurde Kraus in Göppingen geboren, 2007 verließ er seine Heimatstadt. In Göppingen wird Handball gelebt, hier hat sich der Klub sympathisch in der Nische etabliert. Kraus ist ein Kind des Vereins. Deutscher Meister war Frisch Auf jedoch seit 41 Jahren nicht mehr. Kraus ging erst zum TBV Lemgo, drei Jahre später zum HSV Hamburg. Früh wurde Kraus eine Weltkarriere in Aussicht gestellt, weil er die Position des Mittelmanns so ungemein explosiv interpretierte. Bei der Handball-WM 2007 hatte Kraus aus dem Nichts seinen Anteil am Titelgewinn. Kraus verließ Göppingen, um ein großer Handballer zu werden.

Nun wählt er offenbar den Weg zurück. "Wir sind so weit klar. Mimi wechselt im Sommer nach Göppingen", sagte Hamburgs Präsident Matthias Rudolph am Montag der Bild-Zeitung. Von einem Dreijahresvertrag ist die Rede. Dem HSV kommen die Abwanderungsgedanken gelegen: Der Rückraummann gehört zu den Topverdienern im Kader, der Meister von 2011 hat nach sehr fetten Jahren einen Sparkurs eingeschlagen. Der Klub identifiziert sich über andere Spieler, will unter anderem mit dem jungen Kroaten Domagoj Duvnjak verlängern. Prägende Akteure wie Igor Vori sollen gehen. Auch Kraus' Abschiedsgedanken passen in den Plan.

Die Bestätigung aus Göppingen steht noch aus. Die Fans spekulieren aufgeregt über die mögliche Rückkehr, bei Frisch Auf hält man sich allerdings bedeckt. "Ein unterschriftsreifer Vertrag existiert nicht", sagte Manager Gerd Höfele der Südwest Presse, "für uns ist Mimi Kraus im Moment eine Option, so lange wir sonst keinen Spieler auf dieser Position verpflichtet haben." Auch Kraus ließ lediglich verlauten, es gebe keine Neuigkeiten. Doch er hat den Wunsch geäußert, den HSV zu verlassen.

Kraus' Auftritt in der norddeutschen Metropole bleibt damit zumindest unglücklich. Kraus war bei seiner Verpflichtung einer der begehrteste Akteure im deutschen Handball. Nicht ganz einfach als Typ, bekannt für kleinere Disziplinprobleme, doch einer der wenigen Popstars seiner Sportart. Und ein ungemein talentierter Kerl. Mit ihm wollte der ambitionierte Klub die Vorherrschaft des allmächtigen THW Kiel endlich brechen. Den Wechsel zum HSV werteten viele als wichtigen und logischen Schritt. Kraus traute sich endlich einen richtig großen Klub zu, zahlte dem Vernehmen nach sogar einen Teil der Ablöse selbst.

Doch Kraus blieb beim HSV stets eine Randfigur. Immer waren andere Spieler wichtiger. Häufig war er auch verletzt. Als der HSV 2011 deutscher Meister wurde, war Kraus dabei - die ihm zugedachte Hauptrolle spielte er allerdings nicht. Zuletzt rechnete manch einer mit seiner Rückkehr in die unter Bundestrainer Martin Heuberger neu formierte Nationalmannschaft. Doch Heuberger entschied sich gegen Kraus. Weil er dem Team in dieser Form kaum weitergeholfen hätte.

In Göppingen würde Kraus auf seinen größten Förderer treffen: Trainer Velimir Petkovic, der Mann mit der tiefsonoren Brummstimme, hatte Kraus einst entdeckt. Petkovic hatte Kraus gut im Griff, formte ihn zu einem der torgefährlichsten Mittelmänner der Welt. Stets betonte der Coach das besondere Verhältnis zu seinem Lieblingsschüler - und hoffte, ihn noch einmal trainieren zu können.

Wenn es jemandem zuzutrauen ist, diesen Hochbegabten wieder hinzubekommen, ist es wohl Velimir Petkovic. Michael Kraus wäre es zu wünschen.

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