Handball:Zuflucht und Heimat

Handball: In Großwallstadt haben die ukrainischen Nationalspieler (hier vor einem Benefizspiel beim Bundesligisten Wetzlar) schon nach Kriegsbeginn viel Unterstützung erfahren. Am Mittwoch tragen sie in Aschaffenburg gegen die Färöer ein Heimspiel in der EM-Qualifikation aus.

In Großwallstadt haben die ukrainischen Nationalspieler (hier vor einem Benefizspiel beim Bundesligisten Wetzlar) schon nach Kriegsbeginn viel Unterstützung erfahren. Am Mittwoch tragen sie in Aschaffenburg gegen die Färöer ein Heimspiel in der EM-Qualifikation aus.

(Foto: Roeczey/Beautiful Sports/Imago)

An diesem Mittwoch trägt die Ukraine in Aschaffenburg ein EM-Qualifikationsspiel gegen die Färöer aus. Über eine Handballpartie, bei der es um mehr als um Handball geht.

Von Sebastian Leisgang

Ein bisschen wird es so sein, wie es früher war, damals, vor zehn Jahren, als der TV Großwallstadt noch etwas größer war. Der Rahmen, die Halle, die Kulisse, das alles wird die Dimension haben, die es zu Bundesligatagen hatte. Michael Spatz sagt deshalb: "Ein bisschen aufgeregt bin ich schon, das muss ich zugeben."

Es ist Montagmittag, noch gut 48 Stunden bis zu diesem Spiel, das nur am Rande ein Spiel ist. Die ukrainische Nationalmannschaft gegen die Färöer, der Auftakt der EM-Qualifikation, ausgetragen in Aschaffenburg, dort, wo der TVG einst gespielt hat, bevor er bis in die dritte Liga abstürzte. Spatz, 39, hat alles mitgemacht, die guten und die schlechten Zeiten. Mittlerweile ist aus dem Rechtsaußen des TVG der Geschäftsführer des TVG geworden - und als solcher kehrt auch er an diesem Mittwoch in die Aschaffenburger Halle zurück. Darum wird es aber nicht gehen, wenn die Ukraine auf die Färöer trifft.

Spatz hat kaum Zeit an diesem Montag, er ist in Eile. Am Nachmittag landen die ukrainischen Spieler am Frankfurter Flughafen, dann werden sie nach Großwallstadt gebracht, wo sie schon im April unterkamen. Zwischen 2004 und 2007 spielte Vyacheslav Lochman, der Trainer der Ukraine, beim TVG - vor einem halben Jahr nutzte er dann seine alten Kontakte, um aus seiner Heimat zu fliehen und in Deutschland Unterschlupf zu finden. Ein paar Wochen später holte er auch seine Spieler nach Großwallstadt. "Wir sind sowas wie die sportliche Heimat für die Ukraine geworden", sagt Spatz.

Die Familien vieler Spieler sind immer noch in den Gebieten, in denen gekämpft wird

Man könnte meinen, dass auch der Handball vor sowas Großem wie einem Krieg ganz klein wird. Dass jeder Pass, jeder Wurf und jeder Siebenmeter, wie sehr er in normalen Zeiten auch mit Bedeutung aufgeladen wird, am Ende belanglos ist, weil er den Lauf der Dinge dann doch nicht verändern wird. Doch darum geht es auch nicht.

In Zeiten wie diesen geht es um den Moment.

"Das ganze Land ist im Krieg", sagt Spatz, "viele Spieler haben Familien, die immer noch in den Gebieten sind, in denen gekämpft wird. Wenn sie dann hier bei uns in der Halle stehen, können sie zumindest für diese Zeit vergessen, was gerade los ist." Der Krieg nimmt, der Handball gibt, das ist die Formel. Der Sport ist Zuflucht und Heimat zugleich, Zerstreuung und Therapie. Er hilft, mit dem Leid, dem Schicksal und auch mit sich selbst fertigzuwerden. Und deshalb ist der Handball gerade jetzt groß. Weil er ein kleines Stück Normalität ist. Und ein kleines Stück, das ist in diesen entsetzlichen Zeiten eine ganze Menge.

Am Untermain lassen sich die Leute ja ohnehin gerne vom Handball bewegen. Der Fußball nimmt hier nicht besonders viel Raum ein. Viktoria Aschaffenburg hat zwar mal in der zweiten Liga gespielt, doch das ist mehr als dreißig Jahre her. Nicht nur in Großwallstadt, sondern auch drüben in Aschaffenburg, bei den Fußballern am Schönbusch, tut sich mittlerweile zwar wieder was - tiefer verankert ist aber der Handball. Die großen Zeiten des TVG, die Spiele in der Bundesliga und im Europapokal, all die Titel, das wirkt bis heute nach. Und das ist es auch, was die Leute an diesem Mittwoch zusammenbringt.

Der Nationaltrainer ist seit ein paar Tagen Großwallstadts Jugendkoordinator

Am Abend wird der Handball leuchten. Seit der TVG seine Heimspiele in Elsenfeld spielt, sind es ja ohnehin Festtage, wenn der Zweitligist für einzelne Partien nach Aschaffenburg umzieht. Und so ist es nun auch, jetzt, da der Klub das EM-Qualifikationsspiel der ukrainischen Nationalmannschaft ausrichtet. "Das ist wie ein Heimspiel für uns", sagt Spatz. Was er nicht explizit sagt: Das ist es auch für die Ukraine. In den Programmheften steht es ja so: ein Heimspiel der Ukraine, das in Aschaffenburg ausgetragen wird. Und das trifft es.

Die Ukrainer fühlen sich am Untermain mittlerweile heimisch, alleine in Aschaffenburg leben mittlerweile 1500, die vor dem Krieg geflüchtet sind. Auch Spatz hat einen Ukrainer im März bei sich aufgenommen, Ievgen Zhuk. Zwölf Tage wohnte der Nationalspieler mit seiner Frau und seinem Hund bei Spatz, inzwischen ist er in Kleinwallstadt untergekommen und hat einen Vertrag in Großwallstadt unterschrieben. Auch andere Spieler haben inzwischen einen neuen Verein gefunden, und Lochman, ihr Nationaltrainer, ist mittlerweile beim TVG angestellt. Erst vor ein paar Tagen ist er als Jugendkoordinator eingestiegen.

"Das ist alles mittelfristig angelegt", erklärt Spatz, "natürlich hilft das auch kurzfristig, aber die beiden fühlen sich hier so wohl, dass sie länger bleiben wollen." Weil ihnen die Menschen am Untermain, der TV Großwallstadt und der Handball etwas geben, was sie in der Ukraine verloren haben - eine Heimat.

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