Handball-WM-Viertelfinale:Wie lange hält die Kraft bei Juri Knorr?

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Nachzügler: Juri Knorr ist wieder beim deutschen Handballteam angekommen. (Foto: Marcel von Fehrn/ Eibner/Imago)

Die deutschen Handballer gehen mit Respekt ins Viertelfinale gegen Portugal – und hoffen auf ihren genesenen Mittelmann. Vor zwei portugiesischen Brüdern ist das Team besonders gewarnt.

Von Carsten Scheele

Die Handballwelt weiß jetzt, wo Juri Knorr am Montag im Flugzeug nach Oslo gesessen hat. In Reihe neun, auf dem Flug EW7198 aus Hamburg, Ankunft 12.48 Uhr in Norwegens Hauptstadt (21 Minuten verfrüht!). Knorr sei guter Laune gewesen, berichtete der Sport-Informations-Dienst, er habe nach der Landung sogar einer älteren Dame Hilfe beim Tragen ihres Koffers angeboten. Über die Tiefgarage sei der deutsche Mittelmann dann gegen 14 Uhr ins Hotel Scandic Fornebu eingecheckt, rein in den Aufzug, ohne weiteren Kommentar nach oben zusammen mit Nationalmannschaftsmanager Benjamin Chatton.

Wo Knorr Platz nahm und ob die ältere Dame die Hilfe angenommen hat, das sind natürlich völlig irrelevante Informationen für Erfolg und Misserfolg des deutschen Teams bei dieser Handball-WM, jedoch: Allein der Umstand, dass die Reporter einen Handballspielmacher auf Schritt und Tritt verfolgten, verdeutlichte dessen Wichtigkeit für das deutsche Nationalteam.

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Einen Tag nach der Mannschaft ist damit auch Knorr in Oslo angekommen, wo am Mittwochabend das Viertelfinale gegen Portugal stattfindet (20.30 Uhr/ARD). Zwei WM-Spiele hat er in der Hauptrunde verpasst, gegen Italien und Tunesien. Der Infekt sei weitestgehend auskuriert, ließ Knorr wissen. Er habe sogar noch einmal einen Bluttest gemacht, „die Werte sind in Ordnung“, sagte er. Knorr kann spielen gegen Portugal, zumindest ein Weilchen.

Trainer Gislason bleibt vorsichtig: „Er wird nicht 60 Minuten durchspielen.“

Darüber ist niemand so froh wie der Bundestrainer. „Juri ist auf jeden Fall einer von denen, der dabei sein wird“, sagte Alfred Gislason am Dienstagmittag in Oslo, schränkte aber ein: „Wie fit er ist, muss man sehen.“ Der Coach muss das Mitwirken seines Regisseurs dosieren, Knorr sei „nicht bei 100 Prozent und wird nur phasenweise zum Einsatz kommen“, sagte Gislason: „Er wird nicht 60 Minuten durchspielen. Eher zehn Minuten und dann zehn Minuten Pause.“ Für die übrige Zeit hat der Isländer einen Plan B ersonnen, in diesem spielen Luca Witzke und Nils Lichtlein wichtige Rollen. Beide können das Spiel über die Mittelposition anleiten, Lichtlein kann auch auf Halbrechts ausweichen, falls Renars Uscins, der bislang beste deutsche Torschütze bei dieser WM, eine Pause benötigt. Über Knorrs herausragendes strategisches Gespür, das er sich in den vergangenen Jahren angeeignet hat, verfügen beide allerdings (noch) nicht.

Umso größer ist die Hoffnung, dass Knorr in den Minuten, in denen er spielt, der Mannschaft richtig helfen kann. Mit Knorr auf dem Feld steigt der Stress beim Gegner, weil er so viele Optionen in seinem Angriffsspiel hat. Knorr rennt mit Vollspeed auf die Abwehr zu, ob er nun den letzten Ball zum Halbspieler oder zum Kreisläufer ablegt oder ob er selbst den Ball aufs Tor zischen lässt, ist enorm schwer zu antizipieren. Er hoffe, dass Knorr „uns in den Minuten, die er auf der Platte stehen kann, mit zum Sieg führen kann“, sagte Teamkollege Timo Kastening und sprach damit aus, was alle dachten: Die Erleichterung ist groß.

Gleich nach dem Frühstück stand am Dienstagvormittag eine Videositzung auf dem Programm, in der Gislason und Co-Trainer Erik Wuttke ihre Erkenntnisse über den Viertelfinalgegner teilten. Die Wenigsten hatten mit Portugal gerechnet, das sich jedoch in einer Hauptrundengruppe mit Schweden, Spanien und Norwegen durchgesetzt hat, als Gruppenerster sogar. Portugal habe eine „sehr interessante Mannschaft“, sagte Gislason, „eine super interessante Mischung von Alt und Jung, erfahrenen Spielern und sehr frischen“. Der Respekt des Isländers ist den Portugiesen gewiss: „Wenn man sieht, was die für Mannschaften hinter sich gelassen haben, sagt das viel aus.“

Das portugiesische Team hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert und ist zu einem ernst zu nehmenden Gegner geworden. Fast jeder deutsche Nationalspieler, der gefragt wurde, erwähnte die Costa-Brüder: Francisco Costa, 19, wird als Zukunft des portugiesischen Handballs gehandelt, er spielt im rechten Rückraum; sein Bruder Martim, 22, im linken Rückraum. Beide stehen bei Sporting Lissabon unter Vertrag, insbesondere Franciscos Wechsel zu einem der großen europäischen Klubs dürfte nur eine Frage der Zeit sein.

Wenn Portugal über eine Schwäche verfügt, dann im Tor

Trotz seiner erst 19 Jahre gehört Francisco Costa bereits zu den Top-10-Torschützen der laufenden Champions-League-Saison. Sein Bruder Martim ist sogar noch vor ihm platziert. Eigentlich wäre das portugiesische Team um noch einen Ausnahmespieler reicher, doch Mittelmann Miguel Martins, 27, vom dänischen Spitzenklub Aalborg wurde wegen eines positiven Dopingfunds kurz vor dem WM-Start suspendiert. Den Schock darüber hat das Team aber gut verkraftet.

Gislasons Videostudium wird zudem ergeben haben, dass die Portugiesen auch ohne ihren Stamm-Mittelmann über ein exzellentes Spiel mit dem Kreisläufer verfügen. Hier gilt es, die Räume eng zu halten, damit Luis Frade vom FC Barcelona nicht so auftrumpfen kann wie beim wichtigen Punktgewinn in der Hauptrunde gegen Schweden, als er sieben Tore warf.

Falls die Portugiesen über eine Schwäche verfügen, dann im Tor. Beide Torsteher, Gustavo Capdeville und Diogo Marques, gehören bei dieser WM mit Werten von knapp über 30 Prozent bei den gehaltenen Bällen nicht zu den Besten. Auf dieser Position dürften die deutschen Handballer mit Andreas Wolff und David Späth im Vorteil sein. Gislason warnt trotzdem: „Die Chancen stehen 50 zu 50“, sagte der Bundestrainer. Vielleicht war es aber auch ein taktischer Kniff. Die Portugiesen haben Gislasons Worte sicher vernommen, sie wohnen in Oslo im selben Hotel.

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