Handball-WM:"Im Handball bekommst du frei, wenn du verletzt bist"

Handball-WM - Martin Strobel verletzt sich beim Spiel gegen Kroatien

Schmerzhaftes WM-Aus: Martin Strobel muss auf einer Trage abtransportiert werden. Diagnose: Innenband- und Kreuzbandriss.

(Foto: Alexander Neis/imago)
  • Die Handballer kommen während der Weltmeisterschaft an ihre Belastungsgrenze.
  • Das zeigt auch die schwere Knie-Verletzung von Martin Strobl.
  • Einige Spieler beschweren sich bereits über das Pensum. Doch: Eine Besserung ist nicht in Sicht.

Von Carsten Scheele, Köln

Auf die Wunder-Smoothies von Teamarzt Kurt Steuer kommt es jetzt wieder an. In den frisch gemixten Drinks des Mannschaftsarztes der deutschen Handballer ist nicht wirklich Wundersames enthalten - eher Haferflocken, gehackte Mangostücke, kalziumhaltiges Mineralwasser, solche Sachen -, doch die Nationalspieler schwören auf Steuers Mix. Schmeckt nicht immer allen, doch egal: Schon während der Interviews nach den WM-Spielen nippen manche Spieler am Zaubertrank. Der soll die Regeneration der geschundenen Körper ankurbeln oder zumindest das, was Handballer während eines großen Turniers für Regeneration halten. Sieben Spiele in zwölf Tagen sind es bislang, in anderen Sportarten würden die Spieler den Dienst quittieren.

Doch beim Handball ist die immense Belastung während einer WM normal - und die Spieler nehmen sie hin. Einer Mannschaft wie der deutschen hilft es ungemein, wenn sie auf einer Euphoriewelle durchs Turnier schwebt, da gerät manche Strapaze schneller in Vergessenheit; die Spieler aber sind eigentlich längst an einem Punkt angekommen, an dem es kaum noch weitergeht. Einer wie Fabian Wiede, der Held des Kroatienspiels, hatte vor der wichtigen Partie gar nicht mehr richtig trainiert - der Rücken zwickte, Wiede konnte kaum werfen.

Fast alle Teams haben Verletzungen zu beklagen

24 Stunden später ließ er gegen Kroatien einen entscheidenden Wurf in den Winkel krachen. Mannschaftsarzt Steuer wäre es viel wohler, würden die Handball-Funktionäre einen Spielplan wie bei einer Fußball-WM aufstellen: ein Spiel, danach drei Tage zur Erholung. Doch manchmal sind es nicht einmal 24 Stunden. "Das erhöht das Verletzungsrisiko", sagt Patrick Wiencek. "Rein wissenschaftlich", erklärte auch Steuer in der ARD, seien das unzumutbare Zustände, "aber in der Realität muss es funktionieren".

Also wird regeneriert, so gut es geht: in der Sauna, in der Eistonne, mit einem Smoothie an den Lippen. Fast alle Teams haben in der zweiten Turnierwoche Verletzungen zu beklagen, bei den Deutschen hat es am Montag Martin Strobel erwischt, ganz übel sogar, der Mittelmann zog sich einen Innenband- und Kreuzbandriss zu: WM beendet, er wird operiert. Es gibt typischere Verletzungen, die auf die Belastung zurückzuführen sind, doch vielleicht hätte Strobel sein Knie anders gedreht, wäre er frisch und fit gewesen.

"Es war ganz schlimm, als man ihn auf die Trage gehoben hat, weil er vor Schmerzen geschrien hat", sagte Bundestrainer Christian Prokop. Manchem Spieler standen Tränen in den Augen, als sich Strobel spätnachts im Hotel vor versammelter Mannschaft für eine tolle WM bedankte. Strobel habe in einem schweren Moment "absolute Größe" bewiesen, so Prokop.

Wer in Deutschland spielt, ist nach der Saison "körperlich am Ende"

Andere Mannschaften sind ähnlich gebeutelt. Die Dänen, die ebenfalls im Halbfinale stehen, haben schon Spitzenkreisläufer René Toft Hansen (Leistenverletzung) und Hans Lindberg verloren, bei den Franzosen verletzte sich Kapitän Cédric Sorhaindo (Wade), die Kroaten mussten gegen Deutschland ohne Mittelmann Luka Cindric (Beinverletzung) auskommen, die Schweden spielen das Turnier ohne Jim Gottfridsson (Muskelfaserriss) zu Ende. Auch Nikola Karabatic, der französische Welthandballer, hatte mit einer Blessur zu kämpfen, wurde erst nachnominiert, hat sich nun, obwohl weit von seiner Topform entfernt, ins Turnier gekämpft. Er hat einmal einen Satz gesagt, der es auf den Punkt bringt: "Im Handball bekommst du frei, wenn du verletzt bist."

Dass dieses Pensum nicht gesund ist, weiß jeder in der Branche, doch Besserung ist nicht in Sicht. Obwohl sich prominente Spieler wie Deutschlands Hendrik Pekeler beschweren, geht die Tendenz in eine andere Richtung. Nach der WM müssen die Profis sofort wieder in ihren Klubs ran, für Pekeler und all die anderen heißt es dann: um Meisterschaft, Champions League und Pokale kämpfen. Die nächste Chance auf eine Pause bietet sich erst im Sommer.

Ab 2021 wird die WM sogar von bislang 24 auf 32 Mannschaften aufgestockt. Etliche Topprofis sind zuletzt in Ligen gewechselt, in denen weniger Spiele absolviert werden müssen, nach Ungarn oder Polen. Wer in Deutschland spiele, sei nach der Saison "körperlich am Ende", hat Pekeler gesagt. Viele Spieler schlucken mehr Schmerzmittel, als es medizinisch ratsam ist.

Wo es geht, versucht der DHB im laufenden Turnier, die Belastung zu reduzieren. Im eher unwichtigen letzten Hauptrundenspiel gegen Spanien am Mittwoch (20.30 Uhr, ARD) wird Trainer Prokop einige Vielspieler schonen, das Dienstagstraining wurde kurzfristig abgesagt. Denn wie sagte Teamarzt Steuer den Kieler Nachrichten: "Wer am besten regeneriert, wird Weltmeister."

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