Bei Schwedens Handballern klafft ein Loch. In manchen Spielen ist es nur eine Lücke, das Loch vergrößert sich aber bisweilen zum Krater. Die Schweden vermissen ihre drei Bundesligaprofis Felix Claar und Oscar Bergendahl (beide SC Magdeburg) und Max Darj (Füchse Berlin) schon sehr bei dieser WM. Spielmacher Claar verletzte sich an der Achillessehne, Bergendahl am Sprunggelenk, Darj am Knie, beide sind Kreisläufer erster Güte. Mit diesen drei herausragenden Handballern wären die Tre Kronor ein klarer Medaillenkandidat gewesen.
Und ohne?
Das ist genau die Frage, die sich Schweden seit Turnierbeginn stellt. Trainer Michael Apelgren versucht, den Ausfall seines Trios, das zusammen auf mehr als 260 Länderspiele kommt, mit Kreativität zu kaschieren. Das funktioniert mal besser, mal schlechter: Nach dem 37:37 gegen Portugal am Mittwoch ist das Weiterkommen in der Hauptrundengruppe 3 keinesfalls gesichert. Fünf Teams machen die zwei Viertelfinalplätze unter sich aus, Portugal, Spanien, Brasilien und Schweden. Sogar Norwegen hat nach dem Sieg gegen Spanien noch Chancen. Es kommt auf jeden Punkt an.
Manchmal tritt das Lücke-Krater-Problem auch innerhalb einer Partie auf. Gegen die Spanier in der Vorrunde spielten die Schweden erst famos, führten mit sieben Treffern – dann der Einbruch. Tor um Tor holten die Spanier auf, weil den Schweden in Claar der zuverlässigste Torschütze und im angestammten Mittelblockduo Bergendahl/Darj in der Abwehr das stabile Fundament fehlte, um die Partie sicher nach Hause zu geleiten. Am Ende stand es 29:29, ein verlorener Punkt.
Die Stimmung war entsprechend kratzig. Er habe „Spanien so verdammt satt“, sagte Regisseur Jim Gottfridsson von der SG Flensburg-Handewitt der schwedischen Zeitung Sportbladet. Er wolle wirklich nichts Negatives über die Gegner sagen, „aber es ist so verdammt typisch“. So kühl und abgezockt wie die Iberer, die acht Sekunden vor Schluss zum Ausgleich kamen, sind die Schweden gerade nicht unterwegs. Gegen Portugal traf Gottfridsson erst nach Ablauf der 60 Minuten zum vermeintlichen Siegtreffer ins Tor. Er zählte nicht mehr.
Müsste Gottfridsson als Spielmacher nicht torgefährlicher sein?
Vieles konzentriert sich auf Gottfridsson, den erfahrenen Spiellenker, einst gewählt zum wertvollsten Spieler (MVP) der Europameisterschaften 2018 und 2022, der es im Verein in Flensburg aber schwer hat. Er geht in sein letztes halbes Vertragsjahr, bevor er zum ungarischen Erstligisten Pick Szeged wechselt. Der 32-Jährige spielt bislang eine gute WM und strukturiert das Spiel, in den schwedischen Medien ist trotzdem eine kleine Debatte entstanden, ob ein Mittelmann so wenig torgefährlich agieren sollte. Die Statistiker hatten herausgefunden, dass Gottfridsson in den ersten drei WM-Spielen bloß dreimal aufs Tor geworfen hatte, er setzte lieber seine Kollegen ein, anstatt selbst draufzuballern. „Viele Würfe zu nehmen, nützt der Mannschaft nicht“, verteidigte sich Gottfridsson: „Aber ich habe versprochen, dass ich torgefährlicher werde.“ Gegen Portugal erzielte er immerhin drei Tore.
Coach Apelgren schützt seinen Regisseur, wo er kann, er weiß, wie wichtig Gottfridsson ist: Der steht immerhin an der Spitze der Liste der Spieler mit den meisten Assists bei dieser WM. Dass der Magdeburger Albin Lagergren (31 Turniertore) so gut trifft, liegt auch an den Zuspielen von Gottfridsson. Trainer Apelgren ist es daher „völlig egal, was er macht, solange wir viele Tore schießen“.
Eine größere Baustelle sind die vielen technischen Fehler, die dem Team unterlaufen. Hier ein Fangfehler, dort ein Doppeldribbling, bei den Schweden geht bisweilen das Zitterhändchen um. Das hat auch Gottfridsson erkannt, er sprach von einer akzeptablen Quote von acht bis zehn Fehlern pro Spiel: Sind es mehr, werde man gegen die Topteams „hart bestraft, das ist fast tödlich“. Beim Unentschieden gegen Portugal leisteten sich die Schweden in den Schlussminuten zwei unerklärliche Abspielfehler, die der Gegner zu leichten Tempogegenstoßtoren nutzte. „Wir haben zwei Siege vergeben, es ist hart“, sagte Apelgren.
Ob die Schlagkraft der Schweden bei dieser WM genügt, um in das Ringen um die Medaillen vorzustoßen – ohne Claar, Bergendahl, Darj? Zwei direkte Duelle um die Viertelfinalplätze hat Schweden in der Hauptrunde noch vor sich, gegen Brasilien (Freitag) und Norwegen (Sonntag). Ein weiterer Punktverlust, so ärgerlich er auch sein mag, könnte schon das Aus bedeuten.