Handball-WM:300 Meter mit dem Bus zur Halle

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Es herrscht sehr gute Stimmung bei den Schweden, hier bei Lucas Pellas (links) und Jim Gottfridsson. (Foto: Bjorn Larsson Rosvall/AP)

Die Schweden überzeugen bei der Handball-WM von allen Favoriten bislang am eindrucksvollsten. Doch sie merken, wie sehr sie beim Heimturnier unter Beobachtung stehen.

Von Carsten Scheele

Die Schweden haben mittlerweile verstanden, wie genau sie bei dieser Handball-Heim-WM unter Beobachtung stehen, da ist zum Beispiel die Sache mit der Busfahrt. Das Team residierte bis zum Ende der Hauptrunde in Göteborg im Hotel "Opalen", nur 300 Meter Luftlinie vom "Skandinavium" entfernt, ihrer ersten Heimspielstätte dieser WM. Dreimal umfallen, schon sind die Spieler in der Halle, könnte man meinen. Doch der Weg wurde im Bus zurückgelegt, was die ein oder andere Frage provoziert hat.

Der Grund: Das schwedische Fernsehen wollte Bilder zeigen, wie die Spieler um Jim Gottfridsson aus dem Bus steigen (um dazu moderieren zu können: "Hier steigen unsere WM-Helden aus dem Bus"). Also wurden die paar Meter im Mannschaftsgefährt absolviert. Ein bisschen seltsam? Mindestens. Er wolle sich "dazu nicht äußern", sagte Jim Gottfridsson, der Spielmacher der SG Flensburg-Handewitt, und lächelte dabei. Immerhin mache man so in der Konzentrationsphase "keine 55 Selfies" mit den Fans.

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Die Schweden teilen sich die Gastgeberrolle bei dieser WM mit Polen, doch seit die Polen ihre ersten beiden Spiele verloren und da schon keine Chancen mehr aufs Mitwirken am Viertelfinale hatten, ist es mehr und mehr eine schwedische WM geworden. Die Hallen sind hier größer und voller, auch bei Spielen mit nichtschwedischer Beteiligung. Und die Schweden tanken sich kraftvoll durchs Turnier, sechs Spiele, sechs Siege, zuletzt am Sonntagabend beim 32:30 gegen Portugal. Es waren schon deutlich klarere Ergebnisse dabei, sogar ein 47:12 gegen Uruguay, was einen schwedischen WM-Rekord bedeutete; nie hatte ein schwedisches Team bei einer Weltmeisterschaft mit 35 Toren Abstand gesiegt.

Als aktueller Europameister gehört Schweden zum engen Kreis der Favoriten. Weltmeister waren Schwedens Handballer seit 1999 nicht mehr (damals spielte noch die sogenannte Goldene Generation, ein schwer schlagbares Team um die großen Stefan Lövgren, Magnus Wislander und Staffan Olsson). Das soll sich in dieser Woche ändern.

Dänemarks Mikkel Hansen zofft sich öffentlich mit Schweden-Coach Glenn Solberg

Doch es ist nicht nur eine schwedische WM, sondern auch eine skandinavische. Zum engeren Favoritenkreis gehört auch Dänemark, der Nachbar und Titelverteidiger. Auch die Dänen haben eine Art Heimvorteil: Bis nach Malmö ist es von Kopenhagen nicht weit, also kommen die Fans über den Öresund zu den Spielen, um das Team um Mikkel Hansen nach vorne zu brüllen. 12 000 Fans tünchen die ganze Halle rot und singen dänische Lieder. Malmö sei "eine dänische Festung", sagte Torwart Kevin Möller.

Malmö ist nicht weit von Dänemark entfernt. Woran man das momentan besonders merkt? Wenn Mikkel Hansen zum Wurf ausholt, sind die Tribünen in dänischer Hand. (Foto: Petter Arvidson/Bildbyran/Imago)

Einmal haben die Dänen einen Punkt eingebüßt, beim Unentschieden gegen Kroatien, ansonsten verlief auch ihr Turnier bislang glatt. Und dann sind da noch die Norweger, ebenfalls Mitfavorit, auch wenn sie im Turnier von den drei Skandinaviern bislang am wenigsten überzeugt haben. Gegen die Niederlande waren sie schon mit sechs Toren hinten, ehe Sander Sagosen und Co. doch noch ernst gemacht haben. Die Norweger haben ihre Spiele bislang in Polen absolviert; erst zur Finalrunde würden sie ins benachbarte Schweden reisen.

Immer einig sind sich die skandinavischen Länder nicht, die Sache mit der Favoritenstellung hat schon zu bilateralen Konflikten geführt, insbesondere zwischen Dänen und Schweden. Beide wollten sich vor dem Turnierstart die Favoritenrolle zuschieben; dass sich Schwedens norwegischer Coach Glenn Solberg öffentlich auf die Dänen festlegte, stieß beim Nachbarn auf Genervtheit. Besonders bei Mikkel Hansen, der ulkig zurückkeifte: "Er kann so viel reden, wie er will. Das ist sehr schwedisch, obwohl er Norweger ist, verhält er sich wie ein Schwede."

Schwedens Trainer verfolgt einen kuriosen Rotationsplan

Zu Beginn der Viertelfinals am Mittwoch wird es für die Schweden immer schwieriger, die Favoritenrolle abzulehnen. Sie sind wohl das Team, neben den Franzosen, das bislang am meisten überzeugt hat: Der traditionelle Tempohandball funktioniert bestens, im Rückraum ist viel Wurfkraft vorhanden, Abwehr und Torhüter packen kräftig zu. Trainer Solberg konnte zeitweise einige seiner Besten schonen. "Wir hatten ein paar Spieler, die sich ein bisschen ausruhen konnten", sagte Solberg nach dem Portugal-Duell, "es war perfekt."

Ganz so "perfekt" finden das seine Spieler nicht, denn Solberg erlaubt sich bei seiner Rotation einen besonderen Spaß. So setzt er sogar jenen schwedischen Akteur, der als "Spieler des Spiels" ausgezeichnet wurde, in der Partie darauf zur Schonung auf der Tribüne. So erging es Andreas Palicka, früher THW Kiel und Rhein-Neckar Löwen, heute Paris Saint-Germain, der beim 35:30 gegen Island als Bester ausgezeichnet wurde - und gegen Portugal nur auf der Tribüne sitzen durfte. In der Halbzeitpause schnappte er sich das Mikrofon, um sich "für die unglaubliche Unterstützung in der Halle" zu bedanken.

Jeder konnte sehen: Palicka wäre gerne noch ein letztes Mal in Göteborg zwischen den Pfosten gestanden, ehe das Team nach Stockholm übersiedelt. Doch sein Coach zeigte kein Erbarmen.

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