Handball-WM:Reichmann schickt unfreundliche Grüße

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Nicht auf einer Wellenlänge: Weil er von Nationaltrainer Christian Prokop (links) nicht für die Weltmeisterschaft nominiert wurde, zog es Tobias Reichmann vor, den Kontinent zu verlassen.

(Foto: imago/Camera 4)
  • Kurz vor dem Start der Handball-WM wurde Tobias Reichmann aus dem deutschen Kader gestrichen.
  • Jetzt verabschiedet er sich zum Kurzurlaub nach Orlando - und verhindert damit vermutlich, dass Bundestrainer Prokop ihn nachnominieren kann.
  • Die Personalie beschäftigt die Mannschaft durchaus.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Immerhin: Es ist nicht Melbourne geworden. Ein bisschen Tennis gucken bei den Australian Open, das hätte Tobias Reichmann auch einfallen können, schließlich hat der 30-Jährige nun unerwartet Zeit. Diese Januarwochen waren schon fürs Handballspielen geblockt, aber die Nationalmannschaft braucht den Nationalspieler Reichmann vorerst doch nicht, entschied Bundestrainer Christian Prokop zuletzt. Und Reichmann ist offensichtlich keiner, der dieses "vorerst" allzu ernst nimmt und gerne daheim hockt, um auf einen Anruf vom Bundestrainer zu warten, der ihn jederzeit nachnominieren könnte.

Während sich seine Kollegen am Mittwochabend in Berlin auf das erste Gruppenspiel gegen ein vereinigtes Team aus Korea einstimmten, schickte Reichmann Botschaften vom Rollfeld, über Instagram: "Ich bin dann mal weg. Wieso, weiß ich gar nicht genau...Ahhh, doch...Spontanurlaub." Ergänzt durch den Hashtag "sorrynotsorry". Reichmann flog nach Orlando, Rückreisezeit im Falle einer nötigen Nachnominierung: zwölf Stunden. Ein Stinkefinger für den Bundestrainer wäre kaum deutlicher gewesen.

Noch bevor der erste Ball beim Eröffnungsspiel übers Parkett gezischt ist, musste sich der Deutsche Handballbund (DHB) wieder mit atmosphärischen Störungen befassen, die schon bei der vergeigten EM vor einem Jahr ein unschönes Bild hinterlassen hatten. "Wir konzentrieren uns ausschließlich auf die Spieler, die da sind", sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning dem Sportinformationsdienst nach den Reichmann-Botschaften, eine Strafe für den Spieler soll es vorerst nicht geben.

"Überraschen tut einen irgendwann gar nichts mehr"

"Tobi wollte einmal ganz raus und abschalten. Die Enttäuschung bei ihm ist riesengroß", sagte Hanning. Es ist ein Vorfall der Art, wie man ihn sich beim DHB zum WM-Start am wenigsten gewünscht hatte, schließlich versuchen sie seit Wochen nach außen vor allem eines zu kommunizieren: alles gut zwischen Team und Trainer.

In Patrick Groetzki steht nun nur ein gelernter Rechtsaußen im deutschen Team. "Ich habe mit Tobi geredet, aber das bleibt unter uns", sagte Finn Lemke nur, als er am Mittwoch zur Nicht-Nominierung Reichmanns befragt wurde. Ihn selber hatte es vor der EM 2018 getroffen, als Prokop ihn noch überraschender daheim gelassen hatte als nun Reichmann. Lemke war damals nicht nur als Abwehrchef enorm wichtig, sondern auch ein Spieler fürs Binnenklima, der anderen Orientierung gab, bedeutender als Reichmann heute. Nach zwei Spielen wurde Lemke damals doch noch ins Team geholt. "Letztes Jahr hat das zu viel Staub aufgewirbelt in der Mannschaft", resümierte Groetzki, "das haben wir dieses Mal deutlich ruhiger hingekriegt."

Was dann aber auch zeigte, dass die Personalie Reichmann in diesen Tagen ein Thema in der Mannschaft war, mit dem man sich zusätzlich zu allem anderen Prä-WM-Stress beschäftigen musste. Und dann gab Groetzki noch ungewollt einen tieferen Einblick. "Das hat uns schon...", setzte Groetzki an, "ja... gut, überraschen tut einen irgendwann gar nichts mehr." Manchmal deuten sich solche Entscheidungen im Training an, führte der 29-Jährige noch fort, "in diesem Fall hat es das nicht." Dabei hatte Prokop für seine Entscheidung gegen Reichmann vor allem taktische Gründe angeführt. Die blieben der Mannschaft offenbar bisher verborgen.

Die Option Reichmann hat sich nun wohl erledigt

Klar ist, dass sich Prokop im Rückraum mehr Optionen schaffen wollte, der Leipziger Franz Semper schaffte es so anstelle von Reichmann in den 16er-Kader und spielt seine erste WM. Sollte sich Groetzki verletzen oder Pausen benötigen, würde auch eine Aufstellung mit zwei Kreisläufern in Frage kommen. Wobei Groetzki versicherte, dass man sich um seine Ausdauer nicht sorgen müsse. "Ich persönlich fühle mich fit genug dafür, ich mache das seit Jahren jeden zweiten bis dritten Tag bei den Rhein-Neckar Löwen in der Bundesliga und Champions League und bin es gewohnt, 60 Minuten in jedem Spiel zu spielen", sagte er.

Die Option Reichmann hat sich nun wohl ohnehin erledigt. Beim EM-Titel 2016 war der Berliner der erfolgreichste deutsche Torschütze und zweitbester Torewerfer des Turniers, auch in der aktuellen Saison sorgt er bei der MT Melsungen verlässlich für Treffer. Allerdings sind andere im deutschen Team auch treffsicher, mit Uwe Gensheimer und Matthias Musche auf der linken Außenposition wird man zumindest beim Siebenmeter-Werfen einen Reichmann kaum vermissen.

Wie viel Arbeit seit dem letzten Turnier in die Beziehung zwischen Trainer und Team gesteckt wurde, machte Groetzki auch noch mal deutlich, das gehört dieser Tage dazu. "Das haben wir so auch noch nicht erlebt, dass der Nationaltrainer fast zu allen Spielern in die Heimatvereine reist", sagte er, "er war mit uns noch mal Mittagessen, hat uns vorher schon in viele Sachen eingeweiht. Das erkennen auch alle an."

Und auch Prokop sprach von einer "tollen Mannschaft", die er trainiere, am Mittwochmittag war das noch, ein paar Stunden vor den Reichmann-Bildern. Prokop sagte: "Ich merke, dass ich die Mannschaft nur noch loslassen muss." Reichmann hat das dann wohl zu wörtlich genommen.

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