Handball-WM:Mehr als eine Mannschaft

Handball-WM: Mitten durch die Mauer: Frankreichs Spielgestalter Nikola Karabatic (mit Ball) bahnt den Franzosen gegen Norwegen den Weg zum WM-Triumph.

Mitten durch die Mauer: Frankreichs Spielgestalter Nikola Karabatic (mit Ball) bahnt den Franzosen gegen Norwegen den Weg zum WM-Triumph.

(Foto: Thomas Samson/AFP)

Frankreichs Handballer zementieren ihre globale Vorherrschaft mit ihrem sechsten WM-Triumph - und leiten bei der Gelegenheit schon den nächsten Generationswechsel ein.

Von Joachim Mölter

Wenn das mal keine Drohung war für den Rest der Handball-Welt: Bevor am Sonntagabend in der Accorhotels Arena von Paris-Bercy, dem ehemaligen Palais Omnisports, die Siegerehrung der Weltmeisterschaft über die Bühne ging, trug Frankreichs herausragender Spielmacher Nikola Karabatic sein Söhnchen Alek durch die Arena - als wolle er der Konkurrenz schon mal die über-über-übernächste Generation der französischen Handballer präsentieren. Als wolle er ihr signalisieren, dass sie sich auf Jahrzehnte hinaus darauf einstellen muss, es immer wieder mit Franzosen zu tun zu bekommen, wenn es um etwas geht.

Frankreichs Handballer haben am Sonntagabend bei ihrer Heim-WM das geschafft, was den Basketballern und den Fußballern des Landes bei ihren Heim-EMs in den Jahren 2015 bzw. 2016 nicht gelungen ist: den Titel im Land zu behalten. Im Endspiel vor 15 600 Zuschauern besiegten sie Norwegen 33:26 (18:17). "Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden", sagte Torhüter Thierry Omeyer, der wie Nikola Karabatic einst beim deutschen Rekordmeister THW Kiel unter Vertrag stand und nun für Paris St. Germain aktiv ist, "aber es ist ein großartiges Gefühl, zu Hause zu gewinnen." Der 40-Jährige genoss dieses Gefühl zum zweiten Mal: Beim Heim-WM-Erfolg 2001 an selber Stelle war er auch schon mit von der Partie. Mit insgesamt fünf WM-Titeln ist Omeyer nun der Rekordhalter unter den Spielern; für die französische Mannschaft war es der sechste WM-Triumph, sie festigte damit ihren Status als Rekordweltmeister vor Schweden und Rumänien, die je vier Titel im Trophäenschrank haben.

Handball-WM: Mitten durch die Mauer: Frankreichs Spielgestalter Nikola Karabatic (mit Ball) bahnt den Franzosen gegen Norwegen den Weg zum WM-Triumph.

Mitten durch die Mauer: Frankreichs Spielgestalter Nikola Karabatic (mit Ball) bahnt den Franzosen gegen Norwegen den Weg zum WM-Triumph.

(Foto: Thomas Samson/AFP)

Die französischen Handballer sind erst vor einem Vierteljahrhundert in die Weltspitze eingedrungen, mit einem dritten Platz bei Olympia 1992 in Barcelona, ihrem ersten Medaillengewinn überhaupt. Seitdem beeindrucken sie mit einer Kontinuität, die ihresgleichen sucht: Von den 13 Endspielen, die sie bei Olympia, Europa- oder Weltmeisterschaften erreicht haben, verloren sie nur zwei - bei der WM 1993 gegen Russland und bei Olympia 2016 gegen Dänemark. "Das ist mehr als eine Mannschaft. Das ist eine Philosophie, eine Kultur", sagt ihr ehemaliger Trainer Claude Onesta, 59, der das Amt nach Rio an seine früheren Spieler Didier Dinart und Guillaume Gille, je 40, übergeben hat.

Was man den französischen Handballern zugestehen muss: Ihre Generationswechsel klappen fast reibungslos. Schon oft war ihnen nachgesagt worden, dass sie ihren Zenit überschritten hätten: auch vor diesem Turnier ist ihnen das letzte Hurra prognostiziert worden. In der Tat war zumindest dem hyper-ehrgeizigen Omeyer anzumerken, dass er nicht mehr der Jüngste ist. Im Finale wurde er, die graue Eminenz des französischen Handballs, sogar aus dem Tor genommen, beim Stand von 7:10 (15.), und durch den zehn Jahre jüngeren Vincent Gérard ersetzt, der seinen Vorderleuten anschließend den nötigen Rückhalt gab, um das Spiel zu drehen. Doch Omeyer denkt nicht an Rücktritt: "Ich weiß noch nicht, ob das meine letzte Meisterschaft war", sagte er, "vielleicht hänge ich noch ein, zwei Jahre dran."

Frankreichs Ära: Die WM-Endspiele im Handball seit 1993

1993 Russland - Frankreich 28:19

1995 Frankreich - Kroatien 23:19

1997 Russland - Schweden 23:21

1999 Schweden - Russland 25:24

2001 Frankreich - Schweden n.V. 28:25

2003 Kroatien - Deutschland 34:31

2005 Spanien - Kroatien 40:34

2007 Deutschland - Polen 29:24

2009 Frankreich - Kroatien 24:19

2011 Frankreich - Dänemark n.V. 37:35

2013 Spanien - Dänemark 35:19

2015 Frankreich - Katar 25:22

2017 Frankreich - Norwegen 33:26

Wie auch immer er sich entscheiden wird, die nächste Generation steht schon bereit, um Nikola Karabatic, 32, und Daniel Narcisse, 37, abzulösen, die anderen prägenden Figuren der jüngeren Vergangenheit. Karabatic wurde als wertvollster Spieler des Turniers ausgezeichnet: Immer dann, wenn es nötig wurde, riss er das Geschehen an sich und stürzte sich zur Not in die Abwehrmauer, im Endspiel zum Beispiel war er bester Torschütze mit sechs Treffern. Wenn sein kräftezehrender Einsatz nicht nötig war, setzte er seine Nebenleute in Szene, den 21 Jahre alten Linkshänder Nedim Remili oder Kentin Mahé, 25, mit je 37 Treffern die besten Torjäger des Teams bei der WM. Am Kreis spielte sich der erst 20 Jahre alte Ludovic Fabregas in den Vordergrund, im Rückraum der 24 Jahre alte Timothey N'Guessan, auf Außen der auch nur zwei Jahre ältere Valentin Porte.

Norwegens Trainer Christian Berge ist überzeugt: "Auch wenn sich diese Mannschaft im Umbruch befindet, wird sie auf Jahre hinaus noch um jeden Titel mitspielen." Das traut man im Übrigen auch seiner jungen Mannschaft zu, die mit Tempo-Handball die erste internationale Medaille überhaupt für Norwegens Männer holte. Das könnte eine Parallele zu den Anfängen der französischen Dominanz sein.

Die ist wohl noch lange nicht zu Ende, zumindest solange nicht, wie eine Generation die nächste ablöst. Die Familie Mahé hat das ja vorgemacht, Kentins Vater Pascal stand 1993 in Frankreichs erster Weltmeistermannschaft. Am Sonntag sagte der Sohn: "Wir haben einige gute Jahre vor uns." Wenn Klein-Karabatic sich so entwickelt wie erhofft, können es sogar Jahrzehnte werden.

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