Süddeutsche Zeitung

Handball-WM:Rabatt in Erlangen

Christoph Steinert spielt bei der WM in Polen und Schweden eine ziemlich gute Rolle - nun wird auch sein Erlanger Teamkollege Tim Zechel nachnominiert.

Von Carsten Scheele

Vor wenigen Tagen betrieb Tim Zechel noch Frustbewältigung. Sieben Tore im Testspiel des HC Erlangen gegen die SG BBM Bietigheim, dabei hätte er viel lieber bei der Handball-WM in Polen und Schweden auf dem Feld gestanden als in der Grünewaldhalle in Tauberbischofsheim, einer Stadt, die gar nicht für Handball, sondern für den Fechtsport bekannt ist. Doch Bundestrainer Alfred Gislason hatte andere Pläne für Zechel, er schickte den Erlanger Kreisläufer kurz vor dem WM-Start nach Hause, damit er sich im Klub fit halten kann. Er sei "unfassbar enttäuscht" gewesen, sagte Zechel.

Mittlerweile hat er die Grünewaldhalle in Tauberbischofsheim gedanklich weit hinter sich gelassen, das Profileben ist ja schnelllebig. Zechel ist in Polen eingetroffen, nachnominiert vor dem wichtigen Viertelfinale am Mittwochabend in Danzig gegen Olympiasieger Frankreich. Mit Zechel vergrößert Gislason seine Alternativen in der Abwehrmitte, auf einer Position, auf der es bei der Niederlage gegen Norwegen durchaus hakte. So kommt der junge Erlanger doch noch zu seinem WM-Moment, sogar gegen die berüchtigten Franzosen.

Die Fraktion der Erlanger im deutschen Nationalteam steigt somit auf zwei Spieler an. Bislang hatte sich alles auf Christoph Steinert, 33, konzentriert, der Linkshänder spielte bei dieser WM bislang eine gehobene Nebenrolle in Gislasons Team. Die ganz großen Glanzmomente setzten andere, doch Steinert war in jedem Spiel auf der Platte, packte in der Abwehr kräftig zu, zeigte im Angriff seine Vielseitigkeit - er kann ja zwei Positionen auf internationalem Spitzenniveau ausfüllen: Halbrechts und Rechtsaußen. Drei Tore gegen Serbien, vier gegen Algerien, drei gegen Argentinien, zwei gegen die Niederlande, so sein ansehnliches Zwischenzeugnis.

Steinert steht beim Bundestrainer hoch im Kurs, Zechel gehört vielleicht die Zukunft

Daheim in Erlangen sind sie schon stolz. Sie veranstalten bei jedem deutschen WM-Spiel ein Public Viewing, mit einer Aktion: Immer, wenn Steinert für Deutschland trifft, werden die Tickets für das nächste Erlanger Heimspiel für 24 Stunden um 25 Prozent günstiger verkauft. Er traf auch am Montagabend gegen Norwegen, also gab es in Erlangen wieder Rabatt. Jetzt müssen sie die Aktion erweitern, sollte Zechel gegen Frankreich treffen.

Für beide, Steinert und Zechel, ist diese WM eine große Nummer, das erste richtig große Turnier für Deutschland - wobei man kritisch anmerken könnte, dass Steinert schon bei der EM 2022 in Ungarn und der Slowakei mitwirkte. Er spielte sogar eine gute Rolle bis zu seiner Corona-Infektion, doch Steinert differenziert da: Die EM sei etwas anderes gewesen, mit all den Erkrankungen, Wirren und Seltsamkeiten. Steinert sieht diese Weltmeisterschaft als sein erstes "normales großes Turnier" an und hat sich gleich einen Moment beschert, an den er sich erinnern wird. Es war schon sehr cool, wie Steinert zusammen mit Linksaußen Lukas Mertens gegen Serbien den Kempa-Trick zeigte: Langer Ball von Juri Knorr auf Mertens, der hebt ab und fliegt in den Kreis. Im richtigen Moment den Ball rübergelegt, Mertens auf Steinert, beide im Flug. Ein Tor, wie es der Erfinder Bernhard Kempa nicht schöner hätte aufführen können.

Steinert steht ohnehin hoch im Kurs beim Bundestrainer. Gislason schätzt seine Zuverlässigkeit, sein Abwehrspiel, seine Vielseitigkeit im Angriff, seine Coolness beim Wurf. Der Isländer würde wohl keine Sekunde zögern und Steinert auch in der entscheidenden Phase des Viertelfinals gegen Frankreich auf die Platte schicken. Und auch Steinert weiß, was er am Bundestrainer hat. Gislason habe zwar "eine sehr autoritäre Aura", sagt Steinert: "Aber das sorgt automatisch für Struktur und Ordnung. Wir haben ein enges Vertrauensverhältnis zu ihm, er lässt uns oft auf dem Spielfeld freie Hand."

So ist ein Erlanger mittendrin im Nationalteam, ein anderer hofft, künftig fest dazuzugehören. Zechel, 26, weiß natürlich, dass seine Zeit in der Auswahl womöglich erst noch kommt: Auf seiner Position im Innenblock haben in Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler zwei Spieler aufhört, die das Team über Jahre geprägt haben. Sie hinterlassen eine Lücke, in die Julian Köster, 22, bei dieser WM bereits gestoßen ist - und in die Zechel ebenfalls rein möchte. "Wenn die beiden noch da wären, wäre jetzt vermutlich kein Platz für mich", sagt Zechel. Auch er möchte sich langfristig festspielen neben Johannes Golla, dem Kapitän, von dem man sich "viel abschauen" könne. "Johannes nimmt uns gut an die Hand", berichtet Zechel: "Ich kriege eine Menge mit von ihm auf den Weg."

Dass er nun offizieller WM-Spieler wird, ist für den Kreisläufer ein großer Schritt. "Eigentlich unvorstellbar", sagt Zechel, "ich hätte nicht gedacht, dass es so weit kommt." Sein Erlanger Kollege Steinert könnte ihn, wenn es nötig wird, sicher kurz zwicken.

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