Handball-WM:Nur eine Personalie birgt Konfliktpotenzial

Christian Prokop

Macht sich diesmal nicht schon vor dem Turnier angreifbar: Handball-Bundestrainer Christian Prokop (Mitte).

(Foto: Monika Skolimowska/dpa)
  • Bundestrainer Christian Prokop nominiert 18 Spieler für die Handball-WM in Deutschland und Dänemark.
  • Er verzichtet dabei auf Europameister Kai Häfner.
  • Vor der WM muss Prokop noch zwei Profis streichen.

Von Carsten Scheele

Es ist kein Jahr her, dass sich der junge Bundestrainer Christian Prokop, 39, mit der Handballnation angelegt hat. Es war der Tag, an dem Prokop den Kader für sein erstes großes Turnier als Nationalcoach bekannt gab: Für die Europameisterschaft 2018 strich er in Finn Lemke und Fabian Wiede zwei Stammkräfte aus dem Kader, die zwei Jahre zuvor massiv mitgeholfen hatten, diesen Titel zu gewinnen. Stattdessen berief Prokop zwei Spieler ohne internationale Erfahrung, die Leipziger Bastian Roscheck und Maximilian Janke, die er zuvor als Vereinstrainer betreut hatte. Es war eine Nominierung mit Geschmäckle, insbesondere die Ausbootung von Abwehrchef Lemke stieß auf heftige Kritik. Prokop ging, da waren sich alle einig, ohne Not ein hohes Risiko ein.

Es war ein zu großes Risiko, denn die Titelverteidigung missriet bei der EM komplett. Obwohl Prokop den Abwehrchef Lemke im Turnierverlauf zurückholte (per Anruf mitten in der Nacht auf Fuerteventura), fiel Deutschland auf Rang neun zurück. Die Frage nach dem Hauptschuldigen war beantwortet: Es war Prokop, der an der Seitenlinie überfordert wirkte. Er habe ein erfolgreiches Team "regelrecht zerlegt", wie Axel Geerken, Geschäftsführer von Bundesligist MT Melsungen stellvertretend für einen Großteil der entsetzten Zunft befand.

Obwohl viele seine Ablösung forderten, durfte Prokop im Amt bleiben, und so stand er an diesem Freitag erneut vor der Aufgabe, einen Kader zu rechtfertigen, diesmal für die Heim-WM 2019, die am 10. Januar in Deutschland und Dänemark beginnt und das erste sportliche Großereignis des Jahres werden wird. Prokop ist weiterhin ein junger Bundestrainer, allerdings hat er aus den Turbulenzen offenbar Lehren gezogen. Diesmal hat er deutlich weniger draufgängerisch nominiert, die Nichtberücksichtigung von Kai Häfner (Hannover-Burgdorf) ist die einzige kleine Überraschung. Ansonsten ist es eine gradlinige Berufung jener 18 Handballer, die man aktuell durchaus für die gesündesten und besten des Landes halten kann.

Prokop hatte seine Fehler jüngst selbst zugegeben. Er habe vor der EM "viele Spieler überfordert" und den ein oder anderen "vor den Kopf gestoßen", sagte Prokop dem sid - so konnte man das durchaus formulieren. Sein aktueller 18er-Kader (aus dem Prokop noch zwei Spieler streichen muss) liest sich als Konsequenz aus dem eigenen Handeln zwölf Monate zuvor. Nicht nur, dass Abwehrchef Lemke und Rückraummann Wiede von Beginn an dabei sind: Fast alle beständigen Größen sind nominiert, angefangen bei den Torhütern Andreas Wolff und Silvio Heinevetter, dem bewährten Kreisläufer-Trio Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Jannik Kohlbacher, den Weltklassekräften auf den Außenpositionen, von Uwe Gensheimer über Patrick Groetzki bis Tobias Reichmann. In Linkshänder Franz Semper und Mittelmann Tim Suton sind nur zwei Spieler ohne nennenswerte Turniererfahrung dabei.

Der Kader sei "in sich logisch", urteilte DHB-Präsident Andreas Michelmann, auch sein Vize Bob Hanning, der nach der verpatzten EM für den Verbleib von Prokop kämpfte, sagte: "Jeder Spieler hat seine Daseinsberechtigung", als sei das vor zwölf Monaten noch anders gewesen.

Der lange Verletzte Drux könnte den Unterschied machen

So ist auch Paul Drux dabei, eines der größten Handball-Talente seiner Generation, bei dem es zuletzt Bedenken gegeben hat, ob das große Turnier nach seinen Bänderrissen nicht zu früh kommt. Drux, 23, ist, wenn er denn fit ist, einer jener Spieler, die im Rückraum den Unterschied ausmachen können. Beim Pokalerfolg der Füchse Berlin vor wenigen Tagen gegen die Rhein-Neckar Löwen zeigte Drux schon sehr viel von dem, was sich der Bundestrainer erhofft. "Er spielt eine zentrale Rolle in den Gedanken", so Prokop. Drux ist ein Teil einer ziemlich bunten Mischung im linken Rückraum, als forscher Eins-gegen-eins-Spieler neben den Werfern Fabian Böhm, Steffen Fäth und Abwehrspezialist Lemke. "Ein toller Mix", hofft Prokop.

Einzig die Personalie Kai Häfner birgt vor den beiden letzten Testspielen gegen Tschechien (4. Januar in Hannover) und Argentinien (6. Januar in Kiel) Konfliktpotenzial. Der Europameister ist den deutschen Handball-Fans bestens in Erinnerung: Der Linkshänder hatte das DHB-Team bei der EM 2016 mit einer Heldentat ins Finale geworfen: mit seinem Tor in den letzten Sekunden der Halbfinal-Verlängerung gegen Norwegen. Wie Drux war auch Häfner, 29, lange verletzt, für ihn reichte es nicht. Er habe sich "gut zurückgekämpft", attestierte Prokop, entschied sich aber doch für den Leipziger Semper, 21, der erst zwei A-Länderspiele absolviert hat.

Schmerzlich vermisst wird Julius Kühn

Dass weitere Kandidaten im Aufgebot fehlen, ist nicht Prokops Schuld. Schmerzlich vermisst wird Julius Kühn, die Zwei-Meter-Rückraumkante, die im Herbst von einem Kreuzbandriss gestoppt wurde. Auch Michael Kraus, dem Weltmeister von 2007, hätte man bis zu seinem Mittelhandbruch zugetraut, als Regisseur Akzente zu setzen. Statt Kraus ist nun Martin Strobel dabei, der aktuell in Balingen-Weilstetten bloß in der zweiten Liga spielt - und der Lemgoer Tim Suton, 22. Anstelle von Kühn steht der Hannoveraner Fabian Böhm im Aufgebot.

Hart getroffen hat es Julius Kühn, der es laut Selbstauskunft nicht ertragen würde, den Kollegen bei der Heim-WM zuzusehen. Er habe "alle Angebote abgelehnt", etwa als Fernsehexperte dabei zu sein. Sobald das Turnier startet, fliegt Kühn zur Reha: nach Miami.

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