Handballer rennen, springen und werfen, aber sie sollten nicht hinter der Auswechselbank auf dem Bauch liegen. Insofern war es ein gewöhnungsbedürftiges Bild, das Juri Knorr am Mittwochabend in Herning bot. Der deutsche Spielmacher war auf einer nassen Stelle des Hallenbodens weggerutscht, ohne Kontakt mit einem Gegenspieler ging er zu Boden. Der Physiotherapeut kniete lange neben Knorr, bearbeitete die Muskulatur am Ober- und Unterschenkel, tastete das Kniegelenk ab. Die Diagnose: schwierig.
Etwas später, als Knorr durch die Gänge der Jyske Bank Boxen irrte, auf der Suche nach der deutschen Mannschaftskabine, war sein Gang auf jeden Fall wieder deutlich runder. „Ein Schreckmoment“ sei das gewesen, sagte Bundestrainer Alfred Gislason nach dem hart erkämpften 35:28-Sieg zum WM-Auftakt gegen Polen: „Es sah nicht so gut aus, aber Juri sagte, es sei nur eine Verstauchung.“ Das konnte Nationalmannschaftsmanager Benjamin Chatton am Donnerstag so bestätigen. Er könne „noch keine komplette Entwarnung geben“, sagte Chatton. Aber grundsätzlich sehe es gut aus, Knorr könne gegen die Schweiz voraussichtlich mitwirken.

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Ein Ausfall von Knorr gleich zum WM-Start wäre bitter gewesen, weil der Mittelmann zuletzt einen guten, aufgeräumten und zielstrebigen Eindruck hinterlassen hat. Er ist ein wichtiger Teil der Lösung, wie das deutsche Spiel besser funktionieren kann als in diesem nervösen Auf und Ab gegen die Polen. Es geht ums Tempo bei den deutschen Handballern, um die richtige Rasanz im Spiel. Am Mittwoch waren die sie erst zu schnell, dann zu langsam und letztlich genau richtig unterwegs, so lässt sich die Krux mit den Geschwindigkeiten zusammenfassen.
Als Gislason mit zwei Mittelmännern spielt, sind die Polen überfordert
Zunächst überschritten sie die Tempovorgaben, weil Knorr und Kollegen zu Spielbeginn „überdrehten“, wie Gislason analysierte. In den ersten zehn Minuten hätte sich am liebsten jeder deutsche Angreifer sofort ins Getümmel gestürzt und den Torabschluss gesucht. „Wir wollten zu schnell zu viel“, sagte Gislason. Nicht, dass er dafür kein Verständnis gehabt hätte: Die Anspannung im deutschen Team war groß, besonders nach den ausbaufähigen Leistungen in den letzten Testspielen gegen Brasilien. Das Team wollte die Polen überrennen und schnell für klare Verhältnisse sorgen, kein weiteres Zitterspiel. Das ging erst mal nach hinten los, die Polen führten anfangs. Knorr hatte als Spiellenker gute Aktionen, die richtige Temposteuerung gelang aber nicht immer.
Es folgte die Phase, in der die Deutschen die Geschwindigkeit plötzlich drosselten. Als die Nervosität allmählich nachließ, die Probleme in der Abwehr aber zunahmen, insbesondere mit dem 2,07-Meter Hünen Kamil Syprzak am Kreis und dem Halblinken Ariel Pietrasik, und das Tempospiel dadurch erlahmte. Dieses Phänomen kennt der Bundestrainer von seinem jungen Team schon: „Wenn wir uns in der Abwehr ärgern, hören wir manchmal auf, die zweite Welle zu laufen.“ Die zweite Welle ist wichtig im Handball, wenn der Ball schnell nach vorn getrieben wird, obwohl die erste Tempogegenstoßoption nicht genutzt wurde. Häufig lassen sich die gegnerischen Abwehrreihen dann in einem unsortierten Zustand erwischen.

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Es folgte Phase drei, in der die Deutschen das Spiel endlich wohltemperiert anzogen – und die Polen einsehen mussten, dass sie auf diese Weise nicht mehr mithalten konnten. Dies hatte viel mit der Einwechslung von Luca Witzke zu tun, dem zweiten Mittelmann im Team, den Gislason schon gegen Ende der ersten Halbzeit brachte; mit der Besonderheit, dass Gislason Knorr nicht etwa vom Feld holte, sondern beide Spielmacher auf der Platte beließ.
Witzke ordnete fortan den Vortrag von der Mittelposition heraus, Knorr agierte als zweite Kreativkraft auf Halblinks daneben. Es ist eine Option, die Gislason schon häufiger ausprobierte – fast immer mit Erfolg. Mit Knorr und Witzke läuft der Ball erheblich schneller durch den Rückraum, als wenn dort ein etatmäßiger Halblinker mitspielt. Agiert dann daneben auf Halbrechts noch Renars Uscins, mit zehn Toren bester Schütze gegen die Polen, muss der Gegner schon sehr sicher stehen, um sich keinen Drehwurm einzufangen. Die Deutschen erhöhten jetzt schnell, erst führten sie mit drei Toren, dann mit vier, schließlich mit sieben. „Da haben wir sie überrannt“, sagte Julian Köster.
Am Freitag schon folgt das nächste Gruppenspiel gegen die Schweiz
„Es hat gut funktioniert, als wir den schnellen Ball gespielt haben“, fand auch der Leipziger Witzke, der nach seiner Einwechslung nicht nur Uscins in Szene setzte, sondern selbst fünf von fünf Würfen aus dem Rückraum versenkte – eine starke Quote. Auch Knorr erzielte bis zu seiner Verletzungen fünf Tore und zeigte herausragende Anspiele, in der ersten Halbzeit auf Justus Fischer am Kreis, in der zweiten auf Uscins.
Witzke gab die Richtung für die kommenden Spiele vor: „Noch mehr Tempo! Damit machst du den Gegner irgendwann müde, zwingst ihn zu Fehlern.“ In den weiteren Vorrundenspielen am Freitag gegen die Schweiz (20.30 Uhr/ZDF) und am Sonntag gegen Tschechien (18 Uhr, ARD) könnte dies zur Not auch ohne Juri Knorr funktionieren. Zumal in Nils Lichtlein ein weiterer Mittelmann im Kader steht, der den Ball ebenfalls zu beschleunigen weiß.
Für die Hauptrunde, für die das Team nach dem Auftaktsieg gegen Polen schon planen kann, sollte Knorr aber wieder im Vollbesitz seiner Kräfte sein. „Juri ist unser Mittelmann Nummer eins“, sagte Gislason. Und so ein Mittelmann Nummer eins muss manchmal gar nicht auf der Mittelposition spielen.