Handball-WM:"Da mache ich so einen dummen Fehlpass"

Russia v Germany: Group A - 26th IHF Men's World Championship

Enttäuscht über sich selbst: Paul Drux (vorne).

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Die deutschen Handballer sind nach dem 22:22 gegen Russland enttäuscht, blicken aber schon auf das nächste WM-Vorrundenspiel am Dienstagabend gegen Frankreich.
  • Dann muss die Mannschaft in bester Verfassung auftreten, will sie gegen den amtierenden Weltmeister eine Chance haben.
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Von Saskia Aleythe, Berlin

In schwierigen Momenten lernt man Menschen besser kennen als in schönen. Reagieren sie auf Rückschläge mit Wut? Trauer? Gleichgültigkeit? Kampfeslust? Am Montagabend gab es in der Berliner WM-Arena dazu ein paar Charakterstudien zu bestaunen, zum Beispiel bei Paul Drux. Der Rückraumspieler der deutschen Handball-Nationalmannschaft hatte gegen Russland in den heiklen letzten zehn Minuten der Partie zwei wichtige Siebenmeter für seine Mannschaft herausgeholt. Und hätte man dieses dritte WM-Spiel in der 58. Minute abgepfiffen, wäre er wohl später mit einem Lächeln vor die Mikrofone getreten. Alles super, Sieg gegen Russland, klasse gespielt. Doch das Blöde an so einem Handballspiel ist ja, dass die Fehler am Ende einer Partie oft die entscheidenden sind. Und da lächelte Drux nicht mehr.

Ein Pass in die Arme des Gegenspielers kurz vor Schluss, Tempogegenstoß, dann stand es plötzlich nur noch 21:21, Drux schluckte. "Da mache ich so einen dummen Fehlpass, was uns am Ende das Genick bricht", sagte er anschließend live in der ARD, es war eine offen gestellte Frage, auf die er mit Selbstkritik reagierte. Aus einer Zwei-Tore-Führung in der 58. Minute wurde noch ein 22:22. Drux wirkte geknickt. Doch das Motto lautete: Abhaken, nützt ja nichts. Bloß nicht aufhalten lassen.

Die deutschen Handballer haben sich einiges vorgenommen für diese WM, der Verband wünscht sich den Halbfinaleinzug, also darf man nicht lange hadern nach dem ersten Spiel, das nicht mit einem Sieg endet. Bei der EM 2016, die für Deutschland so erfolgreich verlief, war das Team sogar mit einer Niederlage gegen Spanien gestartet. Am Ende stand der Europameistertitel.

Prokop: "Nicht so clever wie erhofft"

Aber Enttäuschung war schon da bei den Deutschen. "Die darf heute Abend auch da sein", meinte Bundestrainer Christian Prokop. "Es ist schon ein kleiner Schockmoment, keine Frage", sagte Kreisläufer Hendrik Pekeler, Kapitän Uwe Gensheimer sprach von einer "gefühlten Niederlage". In der 52. Minute hatten die Deutschen schließlich mit 20:18 geführt, es war der Moment, als Uwe-Uwe-Rufe durch die Halle schallten, weil Gensheimer zum Siebenmeter antrat, nach einem erfolgreichen Vorstoß von Drux.

Er setzte zum Heber an, Drei-Tore-Vorsprung, die 13 500 Zuschauer in der Arena standen. Man hätte meinen können: Das Ding ist durch. Dann hätten am Ende alle über andere Szenen gesprochen: Wie Andreas Wolff einmal mit dem Fuß den Ball über die Latte lenkte etwa oder Fabian Wiede mit einem No-Look-Pass an den Kreis ein Tor einleitete. Aber dann kam es anders.

Dann kamen die Fehler wieder, die sich schon durch die Partie gezogen hatten: Martin Strobel machte einen seltenen Schrittfehler, Steffen Weinhold missglückte seine Wurfauswahl gegen den russischen Torwart. Und dann kam auch noch Pech dazu, als ein feiner Schlagwurf des Hannoveraners Fabian Böhm nur an den Innenpfosten krachte und nicht ins Tor. "Wir sind in den entscheidenden Momenten nicht ganz so konsequent und so clever, wie wir es uns erhofft haben", sagte Prokop. Doch es fiel auch auf, dass der Angriff gegen die russische Mannschaft so seine Probleme hatte.

Ein Russe wird zum Spieler des Spiels gewählt

Dass Russland offensiv verteidigen würden, wussten die deutschen Handballer vorher - doch es machte ihnen mehr zu schaffen als befürchtet. Die Rückraumspieler in der Mitte und rechts wurden aggressiv gedeckt, das deutsche Spiel erlahmte ein Stück weit. "Gefühlt ist das dann immer ein sehr, sehr weiter Pass, der auch ankommen muss", erklärte Kreisläufer Jannik Kohlbacher, durch den gut bewachten Rückraum bekamen die Spieler am Kreis deutlich seltener den Ball. "Jeder hat so eine kleine Einzelaktion gestartet", fand Hendrik Pekeler, der zweite von drei Kreisläufern, "wir haben nicht als Mannschaft zusammengespielt".

Weil Kohlbacher, Pekeler und Patrick Wiencek in ihren Vereinen enorm wichtige Rollen einnehmen, hat Trainer Prokop das deutsche Spiel sehr auf diese Stärke am Kreis ausgelegt - Russland wusste das allerdings gut zu verteidigen. Und die Russen kamen selber zu Toren, weil sie im direkten Zweikampf mit flinken Finten gegen deutsche Abwehrbeine oft Erfolg hatten.

Timur Dibirow wurde am Ende zum Spieler der Partie gewählt, mit acht Toren war er der beste Werfer der Russen. "Solche Weltklassespieler kann man sehr schwer ausschalten", sagte Böhm, der trotz des Spielstandes am Schluss mit sich und der Welt ganz zufrieden war. Schließlich wäre sein Tor am Ende beinahe der Siegtreffer gewesen, das 22:21 hatte der 29-Jährige in letzter Minute erzielt, bevor die Russen noch zum Ausgleich kamen. "Ein Rückschlag? Nee, finde ich nicht", sagte Böhm, seine Mannschaft habe ja über die meiste Zeit geführt. Und auch Kohlbacher wollte gar nicht erst in Trauer verfallen. "Jeder hat den Kopf oben, hat die Brust raus", sagte er, auch wenn das beim Blick durch die Mixed Zone bei manchem recht verborgen blieb.

Momente der Freude, Momente des Ärgers, sie kommen und verfliegen im Handball, manchmal innerhalb von Sekunden. Vielleicht hilft das sogar, um gegen Frankreich am Dienstagabend nicht mehr an die Fehlwürfe vom Montag zu denken. Gegen den noch amtierenden Weltmeister muss die deutsche Mannschaft in bester Verfassung sein, bei einer möglichen Rückkehr des dreimaligen Welthandballers Nikola Karabatic wohl umso mehr. "Es ist eine tolle Mannschaft, garantiert", sagte Prokop am Montagabend noch. Und dann ergänzte er friedlich, aber bestimmt: "Aber wir haben ja auch schon ein bisschen was aufgebaut und das will ich nicht kaputtgeredet haben nach einem Unentschieden - keiner Niederlage."

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