Süddeutsche Zeitung

Handball-WM:Das Ziel lautet: Olympiasieg 2020

  • Die deutschen Handballer beenden die Heim-WM ohne Medaille, aber mit dem Gefühl, dennoch etwas erreicht zu haben.
  • Das Ziel lautet nun Olympiasieg 2020. Davor aber gibt es einiges zu verarbeiten.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen der Handball-WM.

Von Saskia Aleythe, Herning

Bob Hanning brach die Stimme. Sie machte einen Schlenker in höhere Tonlagen, die ganzen Gefühle von 18 Tagen müssen ja irgendwo hin. Hinter ihm lärmte der Hallensprecher schon und versuchte, die Zuschauer fürs Finale einzupeitschen, da musste sich Hanning erst einmal sammeln, nach dem verlorenen Spiel um Bronze bei der Heim-WM. Allzu knapp waren die deutschen Handballer an der Medaille gegen Frankreich gescheitert. So knapp, dass Hanning, der Vize-Präsident des Deutschen Handballbundes (DHB), die Tränen wegkämpfte und sagte: "Mir tun die Jungs einfach leid."

Dabei wussten sie alle schon längst, dass die vergangenen Wochen vor allem eines bedeuteten: ein großes Glück für den Handball in Deutschland. Hanning ist einer, bei dem das Adrenalin nach den Auftritten der Handballer in den Adern wummert. Er freut sich oder leidet mit. Nachdem die deutsche Mannschaft mit einem Sieg gegen Kroatien vor einer Woche den vorzeitigen Einzug ins Halbfinale perfekt gemacht hatte, sagte Hanning voller Inbrunst: "Wir! Sind! Wieder! Drin!". Er meinte die Weltspitze im Handball und ließ einen schönen Monolog darüber folgen: "Wir waren mal richtig drin, dann waren wir mal sehr schnell weg. Jetzt waren wir dran, ab heute sind wir wieder drin."

Daran änderte auch die verpasste Medaille nichts. Mit angeknacksten Herzen fuhren die Spieler noch in der Nacht Richtung Hamburg zurück, doch hinter der Enttäuschung lugte auch die große Portion Stolz hervor. Den treffendsten Satz formulierte via Instagram Martin Strobel, der gegen Kroatien das Turnier-Aus erlitten hatte: "Heute sind wir zwar keine Sieger, aber ein großer Gewinner der WM."

Prokop sagt: "Ich habe ein super Gefühl mit diesen Jungs"

Die zehnte Partie in 18 Tagen war noch nicht mal zwei Stunden vorbei, da konnte auch Bundestrainer Christian Prokop den Blick schon in die Zukunft richten. Aus all seinen Ausführungen zum Spiel um Bronze war vor allem eines herauszuhören: wie stolz er auf eine Mannschaft war, die vor einem Jahr noch fast an ihm und sich selbst zerbrochen wäre. Nach dem schweren Start in das Leben als Bundestrainer mit dem neunten Platz bei der EM stand Prokop enorm unter Druck. Und konnte nun Sätze sagen wie diese: "Ich habe ein super Gefühl mit diesen Jungs." Oder auch: "Es hat mir riesigen Spaß gemacht, mit den Jungs diese WM hier zu genießen." Und das klang dann schon so, als hätte er mit ihnen noch einiges vor.

Es gab Momente bei dieser WM, in denen Prokop empfindlich reagierte, am verlässlichsten in diesen: Wann immer er zu besonderen Leistungen einzelner Spieler gefragt wurde, verwehrte er sich beinahe einer Antwort und verwies auf die Kraft des Teams. So auch am Sonntagabend in Herning. Frage: Wer hat sie bei dieser WM positiv überrascht? Prokop: "Der Star ist diese Mannschaft. Ich möchte keinen hervorheben." Willen, Charakter, Kämpferherz und vor allem Zusammenhalt forderte Prokop von den Spielern, "das war einzig und allein unsere heutige Chance", verwies er dann nochmal auf die Partie gegen die Franzosen.

Was da an individueller Qualität auf jeder Position zu finden sei, könne die deutsche Mannschaft nur mit Teamspirit kompensieren. Und dass sie das zwei Mal tat, zwei Mal fast gewonnen hätte, war dann ja in der Tat ein gutes Zeugnis. Rückraumspieler Fabian Wiede wurde auf Halbrechts ins All-Star-Team der WM gewählt, das konnte auch Prokop nicht verhindern.

Das Fernziel von Hanning und Co. lautet ohnehin: Olympiasieg 2020. Das hatte Hanning schon vor Jahren ausgerufen, nun wähnt man sich auf dem richtigen Weg. "Wenn wir so spielen, traue ich dieser Mannschaft alles zu", sagte Rückraumspieler Kai Häfner, "wir können überall mithalten, müssen uns nirgendwo verstecken." Martin Strobel, Uwe Gensheimer, beide 32, und Silvio Heinevetter, 34, gehören zu den Ältesten im Kader, dahinter wartet aber eine ganze Reihe jüngerer Spieler auf. Paul Drux, Fabian Wiede und Jannik Kohlbacher sind noch keine 25 - und bei Olympia im besten Handballer-Alter. Und dann käme auch noch Julius Kühn dazu, der beste Shooter der Deutschen hatte diese WM ja wegen eines Kreuzbandrisses gar nicht antreten können.

"Wenn man wieder zu Hause ist und vielleicht mal auf der Straße angesprochen wird, wird man realisieren, was wir in den vergangenen zwei Wochen erreicht haben", hatte Gensheimer nach dem Halbfinal-Aus gegen Norwegen gesagt und das berührte ja die kühnsten Träume der Verantwortlichen im DHB: Dieses Turnier sollte auch dafür sorgen, den Sport wieder populär zu machen. 14 Millionen TV-Zuschauer kamen in der Spitze zusammen, die Hallen waren so gut gefüllt, dass ein neuer Publikumsrekord aufgestellt wurde. "Wir haben viele Fans erreicht, das merken wir auch bei den Komplimenten, die wir bekommen", sagte Prokop am Finaltag.

Der 40-Jährige will die neue Euphorie im Land nun auch persönlich möglichst lange aufrecht erhalten. "Wir sind in der Verantwortung, in die Schulen und in die Vereine zu gehen und die Kids einfach zu begeistern für Handball", sagte er, und "das nicht abflachen zu lassen. Das haben wir gelernt aus der vor zwölf Jahren zurückliegenden WM." Nach dem Titel im eigenen Land hatte sich der Verband damals etwas zu sehr zurückgelehnt, ab 2009 hatte man 90 000 Mitglieder verloren. Nun hofft man auf einen Abstrahleffekt der erfolgreichen WM, der DHB will sich jetzt für ein Olympia- Qualifikationsturnier im Frühjahr 2020 in Deutschland bewerben. "Wir haben jetzt auch ein Anrecht uns zu bewerben, weil wir unter den ersten Vieren sind", sagte Hanning.

Zehn Tage will Prokop noch für die Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, "und danach verabschiede ich mich mal in den Urlaub". Es gibt einiges zu verarbeiten.

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