Handball-WM: Deutschland - Norwegen:Mit jedem Detail demütigender

Den deutschen Handballern fehlt jede Basis - Trainer Heiner Brand ist nach dem Scheitern bei dieser WM gegen Ungarn und Norwegen ratlos. Ob er weitermacht, entscheidet sich in den nächsten Tagen.

Christian Zaschke, Jönköping

Norwegen, das klang gut in den Ohren der deutschen Handballer. Das hätte der ideale Aufbaugegner nach der Niederlage gegen Ungarn vom Montag sein können. Die Norweger spielen soliden, aber recht biederen Handball, sie sind ein limitiertes Team. Norwegen also, Dienstag, WM-Hauptrunde, für die Deutschen ging es darum, die Chance zur Teilnahme an der Olympia-Qualifikation zu erhalten. Für die Norweger ging es um nichts.

Germany v Norway - Men's Handball World Championship

Leere Blicke: Die deutschen Handballer enttäuschten gegen Norwegen auf ganzer Linie. Teilweise wurden sie vorgeführt.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Als die Schiedsrichter nach 60 Minuten abpfiffen, standen die deutschen Handballer verloren auf dem Feld herum wie eine Kegelgruppe, der gerade der Reisebus gestohlen worden ist. Sie blickten um sich und sahen jubelnde Norweger allüberall, und wenn sie den Blick zum Anzeigewürfel der Arena zu Jönköping hoben, dann sahen sie eine schockierende Wahrheit: Sie, für die es um so viel ging in diesem Spiel, hatten gegen ein Durchschnittsteam, für das es um nichts ging, mit zehn Toren Abstand verloren. 25:35 stand es am Ende.

In einem derart hoffnungslosen Zustand war der deutsche Handball seit 1997 nicht mehr, als Heiner Brand den Posten des Bundestrainers übernahm. Nun stellt sich die Frage, wie lange er noch Bundestrainer bleibt. Ob er den Willen hat, mit dieser unberechenbaren Mannschaft einen neuen Anfang zu wagen.

Wagt Brand einen Neuanfang?

Bereits am Montag hatten die Deutschen gegen Ungarn verloren, es war eine Vorstellung, zu der es keine Steigerung zu geben schien. Gegen die Norweger hatte Brand auf eine Reaktion seiner Mannschaft gehofft. Dass sie so drastisch ausfallen würde, hätte er sich nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen vorstellen können. Die Partie wirkte, als gehe gerade etwas zu Ende.

Wenn der Bundestrainer Heiner Brand zuletzt vom ungarischen Regisseur Gabor Császár sprach, dann sagte er stets Zsa Zsa Gabor, was natürlich dazu führte, dass umgehend Bilder im Kopf entstanden. Wie die Gabor auf dem Handball-Feld steht und energisch Anweisungen gibt. Wie sie eine Sonnenbrille mit suppentellergroßen Gläsern trägt und den Ball traumwandlerisch sicher laufen lässt. Wie sie den Rückraumspieler Carlos Perez, der ungefähr ihr Alter hat, immer wieder freispielt, so dass er die deutsche Deckung zerlegen kann.

Aber dann verschwinden die schönen Bilder wieder, und es erscheinen niedergeschlagene deutsche Handballer, die am Montagabend bei der WM 25:27 gegen Ungarn verloren haben und dem schlechten Spiel am Dienstag ein desolates folgen ließen. Brand ist wohl vom Verdacht freizusprechen, die Ungarn und die Norweger unterschätzt zu haben. Zwar hatte er zuletzt den ungarischen Spielmacher Gabor Császár stets Zsa Zsa Gabor (bzw. Császár Gabor) genannt, doch das könnte gar für eine überaus detaillierte Kenntnis des Gegners sprechen, denn in Ungarn ist es bei vielen Namen üblich, den Nachnamen zuerst zu nennen.

Eine Ausnahme ist der Ungar Carlos Perez, der aus Kuba stammt. Er ist 39 Jahre alt und wurde erst zur Hauptrunde nachnominiert. Perez spielt nicht besonders schnell, nicht besonders dynamisch, aber er erzielte fünf Tore gegen die Deutschen. Es sind Geschichten wie diese, die auch den Sieg der Ungarn in einem derart wichtigen Spiel so demütigend für die Deutschen machen.

Es gibt noch mehr davon: Der beste Spieler, László Nagy vom FC Barcelona, war gar nicht dabei. Er liegt mit dem ungarischen Verband überkreuz. Der routinierte Kreisläufer Guyla Gál fehlte verletzt. Die Ungarn sind also nicht einmal in Bestbesetzung angetreten, sie füllten die Reihen unter anderem mit Perez, einem Mann, der schon vor der Entdeckung Amerikas Handball spielte, und doch gewannen sie gegen eine deutsche Mannschaft, die sich nach dem Sieg gegen den Olympiazweiten Island schon wieder zu Höherem berufen fühlte. Das sagt viel über die Leidenschaft, mit der die selbst in Bestbesetzung eher mittelmäßigen Ungarn zu Werke gingen, und es sagt noch mehr über die Deutschen.

Die Mannschaft hat bei dieser WM ein sehr gutes Spiel gezeigt, das sie mit einigen ansprechenden und zu vielen miserablen Leistungen umrahmte; gegen Ungarn und Norwegen hat sie einen neuen Tiefpunkt erreicht. Das eine sehr gute Spiel war der Sieg gegen Island, bei dem das Team fast alles richtig machte und spielte, wie seit Jahren nicht mehr: entschlossen, mutig und vor allen Dingen sehr, sehr schnell.

Einbruch gegen Frankreich

Gegen Frankreich war die Auswahl eingebrochen, gegen Ungarn und gegen Norwegen spielte sie fahrigen Zitterhandball und agierte kopflos. 38 Fehlwürfe brachten die Deutschen gegen Ungarn zustande, das ist eine unfassliche Quote. Und das in einem Spiel, das wirklich wichtig war. Mit einem Sieg gegen Ungarn hätte sich die Mannschaft mit einiger Wahrscheinlichkeit die Teilnahme am Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele gesichert. "Ich gehe schon davon aus, dass die Mannschaft wollte", sagt Brand, "es wäre ja fahrlässig, nicht zu Olympia zu wollen."

Dass sie es besser können, haben die deutschen Handballer gezeigt. "In so einem Spiel muss man alles geben", sagt Heiner Brand, "und wenn ich mit dem Kopf unter dem Arm zum Tor springe, ist es das wert. Warum das nicht so war, kann ich nicht sagen." Die Mannschaft gibt dem Bundestrainer Rätsel auf, er weiß nicht, ob es an der Einstellung mangelt (was er sich nicht vorstellen will), ob die Spieler zu müde waren (was er immerhin für möglich hält), ob sie dem Druck nicht gewachsen waren oder ob er sie als Trainer vielleicht nicht mehr erreicht.

"Ich denke schon, dass man mir zuhört", sagt er, "aber wenn die Frische fehlt, dann ist wohl manches schwierig umzusetzen. Und es fehlt auch die spielerische Klasse, die eine absolute Spitzenmannschaft ausmacht."

Von der Spitze weit entfernt

Im Raum steht nun die Frage, ob die sehr guten oder die sehr schlechten Spiele der Betriebsunfall sind. Gegen Island war das Team auch deshalb so gut, weil es den Gegner aus den Vorbereitungsspielen sehr gut kannte und ganz genau wusste, wo die Schwäche der Isländer ist - da sie zwischen Abwehr und Angriff zwei Spieler wechseln, muss man schnell gegen sie spielen, und das haben die Deutschen konsequent getan. Komplexeren Aufgaben sind sie jedoch nicht gewachsen, sobald es ein bisschen schwierig wird, droht das Team zu zerfallen.

Eine gute Handballmannschaft hat eine Basis, auf die sie sich zurückziehen kann, wenn es nicht läuft; eine Grundordnung, einige Spielzüge, die immer gehen. Das ist wichtig, um in schwierigen Phasen wieder Sicherheit zu gewinnen. Die Deutschen haben diese Basis nicht mehr, wenn es nicht läuft, ist da keiner, der das Spiel beruhigt, der allen vermittelt: Nur die Ruhe, wir können das besser. Die vermeintlichen Führungsspieler Pascal Hens und Michael Kraus haben sich bei diesem Turnier als überfordert erwiesen. Sie sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, beide brauchen einen starken Kapitän, bei dem sie sich anlehnen können (bei ihrem Klub in Hamburg übernimmt das der Franzose Guillaume Gille).

So ist im Team ein schwarzes Loch entstanden, in dem bisweilen alles Können dieser Mannschaft verschwindet. Dieses Problem ist so grundsätzlich, dass es für Heiner Brand bedeutet: Wenn er als Bundestrainer weitermachen und mittelfristig wieder Erfolg haben will, muss er, ganz gleich was bei der WM noch passiert, neue, teils radikale Lösungen finden. Es ist zweifelhaft, dass er sich das antun wird.

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