Deutsche Handballer im Halbfinale:Immer einen Schritt zu spät

IHF Handball World Championship - Germany & Denmark 2019 - Semi Final - Germany v Norway

Norwegens Bjarte Myrhol im Duell mit DHB-Spieler Hendrik Pekeler.

(Foto: Annegret Hilse/Reuters)
  • Bis zum Halbfinale glänzte die deutsche Mannschaft während der Handball-WM mit einer starken Defensive.
  • Doch gegen Norwegen macht dem Team das Tempo des Gegners zu schaffen.
  • Auch der Plan von Norwegens Trainer Christian Berge geht auf: Sander Sagosen sollte im Zusammenspiel mit Kreisläufer Bjarte Myrhol die deutsche Defensive durchbrechen.

Von Saskia Aleythe, Hamburg

In der Halbzeit hat noch keine Mannschaft ein Halbfinale gewonnen. Und doch war es eine Szene mit Aussagekraft, die sich am Freitagabend acht Sekunden vor dem Pausenpfiff auf dem Parkett der Hamburger Arena abspielte. Nach einem Drei-Tore-Rückstand hatte sich die deutsche Mannschaft gegen Norwegen wieder zurückgekämpft, auf der Anzeigetafel: ein 12:13. Jetzt bloß noch den Angriff verteidigen, mit einem guten Gefühl in die Kabine verschwinden - doch dann war da dieser Sander Sagosen.

Einen halben Meter vor Wiencek stoppte er ab und wackelte den Deutschen mit einer Bewegung nach links aus, um dann - durch den Kreis hindurch - den Ball per Tipper an Bjarte Myrhol wieder nach rechts durchzustecken. Eine Aktion, bei der normale Menschen schon vom Zuschauen Zerrungen bekommen. Finn Lemke ist zwar 15 Zentimeter größer als Myrhol, konnte ihn aber nur noch von hinten umklammern. Siebenmeter, Treffer, 12:14. Und dann ging es mit dem unguten Gefühl in die Kabine, dass da eine Mannschaft den Deutschen gegenüberstand, die eine Lösung gefunden hatte. Die die Abwehr um Wiencek und Co. knacken konnte. Ausgerechnet im Halbfinale. "Es gibt manchmal so Spiele, wo es einfach nicht gut klappt", sagte ein mitgenommener Wiencek nach der 25:31-Niederlage, "leider war das heute so ein Spiel."

Was hatte sich die Auswahl von Christian Prokop im Turnierverlauf für einen Ruf erspielt: So viele Blöcke wie die Deutschen waren keiner anderen Mannschaft gelungen, nicht mal annähernd. Wiencek allein kam auf 14 Stück, so viele wie alle Norweger zusammen geschafft hatten. Als "beste Abwehr der Welt" hatte Bob Hanning, der Vize-Präsident des Deutschen Handballbundes (DHB), die Leistung der Defensive mitunter bezeichnet. Aber auch er musste später ernüchtert feststellen, dass das Prädikat am Freitagabend nicht passte: "Das hat heute nicht funktioniert." Gerade mal einen Block konnte Wiencek gegen Norwegen stellen.

Was vor allem am Tempo lag, das die Norweger vorgaben. Dass sie nach einer schnellen Mitte oft über die zweite Welle zum Tor kommen, hatte man vorher gewusst - doch verteidigen konnten es die Deutschen trotzdem nicht. Immer waren sie einen Schritt zu spät am Gegner, luden die Norweger durch schlechte Abschlüsse im eigenen Angriff zum Kontern ein. "Wir haben zu viele Eins-gegen-Eins-Situationen verloren", sagte Kapitän Uwe Gensheimer. Und tatsächlich war diese Reaktionsschwäche verheerend: Wer zu spät kommt, hängt sich oft seitlich oder gar von hinten in den Angreifer, was dann schnell zu Zeitstrafen führt. Sieben Mal mussten die Deutschen in diesem Halbfinale auf der Bank Platz nehmen, Hendrik Pekeler sah nach drei Zeitstrafen gar Rot. Und so kam die Abwehr durch die vielen Unterzahl-Situationen zusätzlich in die Bredouille. "In der Unterzahl waren wir in der Abwehr nicht stark genug", resümierte Prokop später.

Andreas Wolff und Silvio Heinevetter können im Tor nicht viel ausrichten

Mancher Pfiff der Schiedsrichter sorgte für Verwunderung, doch Schuldzuweisungen gab es keine. "Wir wissen ja, dass die in dem Turnier eine eigenartige Linie pfeifen, aber das gilt ja für beide Seiten. Von daher lag es nicht bei den Schiedsrichtern", sagte Wiencek. Es war ja auch allzu offensichtlich, woran es sonst lag: An dem pfeilschnellen Sander Sagosen. Und auch an Norwegens Trainer Christian Berge. Der hatte natürlich die deutsche Abwehr im Turnier studiert und einen Plan aufgestellt: Dass Sagosen im Zusammenspiel mit Kreisläufer Myrhol die deutsche Defensive durchbrechen soll. "Das war die Strategie, ja", sagte Berge später auf dem Pressepodium, und sie ging auf: Sagosen verteilte die Bälle durch deutsche Abwehrbeine und -arme hinweg und war auch selber torgefährlich, seine Schlagwürfe landeten oft ohne Gegenwehr ihm Netz.

"Wir lassen den Torhüter zu oft alleine gegen Sagosen und Myrhol", analysierte Prokop, und das war dann auch ein Teil der Erklärung, warum es mit der Quote gehaltener Bälle in diesem Halbfinale ebenfalls nicht so rosig aussah. Wenn die Abwehr die Torhüter im Stich lässt, ist es schwerer für sie, Paraden gegen Spieler zu zeigen, die gerade auf sie zufliegen. Andreas Wolff und Silvio Heinevetter bekamen beide ihre Spielanteile, konnten aber nicht viel ausrichten: Nur 16 Prozent gehaltene Bälle. Schlechtester Wert der WM.

Als die zweite Halbzeit wieder angepfiffen wurde, ließ Gensheimer durchblitzen, was den Deutschen hätte helfen können in diesem Endspiel ums Endspiel. Er stibitzte einem Norweger den Ball, Fabian Wiede machte per Tempogegenstoß das Tor, 13:14 stand es da. Doch es sollte der einzige Ball an diesem Abend sein, den die Abwehr den Norwegern klauen konnte. Auch weil die Gäste selber so konzentriert spielten. "Es stand einfach ein starker Gegner auf der anderen Seite. Das muss man auch mal anerkennen", sagte Gensheimer, der sonst mit Sagosen bei Paris Saint-Germain zusammenspielt.

"Das war wahrscheinlich eine once-in-a-lifetime-chance, vor heimischem Publikum ins Finale einzuziehen", fasste es der Kapitän noch zusammen. Er ist ja jetzt auch schon 32 Jahre alt. Und weil es am Sonntag noch um Bronze geht, hat er schon Minuten nach der Niederlage in der Kabine eine Ansprache an die anderen gehalten. Mit besten Hoffnungen für eine dichtere Abwehr gegen die Franzosen.

Zur SZ-Startseite
Deutschland - Norwegen

Enttäuschung nach Halbfinal-Aus
:"So eine Chance bekommst du vielleicht einmal im Leben"

Groß ist die Enttäuschung der deutschen Handballer nach der Niederlage im Halbfinale der Heim-WM gegen Norwegen. Die Gedanken der Spieler sind auch bei den Zuschauern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: