Handball-WM:Große Gelegenheit verpasst

Handball-WM: Moment der Hoffnung: Jannik Kohlbacher trifft zur einzigen Führung der Partie, zum 25:24 gegen Norwegen. Bald darauf muss sich das DHB-Team 26:28 geschlagen geben. .

Moment der Hoffnung: Jannik Kohlbacher trifft zur einzigen Führung der Partie, zum 25:24 gegen Norwegen. Bald darauf muss sich das DHB-Team 26:28 geschlagen geben. .

(Foto: Tilo Wiedensohler/Camera4/Imago)

Die deutschen Handballer hätten den ersten WM-Härtetest gegen Norwegen gewinnen können - wäre da nicht die mangelhafte Chancenverwertung gewesen. Der Bundestrainer mahnt: Gegen Olympiasieger Frankreich muss alles besser klappen.

Von Ralf Tögel, Kattowitz

Alfred Gislason hatte das letzte Spiel der Hauptrunde gegen Norwegen zum ersten echten Gradmesser erklärt. Denn die Skandinavier zählen zum Kreis jener Mannschaften, die als Medaillenkandidaten gelten. Sein Team könne zeigen, ob es ebenfalls zu diesem elitären Kreis zu zählen ist. Fünf Siege in fünf Spielen hatte die Auswahl des Deutschen Handballbunds (DHB) bei der Weltmeisterschaft in Polen und Schweden gesammelt - nun aber unterlag sie den Skandinaviern mit 26:28. Und man muss konstatieren: Den ersten Härtetest gegen ein Team von Weltklasseformat hat sie nicht bestanden.

Der Schaden hält sich jedoch in Grenzen, das Viertelfinale hatten beide Teams schon vorher gebucht. Allerdings beschert die Niederlage dem deutschen Team den zweiten Platz in der Hauptrundengruppe und damit am Mittwoch (20.30 Uhr, ZDF) den vermeintlich schwereren Gegner: Olympiasieger Frankreich. Die Franzosen hatten sich mit einem Sieg gegen Spanien den ersten Platz in ihrer Gruppe erkämpft, dem sechsmaligen Weltmeister wäre das deutsche Team gerne aus dem Weg gegangen. Die Norweger treffen auf Spanien, was ihr Kieler Kreisläufer Petter Overby grinsend kommentierte: "Ich fand, die Franzosen sahen etwas fitter aus als Spanien."

Sonderlich negativ fiel das Fazit des Bundestrainers indes nicht aus, sein Team hatte mit den Norwegern über die gesamte Spielzeit mitgehalten, aber letztlich doch die große Chance verpasst. "Wir müssen das Spiel nach Hause bringen; aber wenn man so viele klare Torchancen vergibt, verliert man gegen so einen Gegner", sagte Gislason. Diese mangelnde Chancenverwertung zog sich wie ein roter Faden durch das Spiel.

Gislason hatte einige Überraschungen in der Startformation parat: So stand Joel Birlehm für den zuletzt so überragend haltenden Andreas Wolff im Tor, und auf Linksaußen spielte der Kieler Rune Dahmke. Das zahlte sich nur bedingt aus, Dahmke erzielte zwar den ersten Treffer der Deutschen zum 1:1 und war mit vier Toren zweitbester Schütze seines Teams, aber Birlehm bekam keinen Ball zu fassen. "Wir sind schlecht ins Spiel gekommen", erkannte Gislason - er reagierte und schickte Wolff zwischen die Pfosten. Sehr zur Freude von Lukas Podolski, der sich das Spiel anschaute und am deutschen Torhüter besondere Freude hatte. Der Fußball-Weltmeister mit polnischen Wurzeln spielt mittlerweile in der polnischen Ekstraklasa für Gornik Zabrze und wohnt in Kattowitz.

In der ersten Halbzeit ist Juri Knorr mit sieben Toren Alleinunterhalter im Angriff

Die Skandinavier, die über ein sehr erfahrenes und hochkarätig besetztes Team verfügen, von dem acht Profis bei Spitzenteams in der Bundesliga unter Vertrag stehen, wissen solche Schwächen zu nutzen. So auch an diesem Abend. Resultat war eine schnelle 4:1-Führung. Mit Wolff, der erneut mit einer Weltklasseleistung aufwartete, und Juri Knorr als Antreiber kämpften sich die Deutschen aber zurück ins Spiel. Der 22-jährige Spielmacher war in der ersten Halbzeit Alleinunterhalter im Angriff, glänzte mit seinen typischen Bodenpässen an den Kreis und erzielte Tor um Tor, viele aus dem klassischen Stemmschritt, mitten durch die norwegischen Abwehrarme hindurch. Sieben seiner insgesamt acht Treffer gelangen ihm im ersten Durchgang.

Doch das ständige Hinterherhecheln kostete Kraft. Und kamen die Deutschen den Norwegern zu nahe, wie beim 16:16 kurz vor der Pause, wurden beste Chancen vergeben: frei vom Kreis, frei von Außen, unbedrängt aus dem Rückraum. Die Norweger quittierten das in gewohnter Manier mit zwei schnellen Toren zum 18:16-Halbzeitstand.

Handball-WM: Zur Not Abwehr mit dem großen Zeh: Auch die Weltklasseparaden von Andreas Wolff haben nicht zum Sieg gereicht.

Zur Not Abwehr mit dem großen Zeh: Auch die Weltklasseparaden von Andreas Wolff haben nicht zum Sieg gereicht.

(Foto: Tilo Wiedensohler/Camera4+/Imago)

Nach dem Wechsel das gleiche Spiel: Norwegen legte vor, die Deutschen kämpften sich mit viel Leidenschaft heran. Und fast wäre die Partie gekippt, als Gislason in Luca Witzke und Djibril M'Bengue zwei frische Kräfte aufs Parkett beorderte. Erst traf der Linkshänder vom Bergischen HC zum Ausgleich; dann bediente er Jannik Kohlbacher am Kreis, der traf zum 25:24. Acht Minuten waren noch zu spielen - doch es sollte die einzige Führung des DHB-Teams in dieser Partie bleiben. Denn im Gegenzug kassierte Luca Witze für ein unglückliches Fuß-Foul am norwegischen Rechtaußen Kevin Gulliksen die rote Karte, und Barthold verwandelte den fälligen Siebenmeter. Einen Fehlwurf und ein verpatztes Anspiel später war die Begegnung entschieden, da die Norweger beides konsequent per Konter bestraften.

Nun also Frankreich, ein äußerst starker Gegner

"Norwegen hat das sehr erwachsen runtergespielt, die zählen nicht umsonst zur Weltspitze", konstatierte Christoph Steinert. Kollege Juri Knorr fand, man müsse sich vorwerfen, "dass wir nicht konsequenter waren mit unseren Chancen. Uns fehlte die absolute Entschlossenheit". Ähnlich äußerte sich Norwegens Petter Overby: "Vielleicht haben wir es am Schluss ein bisschen mehr gewollt. Wir haben schon viele solche Turniere gespielt, das bedeutet schon was."

Nun also Frankreich: ein äußerst starker Gegner, mit Topspielern wie Dika Mem, Ludovik Fabregas oder Melvyn Richardson, allesamt beim Champions-League-Sieger Barcelona unter Vertrag. Und mit besonders ausgebufften Routiniers wie Nikola Karabatic, 38, und Kentin Mahe, 31. "Gegen Frankreich werden wir ein anderes Gesicht zeigen", versprach Knorr. Gislason mahnte, dass "dann alles besser klappen muss, wenn wir eine Chance haben wollen".

Am Dienstag reist der deutsche Tross nach Danzig, "dann bereiten wir uns vor", sagte Gislason. Wann er sich dem intensiven Videostudium des Gegners widmen werde, wurde der Bundestrainer noch gefragt, ehe er in die Katakomben der Spodek-Arena entschwand. Antwort: "Das mache ich seit gestern."

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