Süddeutsche Zeitung

Handball-WM der Frauen:Mix aus Krimi, Komödie und Drama

Die deutschen Handballerinnen sind in den entscheidenden Momenten zu verkrampft und warten noch auf den Halbfinal-Einzug bei der WM. Die nächste Partie ist über das Turnier hinaus richtungsweisend.

Kommentar von Ulrich Hartmann

Allabendlich vor dem Einschlafen schauen die Zimmergenossinnen Kim Naidzinavicius und Antje Lauenroth zusammen Krimis auf dem Laptop. Kein Wunder, dass die deutschen Handballerinnen angesichts solcher Genrevorlieben auch bei der Weltmeisterschaft in Japan die Spannung auf die Spitze treiben. Mit einem Sieg gegen Serbien im vorletzten Hauptrunden-Gruppenspiel hätten sie am Montag den Einzug ins WM-Halbfinale bereits perfekt machen können. 100 Sekunden vor Schluss führten sie mit einem Tor Vorsprung - fünf Sekunden vor Schluss traf sie ein serbischer Siebenmeter ins Herz. Nach der schmerzhaften 28:29-Niederlage wird es am Mittwoch einen Showdown gegen Norwegen geben.

Nun waren nervenaufreibende Kraftproben in der jüngeren Historie nicht gerade das Ding deutscher Handballerinnen. Zu oft sind sie in den entscheidenden Momenten verkrampft und bei großen Turnieren in den vergangenen zehn Jahren nie über einen finalen sechsten Platz hinausgekommen - wer auch immer da gerade Bundestrainer war. Der aktuelle Coach, der Niederländer Henk Groener, sagt, Nervenstärke sei auch eine Frage der Erfahrung. Über große Erfahrung verfügen so junge Spielerinnen wie Amelie Berger, 20, Emily Bölk, 21, Alicia Stolle, 23, Alina Grijseels, 23, und Dinah Eckerle, 24, aber nicht.

Diese Partie bekommt eine enorme Bedeutung

Hoffnungsvolle Nachrichten gab es im Laufe des Montags mit dem Sieg der Däninnen gegen die Niederlande sowie dem Erfolg der Norwegerinnen gegen Südkorea. Somit stehen die deutschen Handballerinnen schon vor ihrem abschließenden Hauptrundenspiel gegen die Skandinavierinnen am Mittwoch sicher im Spiel um Platz sieben, der als Zugangsberechtigung fürs Olympia-Qualifikationsturnier genügt. Das war ihr Minimalziel, und dass sie dies erreicht haben, könnte ihnen etwas Druck nehmen vor dem Showdown gegen Norwegen.

Die bisherigen sieben WM-Spiele der Deutschen waren ein wilder Genre-Mix aus Krimi, Komödie und Drama. Letzteres wurde gegen die robusten Serbinnen aufgeführt, die man am Kreis nie zu packen bekam. Da diesmal weder die sonst starke Torhüterin Eckerle noch die Deckung ihren besten Tag erwischt hatte, hätten wenigstens die Angreiferinnen ihre Chancen verwerten müssen. Doch dies bleibt bislang die große Schwäche.

Binnen 60 Minuten wird sich am Mittwoch in einer sehr engen Gruppe entscheiden, ob die deutschen Handballerinnen mit einem Sieg gegen Norwegen als Gruppensieger ins Halbfinale einziehen oder bei einer Niederlage im schlimmsten Fall als Gruppenvierter nur das Spiel um den siebten Rang bestreiten dürfen.

Auf dem Weg in ein mögliches WM-Halbfinale, zu Olympia 2020 und womöglich noch in eine erfolgreichere Zukunft des schon so lange darbenden deutschen Frauenhandballs, bekommt diese Partie eine enorme Bedeutung. Das wird Henk Groener seinen Spielerinnen so aber gewiss nicht vermitteln. Der Handballtrainer und Sportdozent ist da sehr pragmatisch und predigt stets: Entscheidend ist immer nur der nächste Angriff.

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Quelle:
SZ vom 10.12.2019/sonn
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