WM in Deutschland:Raus aus der Provinz!

Derzeit erzielen die deutschen Handballer Einschaltquoten, die sonst nur Fußballer schaffen. Aber um als Sport langfristig von der Begeisterung zu profitieren, sind neue Strategien notwendig.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Lawinenartig outen sich die Deutschen in diesen Tagen als Freunde des Handballsports. Auch viele Politiker wollen da mitspielen, über soziale Netzwerke findet die Teambildung statt. Justizministerin Katarina Barley ("War auch Kreisläuferin ...") hat sich selbst nominiert, der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert bietet seine Dienste an ("Hallo vom Linksaußen ..."), und Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther, ein bekennender Linkshänder, verfolgte die WM-Vorrunde in Berlin im Deutschland-Trikot. Sie alle sind anlässlich der Weltmeisterschaft Teil der großen deutschen Handballgemeinde, doch die Frage ist: Was bleibt von der Euphorie, wenn am Sonntag das Finale gespielt ist?

Daniel Günther regiert jenes Bundesland, in dem Handball die Nummer eins ist: Tabellenführer der Bundesliga ist die SG Flensburg. Tabellenführer der zweiten Bundesliga ist die baden-württembergische HBW Balingen-Weilstetten, und das beschreibt schon das Problem: Die WM wird in Berlin, München, Köln und Hamburg gefeiert - der Handball aber hat seine Wurzeln, seine Heimat und womöglich auch seine Zukunft in der Provinz, bis tief hinein in die dörflichen Strukturen. Von den vier Millionenstädten, die das Privileg genießen, die WM ausrichten zur dürfen, hat nur noch Berlin einen Erstligisten.

Dennoch profitieren die Städte mit den großen Hallen vom Erfolg dieser WM. Das Spiel gegen Kroatien, das Deutschlands Handballern den Einzug ins Halbfinale sicherte, sahen 19 000 Zuschauer in der Kölner Halle und im Schnitt 10,02 Millionen im ZDF. Bei diesen Zahlen werden sogar die Fußballer neidisch; den ebenfalls im Free-TV präsentierten Rückrundenstart des FC Bayern verfolgten dreieinhalb Millionen weniger. Die Spannung steigt von Spiel zu Spiel, immer mehr Deutsche lernen die Handballer Uwe, Paul, Silvio kennen und finden zum Vornamen auch das passende Gesicht.

Das tröstet für den Augenblick darüber hinweg, dass die Sportart unter Mitgliederschwund leidet. Basketball ist cooler, Beachvolleyball erotischer, Eishockey ebenso hart, aber noch schneller. Im Fußball fließt mehr Geld, im Kampfsport mehr Adrenalin. Und der bekannteste deutsche Handballer ist der gut gepiercte und tätowierte Stefan Kretzschmar, einst Olympia-Zweiter; doch heute ist er 45 und wirft schon lange keine Tore mehr.

Den Strategen des Handballs ist bewusst, dass sie die Begeisterung dieser Tage nutzen müssen, besser als 2007, als der letzte deutsche WM-Finalsieg mehr als 20 Millionen Zuschauer vor den Fernseher lockte, aber eine Langzeitwirkung ausblieb. Jetzt soll der Gewinn aus der Heim-WM in die Nachwuchsförderung und den Schulsport gesteckt werden. Handball soll zurück in die Mitte der Gesellschaft, wo er schon mal war, in den Siebzigern, als Vereine wie Gummersbach und Großwallstadt diesen Sport dominierten. Er soll die Vielfalt abbilden und sich öffnen für Talente mit Migrationshintergrund. Deshalb auch der Umzug in die großen Städte.

Die Handballer müssen befürchten, dass am Ende doch wieder alte Schwarz-Weiß-Bilder die Erinnerung an diesen in Deutschland erfundenen und noch immer sehr deutschen Sport prägen. Zum Beispiel an den ESV Ingolstadt und dessen Gewinn einer Hallen-Meisterschaft im Jahr 1974. Wer im Internet nach "Seehofer" und "Handball" sucht, findet schnell ein Mannschaftsfoto. Ja, auch Horst Seehofer spielte mal Handball. Im Tor.

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