Süddeutsche Zeitung

Handball-WM:Mut anballern für das, was noch kommt

Von Saskia Aleythe, Berlin

Die Spielpläne bei Handball-Weltmeisterschaften meinen es in der Regel gut mit dem Gastgeber. Der hat ja schon genügend Stress, wenn plötzlich 23 Nationen auf der Matte stehen und gefälligst ein schönes Turnier erleben wollen. Noch dazu die Tausenden Zuschauer, die für ihr Geld anständige Leistungen erwarten. Da muss es nicht gleich die Kracherspiele zum Auftakt geben, da ist erst mal sanftes Eintauchen ins Turnier angesagt. Für die deutschen Handballer hieß das am Donnerstagabend: 30:19 (17:10) gegen Korea, ein Sprung ins lauwarme Wasser, den sie unbeschadet überstanden haben. Jetzt kann es richtig losgehen mit dieser Heim-WM.

Es war ein Eröffnungsspiel fürs gute Gefühl, das gaben Bundestrainer und Spieler offen zu. "Es waren viele Emotionen in dem Spiel von beiden Seiten", sagte Christian Prokop. Der Gegner war ja mit Spielern aus Nord- und Südkorea aufgelaufen und für die Deutschen ging es darum, die Nervosität vor der Heim-WM aus den Knochen zu kriegen. Mut anballern für das, was noch kommt. "Das hat meine Mannschaft bravourös gelöst", sagte der Trainer, der Fehlwürfe erst gar nicht "an die große Glocke" hängen wollte, später aber doch zu dem Schluss kam: An der Chancenverwertung sollte man noch arbeiten, will man auch gegen größere Handballnationen bestehen.

Torwart Andreas Wolff lobt den Keeper der Koreaner, das sagte auch schon viel aus. "Das war eine Leistung, die aller Ehren wert ist. Wir haben 17 Mal oder so gegen ihn größtenteils freistehend verworfen", sagte Wolff. Es war sogar noch ein Fehlwurf mehr. Aber wie gesagt: Keine große Glocke, bitteschön.

Wolff ist immer noch ein sehr guter Torwart

Für die deutschen Spieler ist es die erste WM im eigenen Land, umso intensiver sogen sie auf, was in der Berliner Arena rund um das Eröffnungsspiel mit 13 500 Zuschauern passierte. "Wir sind alle mit einem Grinsen eingelaufen und hatten Gänsehaut", berichtete Kapitän Uwe Gensheimer. Noch leidenschaftlicher drückte sich Matthias Musche aus, sein Konkurrent auf der linken Außenposition: "Als wir die volle Halle gesehen haben, war das der Moment, in dem für jeden Spieler ein Traum in Erfüllung gegangen ist. Das war Stolz und Freude."

Alle 16 Spieler, die Prokop in den Kader berufen hatte, bekamen Einsatzminuten gegen Korea, es ging ihm ganz explizit darum, alle warmlaufen zu lassen. WM-Neuling Franz Semper kam so zu seinem Premieren-Tor. Stellt sich nur die Frage: Welche sportlichen Erkenntnisse gewinnt man nun aus so einer Partie?

Zunächst einmal die auffälligste: Andreas Wolff ist immer noch ein sehr guter Torwart. Mit einer Quote von 56 Prozent gehaltener Bälle wurde er zum Spieler der Partie gewählt, das waren dann doch fast 20 Prozentpunkte mehr als bei seinem Gegenüber aus Korea. Auch mit der Abwehr zeigte sich Prokop zufrieden. "Wir haben über weite Strecken sehr gut in der 6-0 verteidigt und auch in der 3-2-1", sagte der Bundestrainer, die offensivere 3-2-1-Abwehrvariante hatte zu Beginn der ersten Halbzeit noch zu verlässlichen Tempogegenstößen und Toren geführt. Mit den Schlagwürfen der Koreaner kam die deutsche Abwehrreihe nicht immer gut zurecht. "Da haben wir den ein oder anderen zu viel durchgelassen", sagte Gensheimer.

In Sachen Stressresistenz machte die erste Halbzeit nicht unbedingt Mut, bedingt durch zahlreiche Zeitstrafen auf beiden Seiten wurde auch die Nervosität der deutschen Spieler sichtbar. Eine "zerfahrene Phase" nannte sie Rückraumspieler Steffen Weinhold, "ich glaube schon, dass wir noch zu viele technische Fehler hatten." Es häuften sich Abspielfehler, Fehlwürfe und planloses Gewusel. "Ich hoffe, dass wir uns von Spiel zu Spiel steigern können", sagte Weinhold noch. Der Rückraum ist der Problembezirk im deutschen Spiel, von allen Spielern, die Prokop dort testete, machte Steffen Fäth mit vier Treffern noch den besten Eindruck.

Umso mehr Bedeutung könnte den Kreisläufern bei dieser WM zukommen: Mit Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Jannik Kohlbacher hat Prokop drei Männer in den Kader berufen, die auch in ihren Vereinen erste Wahl sind. Gegen kleine Koreaner meisterten sie ihre Sache tatsächlich "bravourös". Kohlbacher beantwortete zudem die Frage, wer denn Rechtsaußen Patrick Groetzki ersetzen könnte, sollte jener während der WM unpässlich werden: er selber.

Die Position von Groetzki war noch vor WM-Start zum Stressthema geworden, weil sich Tobias Reichmann - ebenfalls Rechtsaußen - kurzerhand in den Kurzurlaub nach Florida verabschiedet hatte. Eine Reaktion auf die Nichtberufung in den endgültigen Kader, allerdings hätte Prokop ihn schon gerne in greifbarer Nähe gewusst, falls er ihn nachnominieren muss. Einen Tag vor dem Eröffnungsspiel hatte Reichmann auf Instagram Postings vom Flughafen verfasst, garniert mit den Worten "Ich bin dann mal weg. Wieso, weiß ich gar nicht genau...Ahhh, doch...Spontanurlaub." Torwart Wolff reagierte nach dem Spiel gegen Korea genervt auf Nachfragen zu Reichmanns Botschaften: "Hat jemand noch seriöse Fragen?" Auch Gensheimer sagte: "Bei uns ist das überhaupt kein Thema." Noch überzeugender hätte ein "Wir kennen gar keinen Reichmann" geklungen.

Aber sie haben tatsächlich Wichtigeres zu tun: Sich mit Brasilien beschäftigen, dem nächsten Gegner am Samstagabend (18.15 Uhr, Liveticker auf SZ.de). Bei den Olympischen Spielen 2016 besiegten die Brasilianer Deutschland in der Gruppenphase, mit lauter Unterstützung der eigenen Fans. "Das ist auf jeden Fall ein ganz anderes Kaliber", sagte Weinhold. Dann kann die WM ja beginnen.

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