Porträts der Handballer:Sanfte Riesen mit Killerinstinkt

Dem einen sind die Hotelbetten zu klein, der andere sagt, er fürchte sich vor Gespenstern - und die deutschen Kreisläufer sind einfach nicht zu fassen. 16 Porträts, die eine Handball-WM-Mannschaft ergeben.

Von SZ-Autoren

1 / 16

Tor: Silvio Heinevetter

Germany v Czech Republic - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Der prominenteste aktive Handballer Deutschlands ist zweifellos Torhüter Silvio Heinevetter von den Füchsen Berlin, und das liegt sicher nicht nur daran, dass er mit seinen 34 Jahren der Älteste und mit 180 Länderspiel-Einsätzen der Erfahrenste im Kader von Bundestrainer Christian Prokop ist. Dass Heinevetter auch außerhalb des Sports bekannt ist, hat er seiner Liaison mit der Schauspielerin Simone Thomalla zu verdanken; wenn er jedoch auf die Rolle neben der früheren Tatort-Kommissarin Saalfeld reduziert wird, ärgert ihn das. Mit Recht. Heinevetter gilt als schwierig, wirkt oft mürrisch, ist aber wichtig für die Stimmung im Team: Bringt meist Brettspiele mit, mit denen sich die Handballer die Zeit zwischen den Partien vertreiben. moe

2 / 16

Tor: Andreas Wolff

Germany v Argentina - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Einmal hat Andreas Wolff im ZDF-Sportstudio erzählt, und man mochte es kaum glauben, dass er sich vor Gespenstern fürchte. Das war 2016, und Wolff berichtete allen Ernstes, dass er nicht nur bei Horrorfilmen in Deckung gehe. Sondern dass er oft erst den Teamkollegen ins Zimmer schicke, damit der nachschaut, ob es dort spukt. Gerade hatten die Deutschen die Europameisterschaft gewonnen, hatten sich als "Bad Boys" inszeniert, und Wolff hatte sich die Bälle mit bis zu 120 Stundenkilometern auf Gesicht und Körper knallen lassen. Und dann erzählt dieser Torwart seine Variante der Parabel vom Elefanten, der die Maus fürchtet. Es heißt jetzt, er habe sich gut erholt, sei vollends bei Sinnen. Der große Unheimliche bei dieser WM, der wird somit er, der Wolff. hoe

3 / 16

Linksaußen: Uwe Gensheimer

Germany v Norway - Handball International Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Es war nur folgerichtig, dass Uwe Gensheimer irgendwann in Paris landete. Dort wurde mit katarischer Subventionierung eine Weltauswahl geformt, da durfte der weltbeste Linksaußen nicht fehlen. Seine Hausaufgaben waren auch erledigt, 2016 wurde er nach mehreren knapp gescheiterten Anläufen Meister mit den Rhein-Neckar Löwen, der Weg nach Frankreich war geebnet. Dem Teamkapitän, 32 Jahre, 160 Länderspiele, wird nachgesagt, dass er im rechten Handgelenk Knochen aus Gummi habe, sonst wären seine Trickwürfe nicht unfallfrei auszuführen. Neben seinem Repertoire sind Konter und Siebenmeter die Lieblingsdisziplinen des pfeilschnellen Linksaußen, der das EM-Gold 2016 verletzt verpasst hat. Es gibt noch etwas zu erledigen. Verein: Paris Saint-Germain. toe

4 / 16

Linksaußen: Matthias Musche

Germany v Argentina - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Die WM kommt für Matthias Musche wie gerufen, erlebt er doch gerade die beste Saison seiner bisherigen Handball-Karriere. Ende November hatte der Linksaußen des SC Magdeburg nach 14 Partien schon mehr Tore erzielt als in der gesamten Saison zuvor, der 26-Jährige ist Toptorschütze der Liga. 162 Treffer in 19 Partien, das sind 8,5 Tore pro Spiel. Musche ist einer für die einfachen, schnellen Tore und am Sieben-Meter-Strich ohne Nerven. In Magdeburg wird er auch geschätzt, weil er das Publikum mitreißen kann - keine schlechte Eigenschaft bei einer Heim-WM. 31 Länderspiele durfte er schon absolvieren. Einziges Problem: Auf seiner Position spielt eben auch Uwe Gensheimer, der Kapitän. ska

5 / 16

Rückraum links: Finn Lemke

Germany v Argentina - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Der "Aggressive Leader", der die Mannschaft aufrüttelt, wenn es mal nicht läuft. Denn wer will sich schon mit einem 2,10-Meter-Riesen anlegen? Normale Hotelbetten sind ihm zu kurz, die Türen zu niedrig. Hat eine Spannweite von 2,20 Metern, wenn er die Arme ausbreitet - ist auf dem Handballfeld für seine 114 Kilo aber verblüffend geschmeidig unterwegs. Hatte Bundestrainer Prokop den Abwehrspieler der MT Melsungen vor der EM 2018 noch aus dem Kader geworfen und erst nach öffentlichen Protesten nachnominiert, ist Lemke, 26, diesmal von Beginn an dabei. Völlig zurecht. Meist in der Defensive eingesetzt, wo er in luftigen Höhen, wo es zieht, Bälle blockt, an die andere längst nicht mehr herankommen. ebc

6 / 16

Rückraum links: Steffen Fäth

-

Quelle: AFP

Ein Handball-Team, das Erfolg haben will, braucht Kanoniere, die mit ihrer Wurfkraft ein Spiel entscheiden wollen. Denen es völlig egal ist, wie viele Gegner am Trikot hängen, wie viele Fäuste sich entgegenstrecken. Die rücksichtslos gegen sich selbst ihren Weg suchen wie Julius Kühn, der aktuelle Germanen-Kanonier aus Melsungen - doch Kühn ist verletzt, kurz vor der WM trat das Knie in Streik. Jetzt kommt es im linken Rückraum, wo die Impulse gesetzt werden, verschärft auf Steffen Fäth, 28, von den Rhein-Neckar Löwen an, eher Filigran als Kanonier. Auch er kann ein Spiel prägen, beim EM-Gewinn 2016 war er der auffälligste deutsche Rückraumspieler. Aber Fäth hat rätselhafte Launen - mal trifft er alles, mal trifft er nix. hoe

7 / 16

Rückraum links: Paul Drux

Germany v Poland - International Handball Friendly

Quelle: Boris Streubel/Bongarts/Getty Images

Wird er rechtzeitig fit? Im Oktober wurde Paul Drux noch am Sprunggelenk operiert, erst im Dezember konnte er wieder für die Füchse Berlin spielen - gerade rechtzeitig, um es zur WM zu schaffen. Der 23-Jährige gilt schon lange als großes Talent, mit 16 holte ihn Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning persönlich ans Sportinternat in Berlin und prophezeite ihm eine große Zukunft. Drux war dann oft verletzt, ist aber auch gereift. Er kann nicht nur im linken Rückraum spielen, er bringt auch für die Mittelposition strategisches Geschick mit. Drux hat Übersicht und einen strammem Wurf, 66 Länderspiele hat er mittlerweile absolviert. 2016 gewann er Olympia-Bronze. Da war er gerade mal nicht verletzt. ska

8 / 16

Rückraum links: Fabian Böhm

Germany v Argentina - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Bundestrainer Prokop nennt ihn seinen "Krieger", und wenn man dem deutschen Co-Trainer Alexander Haase glaubt, dann könnte Böhm "eine wichtigere Personalie werden, als manche jetzt glauben". Für viele ist der Halblinke von der TSV Hannover-Burgdorf ein Unbekannter, dabei hat Böhm, 29, 15 Länderspiele und sogar eine WM mitgemacht. 2015 in Katar gehörte er zur mobilen Eingreiftruppe des damaligen Bundestrainers Dagur Sigurdsson, der einige Spieler mit Spezialaufgaben betraut hatte. Böhm, 1,98 Meter groß und 99 Kilo schwer, war für Impulse im Angriff zuständig, "er kann sowohl im Eins-gegen-Eins, als auch mit dem Wurf überzeugen", sagt Haase. Klingt wieder nach Spezialeinsätzen für Böhm. moe

9 / 16

Rückraum Mitte: Fabian Wiede

Handball - Olympics: Day 12

Quelle: Laurence Griffiths/Getty Images

Bundestrainer Prokop nennt ihn "Straßenhandballer". Ist aber eigentlich der "Go-to-guy", der Spieler also, der von den Kollegen gesucht wird, wenn kurz vor der Schlusssirene dringend ein Tor her muss. Solche Spitz-auf-Knopf-Situationen sind für Fabian Wiede, 24 Jahre alt, 62 Länderspiele, keinerlei Belastung. Er sei "ein Typ, der keine Hemmungen hat und gerne Entscheidungen trifft", sagt der Rückraumspieler der Füchse Berlin, und es ist absehbar, dass es bei dieser WM sehr auf Wiede ankommen wird in der deutschen Mannschaft. Als Linkshänder ist er nicht nur auf Halbrechts, sondern auch als Mittelmann eingeplant. Seine Stärken: strategisches Geschick, krachender Wurf, Killerinstinkt. Schwächen: keine. ebc

10 / 16

Rückraum Mitte: Martin Strobel

Deutschland - Argentinien

Quelle: dpa

Es war eine überraschende Wiederauferstehung im Nationalteam: Nach EM-Titel und Olympia-Bronze vor drei Jahren hatte Martin Strobel eine Auszeit genommen, um die geschundenen Knochen wieder auf Vordermann zu bringen. Zur Heim-WM war der 32-Jährige zurück, was er vornehmlich dem EM-Desaster von Kroatien im Januar zu verdanken hatte. Dort hatte ein Regisseur gefehlt, der Ruhe ins Team bringt, Verantwortung übernimmt, die richtige Entscheidung trifft. Während der WM bewies Strobel, dass er dieser Spielmacher sein kann, dass er eine Mannschaft zu führen weiß. Im Halbfinale muss die deutsche Mannschaft allerdings auf den Regisseur von Zweitligist Balingen-Weilstetten verzichten. In der Hauptrunde gegen Kroatien zog er sich einen Innen- und Kreuzbandriss zu. Mit seiner Erfahrung von mehr als 140 Länderspielen und dem Wissen, wie man Titel gewinnt, fehlt er der deutschen Mannschaft nun. toe

11 / 16

Rückraum rechts: Steffen Weinhold

Germany v Czech Republic - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Wahrscheinlich hat man folgenden Satz für den Kieler Rückraumspieler erfunden: Er geht dahin, wo es weh tut. Also mit größtmöglichem Druck auf die gegnerischen Abwehrschränke, nicht selten bezahlt der Halbrechte seine wuchtigen Schlagwürfe mit nicht minder wuchtigen Bremshieben. Aufhalten lässt sich Weinhold, 1,91 Meter groß und 95 Kilo schwer, von derlei Kleinigkeiten kaum. Kann selbst auch austeilen, der 32-Jährige ist Teil des Kieler Abwehrriegels, Kategorie: unangenehmer Gegenspieler. Weinhold fällt nicht durch spektakuläre Aktionen auf, er ackert unermüdlich fürs Team. Abseits des Spielfeldes gilt der Routinier als Schweiger, einer, der in sich ruht. Meldet er sich aber zu Wort, hören alle zu. toe

12 / 16

Rückraum rechts: Franz Semper

Germany v Czech Republic - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

War bei der Wintermärchen-WM 2007 neun Jahre alt und erlebt jetzt sein erstes Turnier mit der A-Nationalmannschaft. Steht nach seinem Debüt im Oktober mit fünf Länderspielen etwas überraschend im WM-Aufgebot, doch Bundestrainer Prokop kennt ihn noch aus seiner Zeit als Vereinstrainer beim SC DHfK Leipzig, dort hat Semper in der aktuellen Saison einige Glanzmomente gehabt. Prokop schätzt die Unbekümmertheit des 21-Jährigen, der dem Gegner im direkten Duell auch mal entwischen kann. Im rechten Rückraum hat Semper mit Wiede und Weinhold namhafte Konkurrenz. Doch ganz ohne Erfahrung ist er auch nicht: 2015 gewann er mit der U21 WM-Bronze, ein Jahr später mit der U20 EM-Silber. ska

13 / 16

Rechtsaußen: Patrick Groetzki

Germany v Argentina - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Eine fiktive WM-Situation. Startphase im Duell mit Titelverteidiger Frankreich, ein Schreckmoment: Patrick Groetzki vertritt sich den Fuß, Helfer tragen ihn hinaus, Rückkehr ausgeschlossen. Was tun? Schwierig, denn Groetzki, 29, hat ein Alleinstellungsmerkmal im deutschen Team. Er ist der Einzige auf seiner Position, er ist der einzige Rechtsaußen. Normalerweise ist es im Handball wie fast überall im Teamsport: Jede Position sollte doppelt besetzt sein, mindestens. Doch Bundestrainer Prokop entschied sich für die riskante Solo-Personalie, als er den Kader von 18 auf 16 reduzierte. Gut, man kann rechts außen immer einen hinstellen, aber der steht halt dann da. Man müsste diesen Groetzki in Watte packen. Doch niemand packt einen Handballer in Watte. hoe

14 / 16

Kreis: Hendrik Pekeler

Germany v Argentina - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Die Zeiten, in denen der Kieler Abwehrchef feiern ging und die Abfahrt zum Champions-League-Spiel verschlief, sind längst vorbei. Das war 2009, "Peke" musste den THW damals verlassen, ist Jahre später und über den Umweg zweite Liga zurückgekehrt. Brauchte wohl diesen Warnschuss, denn Pekeler, 27 Jahre, 84 Länderspiele, ist merklich gereift, vierfacher Familienvater (zwei Kinder, zwei Hunde), auf dem Feld einer der unumstrittenen Antreiber und Wortführer. Kann in der Abwehr den Mittelblock mit Wiencek oder Lemke bilden, profitiert sehr von seinem Antizipationsverhalten. Für seine 2,03 Meter Körpergröße unverschämt schnell auf den Beinen. Würde erst mit WM-Titel in der Tasche wieder feiern gehen. ebc

15 / 16

Kreis: Patrick Wiencek

Germany v Czech Republic - International Handball Friendly

Quelle: Bongarts/Getty Images

Nebenberuflich sanfter Riese, Heimwerker, Familienmensch, im Hauptberuf eines der drei deutschen Abwehrmonster im Mittelblock. Mit 120 Länderspielen gehört Patrick Wiencek, 29, zu den erfahrensten Kräften, wird beim THW Kiel als kräftiger Zupacker in der Abwehr, famoser Blockspieler und furchtloser Kreisläufer geschätzt. Von den Kollegen immer noch liebevoll "Bam Bam" gerufen, wie der keulenschwingende Junge aus der Fernsehserie "Familie Feuerstein", obwohl er deutlich abgespeckt hat. Bringt Wiencek heute seine 109 Kilo in Bewegung, ist er immer noch schwer zu stoppen. Wie sagt Abwehrkollege Finn Lemke so schön: "Es ist unangenehm, gegen ihn zu spielen, und schön, mit ihm zu spielen." ebc

16 / 16

Kreis: Jannik Kohlbacher

Handball: Deutschland - Island

Quelle: dpa

Zugegeben, die Assoziation zu Steve McQueen ist weit hergeholt, aber sie ist halt da. Der US-Schauspieler drehte 1968 einen Krimi mit dem Titel "Thomas Crown ist nicht zu fassen" - und diesen Jannik Kohlbacher, 23, bekommt auch niemand in den Griff. Und das bei 1,93 Meter Körpergröße und circa 110 Kilo Gewicht. Packt einer zu, windet Kohlbacher sich raus, meist entschwindet er unten durch, taucht runter an den Hallenboden. Eine frühe turnerische Grundausbildung erlaubt ihm Drehungen auf dem Bierdeckel und blitzartige Absprünge; keine Frage, dass er als dritter Kreisläufer neben Pekeler und Wiencek mit zur WM musste. McQueen plante das perfekte Verbrechen, Kohlbacher will einfach nur entkommen. hoe

© SZ.de/ebc
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: