Handball-WM:Silvio, der Gelassene

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Gut drauf gegen Serbien: Deutschlands Torhüter Silvio Heinevetter. (Foto: Odd Andersen/AFP)
  • Die deutschen Handballer bezwingen Serbien, dabei bekommt endlich auch Torhüter Silvio Heinevetter seine Spielzeit.
  • Heinevetter verkörpert den Mix aus Fokussierung und Lockerheit, den sich Bundestrainer Prokop gewünscht hat.
  • Hier geht es zu den Begegnungen der Hauptrunde.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Flasche aufdrehen, Flasche reichen, an: Andreas Wolff. Handtuch geben, Handtuch entgegennehmen, von: Andreas Wolff. Von der Bank aufstehen, wieder hinsetzen. Plauschen, abklatschen, mit: Andreas Wolff. Silvio Heinevetter hat bei dieser Handball-WM sehr viel Zeit abseits des Spielfelds verbracht und zusehen müssen, wie Wolff vom Publikum gefeiert wurde. Doch als Heinevetter am Donnerstagabend beim letzten Vorrundenspiel gegen Serbien nach einer Parade den Ball übers ganze Spielfeld hinweg ins Netz gejagt hatte und nach der Schlusssirene von Mitspielern mit Jubelhüpfern bedacht wurde - da schrie die Halle dann auch seinen Namen.

Und es kam kurz dieser Satz wieder ins Gedächtnis, vom Anfang des Turniers, als Heinevetter über das Einlaufen in die Arena mit 13 500 Zuschauern gesagt hatte: "Da war schon ein bisschen Pipi in den Augen."

Für manche Spieler ist diese WM ja noch mehr Heim-WM als für andere: Seit 2009 schon spielt Heinevetter bei den Füchsen Berlin, er kennt die Stadt und ihre Vorzüge, was er am Vorabend noch bewiesen hatte. "Ich habe gestern ein gutes Lokal ausgesucht zum Essen", erzählte der 34-Jährige, extra etwas ausgeben für seinen ersten WM-Treffer zum 31:23-Endstand müsse er also nicht. Überhaupt stand anderes im Vordergrund: Dass er mit fast 55 Minuten mehr Spielzeit bekommen hatte als in den vorherigen vier Partien zusammen - und mit 14 Paraden nun auch angekommen ist in diesem Turnier. "Für manche war das heute das Eröffnungsspiel", sagte er noch und verschwand dann bald in die Kabine, was man später auch auf seinem Instagram-Kanal begutachten konnte. "War geil in Berlin, oder?", fragte er dort gut gelaunt Hendrik Pekeler. Antwort: "War richtig, richtig geil."

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Früher stand sich Heinevetter oft selbst im Weg

Für Bundestrainer Christian Prokop ist der Plan damit voll aufgegangen, dem bisher überragenden Andreas Wolff eine Pause zu gönnen und seinem zweiten Mann ein gutes Gefühl für höhere Aufgaben zu verschaffen. Auch in den Partien zuvor waren Heinevetter schon gute Aktionen gelungen, aber es blieb halt bei Kurzeinsätzen. "Wir werden beide brauchen", sagte Prokop mit Blick auf die ab Samstag anstehende Hauptrunde. Und lobte Heinevetter nicht nur für abgewehrte Würfe: "Er ist ein richtiger Teamplayer, der höchstes Ansehen innerhalb der Mannschaft genießt."

Wobei die Kollegen dann auch damit leben müssen, dass Lieder von Roland Kaiser in der Umkleide laufen, "ein ausdrücklicher Wunsch" von Heinevetter, wie Kabinen-DJ Patrick Groetzki (hauptamtlich Rechtsaußen) zu Beginn des Turniers berichtete. Es sind kleine Sachen, an denen sich die Gelassenheit von Heinevetter bei dieser WM zeigt: Es stünde "fifty-fifty", ob die Mannschaft den nächsten Gruppengegner beobachte oder Dschungelcamp gucke, hatte er nach dem Korea-Spiel gesagt. Und womöglich verkörpert er derzeit am offensichtlichsten, was sich Christian Prokop für diese WM gewünscht hatte: einen Mix zwischen Fokussierung und Lockerheit.

Mit seinem Ehrgeiz und seiner Verbissenheit stand sich Heinevetter früher oft selber im Weg. Beim EM-Gold 2016 gehörte er wegen Formschwäche gar nicht zum Team, damals wurde Konkurrent Andreas Wolff zum großen Gewinner. Woran sich der Berliner dann erst mal gewöhnen musste, heute ist ihre Beziehung so gut wie noch nie. "Da hat etwas stattgefunden zwischen den beiden. Das war ja nicht immer so, das war auch eine unserer Baustellen", sagte Bob Hanning nun, der neben seinem Amt als Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB) auch Geschäftsführer der Füchse Berlin ist und Heinevetter sehr lange kennt.

Man kann Hanning also glauben, wenn er sagt: "Silvio hat eine sehr positive Entwicklung genommen." Er hätte seine Rolle als Nummer zwei im Team akzeptiert, "das gibt Andi unheimlich viel Sicherheit. Deswegen hat er auch kein Problem, mal für zehn Minuten rauszugehen und Silvio spielen zu lassen."

33 Prozent der Bälle, die bisher auf sein Tor gekommen sind, hat Heinevetter abwehren können, Wolff kommt auf 39 Prozent. "Im Endeffekt ist wichtig, dass mindestens einer von beiden gut drauf ist", sagte Heinevetter. "Er ist ein hervorragender Torhüter", sagt Wolff über ihn. Was dann auch dazu passt, was sich Prokop für diesen Abschied aus Berlin vorgenommen hatte. Nicht nur das Aufbauen von Kraftreserven für bisher stark beanspruchte Spieler sei das Ziel gewesen, "sondern dass jeder einfach spürt, Teil dieser geilen Mannschaft zu sein". So kamen auch Linksaußen Matthias Musche und Franz Semper im rechten Rückraum zu mehr Einsatzminuten, sie hatten zuvor noch weniger gespielt als Heinevetter.

"Wir sind sehr zufrieden und verabschieden uns mit einem guten Gefühl", sagte Prokop nach der WM-Woche in Berlin, am Freitagmittag steigt die Mannschaft in den Flieger in Richtung Köln, wo am Samstag mit Island der erste Gegner im Kampf ums Halbfinale wartet. Torhüter, Abwehr, Kapitän Uwe Gensheimer und das Spiel mit den Kreisläufern - das alles funktionierte aus Sicht der Verantwortlichen bisher schon sehr gut. "Gerade beim Thema Gegenstoß haben wir noch Potenzial", benannte Hanning aber auch Schwachstellen, im Angriff müsse man "den ein oder anderen Weg noch gezielter aufs Tor finden. Von daher: Wir haben noch Luft nach oben und das ist auch gut so." Spätestens gegen Kroatien und Spanien treffen die Deutschen in der kommenden Woche wieder auf die Weltspitze.

"Wir haben richtig Bock, auf jeden Fall"

Doch die paar Momente, die ihnen in Berlin noch blieben, nutzten die deutschen Handballer, um ein letztes Mal die Stimmung in sich aufzunehmen. Ehrenrunde durch die Halle drehen, in allen Ecken den Zuschauern noch mal applaudieren. Wie sehr sie die Tage in der Hauptstadt genossen hatten, konnte man den Spielern ansehen, nicht nur den Berlinern. Wenn sie die Atmosphäre in der Halle beschreiben sollten, fielen oft die gleichen Worte: überragend, Gänsehaut, unglaublich. Vielleicht auch, weil sie eigentlich keine Worte dafür hatten.

"Man kann sich Sachen vorher vorstellen. Aber das war noch mal ein, zwei, drei Stufen höher als das, was man sich überhaupt vorstellen konnte", sagte Groetzki am Donnerstagabend. In die Kölner Arena passen noch mal 6000 Zuschauer mehr, der Lärmpegel ist nach oben offen. "Wir haben richtig Bock, auf jeden Fall", sagte Groetzki, "wir haben das jetzt hier erlebt, wie es abgegangen ist und wollen das immer weiter haben." So klingt jemand, der noch Großes vorhat.

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