Handball-WM:Und jetzt gegen die Unbesiegbaren

Handball-WM 2023: Johannes Golla im Spiel gegen Norwegen

Im Anflug auf die Weltspitze? Kapitän Johannes Golla und seine Kollegen wollen das gegen Frankreich beweisen.

(Foto: Tilo Wiedensohler/Camera4+/Imago)

Die deutschen Handballer treffen im Viertelfinale auf Olympiasieger und Rekordweltmeister Frankreich. Doch auch gegen die wohl weltbeste Mannschaft ist das DHB-Team nicht völlig chancenlos.

Von Ralf Tögel, Kattowitz

Um acht Uhr am Dienstagmorgen saßen die deutschen Handballer bereits im Bus nach Krakau, von dort hob der Flieger kurz darauf nach Danzig ab. Dort wird die Auswahl des Deutschen Handballbunds (DHB) am Mittwoch (20.30 Uhr, ZDF) ihr Viertelfinale gegen die Franzosen bestreiten, die mit Abstand schwerste Prüfung bei dieser WM.

Neben der 26:28-Niederlage gegen die Norweger, nach fünf Siegen in fünf Spielen im bisherigen Turnierverlauf, hatten sie auch Neuigkeiten im Gepäck. Für den erkrankten Paul Drux, der auf dem Weg der Besserung ist und ebenfalls im Flugzeug nach Danzig saß, hat Bundestrainer Alfred Gislason den Erlanger Kreisläufer Tim Zechel nachnominiert. Der abwehrstarke Spieler wird ebenfalls am Dienstag in Danzig erwartet und das junge deutsche Team verstärken.

Die Niederlage gegen die Skandinavier war indes kein großer Schaden, das Viertelfinale war bereits erreicht. Gleichwohl bescherte sie dem deutschen Team den vermeintlich härtesten Brocken in der K.-o.-Runde, den Olympiasieger aus Frankreich. Die Franzosen hatten sich in ihrem letzten Spiel der Hauptrunde den ersten Platz in ihrer Gruppe mit einem 28:26-Erfolg gegen Spanien gesichert. Die Spanier, seit Jahren im engen Kreis der Titelanwärter bei großen Turnieren, wären wahrlich auch kein leichter Gegner gewesen. Aber den Franzosen wollte die deutsche Auswahl doch lieber aus dem Weg gehen. Jedenfalls musste man diesen Eindruck gewinnen, wenn man sich mit dem Trainer oder den Spielern unterhielt.

"Alle Positionen sind doppelt besetzt, sie sind auch in der Breite Weltklasse", sagt Gislason über die Franzosen

"Frankreich ist meiner Meinung nach die beste Mannschaft der Welt mit den besten Einzelspielern", hatte Christoph Steinert zu Protokoll gegeben. Torhüter Andreas Wolff war zunächst einer von wenigen, die sich für die Franzosen als Gegner erwärmen konnten. Vor der Norwegen-Partie, als noch nicht klar war, gegen wen es geht, hatte er die Spanier als "unser Kryptonit" bezeichnet - jenes giftgrüne Gestein, das dem unbesiegbaren Comic-Helden Superman die Kräfte raubt. Nach der Niederlage fing der Torhüter diese Aussage wieder ein und meinte: "Die Franzosen sind mehr oder weniger unbesiegbar. Jetzt muss uns der Trainer ein paar Dinge an die Hand geben, dass wir das Gegenteil beweisen können."

Alfred Gislason wird sich alle Mühe geben. Er habe bereits am Tag vor der Partie gegen Norwegen mit dem Videostudium des potenziellen Gegners begonnen, sagte der Isländer: "Ich habe mich mit beiden möglichen Gegnern beschäftigt." Diese Aufgabe gestalte sich allerdings besonders schwierig: "Ich weiß natürlich, dass Frankreich einer der ganz großen Favoriten auf den Titel ist. Alle Positionen sind doppelt besetzt, sie sind auch in der Breite Weltklasse." Eine Leistung wie am Montagabend werde nicht reichen, glaubt der Bundestrainer: "Wir müssen schneller in der Abwehr und im Angriff spielen, da muss vieles besser klappen, wenn wir eine Chance haben wollen."

Handball-WM: Eine Mischung aus international erfahrenen Topspielern und aufstrebenden Akteuren: Frankreich mit Spielern wie Nikola Karabatic stellt die mit Abstand schwerste Prüfung bei dieser WM dar.

Eine Mischung aus international erfahrenen Topspielern und aufstrebenden Akteuren: Frankreich mit Spielern wie Nikola Karabatic stellt die mit Abstand schwerste Prüfung bei dieser WM dar.

(Foto: Piotr Hawalej/AP)

Der 63-Jährige ist ein Trainer, der so ziemlich alles erlebt hat im Handball, der gerne mit seinen öffentlichen Statements subtile Nachrichten an sein Personal oder den Gegner sendet. Den Franzosen allerdings muss er die Favoritenrolle nicht erst zuschustern: drei Mal Olympiasieger, Rekordweltmeister mit sechs Titeln, dreimaliger Europameister. Die Franzosen haben es darüber hinaus stets verstanden, altersbedingt ausscheidende Leistungsträger übergangslos und adäquat zu ersetzen. Weshalb sie seit Jahren zur Weltspitze zählen, was selbstredend auch für den aktuellen Kader gilt.

Der ist eine Mischung aus international erfahrenen Topspielern wie Dika Mem, Ludovic Fabregas oder Melvyn Richardson, allesamt beim Champions-League-Sieger Barcelona unter Vertrag. Und aufstrebenden Akteuren wie Thibaud Briet, einem 2,05-Meter-Hünen mit enormer Wurfkraft aus dem Rückraum. Oder Dylan Nahi, sprunggewaltiger Linksaußen. Dazu kommt in Vincent Gérard und Rémi Desbonnet ein erstklassiges Torhüter-Duo. Angeführt wird das Team von Nikola Karabatic und Kentin Mahé, zwei besonders ausgebufften Routiniers. Karabatic ist mit seinen 38 Jahren zwar schon etwas über seinem Zenit, treibt das Spiel der Franzosen aber nach wie vor an und bestimmt das Tempo, gerade in kniffligen Situationen ist sein Erfahrungsschatz unersetzbar. Mahé gibt dem Positionsspiel im Angriff Struktur.

Deutschlands Spielmacher Juri Knorr ahnt, was da auf ihn und die Kollegen zukommt, er spricht fast ehrfürchtig über den großen, alten Mann des Welthandballs: "Karabatic ist für mich der beste Spieler aller Zeiten, mit Abstand."

"Vielleicht unterschätzen uns die Franzosen ja ein bisschen", hofft Jannik Kohlbacher

Völlig aussichtslos geht die deutsche Mannschaft keineswegs in diesen Vergleich, das hat sie im Turnierverlauf bewiesen, besonders gegen die Norweger - trotz der Niederlage. "Wenn wir eine stabile Abwehr hinbekommen mit Andi Wolff als Rückhalt und unsere Chancen besser nutzen, dann können wir jeden Gegner schlagen", befand Kapitän Johannes Golla. Natürlich müssen die Deutschen einen starken Tag erwischen, "und vielleicht unterschätzen sie uns ja ein bisschen", hofft Jannik Kohlbacher. Aber eine Überraschung ist bei den bislang gezeigten Leistungen durchaus denkbar.

Torhüter Wolff hat zurück zur Weltklasse gefunden, Golla liefert verlässlich auf Top-Niveau, und Spielmacher Knorr ist auf bestem Weg in diesen elitären Kreis. Was auch den Gegnern nicht entgangen ist, wie Norwegens Petter Overby nach dem Spiel verriet: "Wir wollten es Juri schwer machen, das ist in der zweiten Halbzeit ganz gut gelungen." Junge Spieler wie Lukas Mertens und Julian Köster spielen ein starkes Turnier und stehen für die Zukunft, Routiniers wie Patrick Groetzki, Kohlbacher und Kai Häfner sind Teamstützen. Die Mannschaft hat zudem bewiesen, dass sie auch in der Breite absolut WM-tauglich ist: Akteure wie Rune Dahmke, Djibril M'Bengue oder Luca Witzke fügen sich ruckelfrei ein. Darüber hinaus schwärmt ausnahmslos jeder von einem besonderen Spirit und Zusammenhalt im Team.

Es ist nicht viel, was dieser jungen Mannschaft zum Eintritt in den Kreis der Weltbesten fehlt. Vielleicht ist es ja nur ein Sieg gegen einen der ganz Großen, in einem wichtigen Wettbewerb. Dafür gäbe es am Mittwochabend eine blendende Gelegenheit.

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