Deutschland bei der Handball-WM:Wütende Tritte gegen den Pfosten

Deutschland bei der Handball-WM: Vorne im Bild wirkt Patrick Wiencek enttäuscht, hinten tritt Uwe Gensheimer vor Wut gegen den Pfosten.

Vorne im Bild wirkt Patrick Wiencek enttäuscht, hinten tritt Uwe Gensheimer vor Wut gegen den Pfosten.

(Foto: TOBIAS SCHWARZ/AFP)
  • Die deutschen Handballer spielen 25:25 gegen Weltmeister Frankreich, der Ärger über den verpassten Sieg verfliegt aber schnell.
  • Prokop ist stolz auf seine Mannschaft, die nun vorzeitig in die Hauptrunde eingezogen ist.
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Von Saskia Aleythe, Berlin

Christian Prokop, dem Bundestrainer der deutschen Handballer fehlten die Worte, ein paar Sekunden lang. Er sollte beschreiben, was seine Mannschaft geleistet hatte beim 25:25 im vierten Vorrundenspiel gegen die Franzosen. Prokop schwieg, lächelte und überlegte. "Ich finde, wir haben es heute geschafft, die Einheit zu sein", sagte er dann. Und man merkte, dass dieser Abend ein prägender gewesen sein könnte für diese Weltmeisterschaft im eigenen Land.

Kurz nach dem Abpfiff dominierte noch der Ärger im deutschen Team, Torwart Andreas Wolff gab Wutschreie in sein Trikot ab, Linksaußen Uwe Gensheimer trat mehrfach gegen den Torpfosten - und sagte später, er habe Glück gehabt, dass er sich den Fuß dabei nicht gebrochen habe. Drei Sekunden vor Schluss hatten die Deutschen mit 25:24 gegen die Franzosen geführt, es hätte den ersten Sieg gegen den amtierenden Weltmeister seit 2013 geben können - und dann krachte doch noch der Ball von Timothey N'Guessan ins Netz. Ausgleich in letzter Sekunde, wie schon am Abend zuvor gegen die Russen. War das jetzt wieder eine gefühlte Niederlage? Oder doch ein Erfolg, weil es gegen den amtierenden Weltmeister ging?

"Das ist ärgerlich, dass wir zum zweiten Mal hintereinander in den letzten Sekunden so ein Ding fangen", sagte Wolff, da tobte er aber nicht mehr, es waren schon ein paar Minuten nach dem Abpfiff vergangen. Und zur Einordnung, gegen wen sie da gerade gepunktet hatten, meinte Kreisläufer Patrick Wiencek ganz richtig: "Nach dem gestrigen Spiel hätte nicht jeder gedacht, dass wir überhaupt eine Chance haben gegen Frankreich."

"Das war eine große Leistung", sagt Prokop

Es gibt eine Formulierung, die Trainer Prokop gerne benutzt, wenn nach Zielen bei dieser WM gefragt wird: Treppenstufe für Treppenstufe gehen, sagt er dann. Floskelartig klingt das, aber es ist schon ein passendes Bild: Beschreibt es doch, wo diese Mannschaft eigentlich herkommt, die mit ihrem neuen Trainer vor einem Jahr bei der EM in Kroatien so verunsichert auftrat, dass am Ende nur ein neunter Platz herauskam. Eine Treppenstufe recht weit unten für ein Team, das 2016 noch Europameister geworden war. Und nun?

Als Prokop wieder ins Reden gekommen war, sagte er: "Jetzt können wir auf was anstoßen, das war eine große Leistung." Nach dem vierten WM-Spiel können sich die Deutschen tatsächlich noch als "ungeschlagen" bezeichnen, sie sind sicher in die Hauptrunde gezogen und nehmen sogar eine gute Punkteausbeute mit. Viel wichtiger noch: Wie sich die Mannschaft präsentierte. "Positiv war, mit welcher mannschaftlichen Geschlossenheit wir aufgetreten sind. Die Körpersprache, der Wille, die Leidenschaft", zählte Mittelmann Martin Strobel auf, "das war schon ganz groß." Lieber gemeinschaftlich die nächste Treppenstufe besteigen als wackelig hinaufstolpern.

Wie schon im zweiten Gruppenspiel gegen Brasilien startete Torhüter Wolff mit zwei Paraden in die Partie, was die 13 500 Zuschauer energisch bejubelten, so ein Heim-Vorteil kann gegen eine französische Mannschaft dann auch schon mal Kräfte freisetzen, die sonst im Verborgenen bleiben. Angesprochen auf diesen Umstand leuchtete das Gesicht von Wolff dann auch gleich wieder auf, ob man für solche Spiele wie gegen Frankreich als Sportler lebe, wurde er im Anschluss gefragt. "Absolut, ja, keine Frage", antwortete Wolff, "heute waren die Zuschauer der achte, neunte, vierzehnte Mann."

Wiede wird zum Spieler der Partie gewählt

Was dann auch die Abwehrarbeit der Deutschen beflügelte, sie verteidigten aggressiv und konzentriert, ließen gegen Frankreich in den ersten 30 Minuten gerade mal zehn Tore zu. Bob Hanning, der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes, fühlte sich damit sogleich an den Handball der achtziger Jahre erinnert, "wir hatten eine überragende Abwehrarbeit", und er verteilte noch ein gewichtigeres Lob: "Das war das beste Spiel, das ich von der Mannschaft in den letzten zwei Jahren gesehen habe." Bei der WM 2017 waren die Deutschen im Achtelfinale an Katar gescheitert, im Sommer 2017 hatte Prokop den Job als Bundestrainer übernommen.

Neue positive Erkenntnisse lieferte der Angriff: In Fabian Wiede und Martin Strobel formierte sich ein Rückraum, der auch die kommenden Gegner ärgern könnte. Wiede wurde zum Spieler der Partie gewählt, nicht nur wegen seiner vier Treffer - auch seine Anspiele führten zu zusätzlicher Torgefahr. "Fabi ist jemand, der das klassische Spiel mit Intuition toppt", hatte Prokop schon vor ein paar Tagen über den 24-Jährigen gesagt, was sich dann auch gegen Frankreich zeigte: Mal schloss Wiede selbst mit Tempo in der zweiten Welle ab, mal bediente er die Kreisläufer oder Rechtsaußen Patrick Groetzki mit einem Rückhandpass.

Das eine oder andere misslungene Anspiel verzeihen sie ihm beim DHB gerne. "Fabian darf mehr Fehler machen als andere, weil er auch mehr direkte Pässe zum Tor gibt als jeder andere", sagte Hanning. Bei der EM im vergangenen Jahr hatte Prokop Wiede gar nicht in den Kader berufen, obwohl er 2016 unter Dagur Sigurðsson Europameister geworden war und bei Olympia in Rio Bronze gewonnen hatte. Zusammen mit Strobel.

Auch für Martin Strobel ist diese WM ja ein Comeback, noch ein viel größeres als bei Wiede: Weil er mit 32 Jahren nicht mehr zur Kategorie der Talente gehört und sein Geld sonst in der zweiten Bundesliga verdient, bei Balingen-Weilstetten. Als ihn der Trainer in der Vorbereitung für die Lehrgänge eingeladen hat, habe ihn das schon überrascht, erzählte Strobel neulich, "ich hab mir das nach dem ersten Anruf schon auch noch mal überlegt". Schließlich ist er mittlerweile Familienvater, führte schon ein Leben abseits der Nationalmannschaft. "Ich habe die Spiele verfolgt in den letzten Jahren und war dann eher als Fan dabei", sagte Strobel, "und habe dann auch mitgelitten, wenn es mal nicht so lief." Am Dienstagabend lief es für ihn wunderbar, auch er erzielte vier Tore. "Er war ganz wichtig für uns neben Fabian Wiede", sagte Prokop, der Strobel für so einiges lobte: Zusammenarbeit mit den Kreisläufern, Räume schaffen, clevere Entscheidungen treffen.

Prokop wirkte von seiner Mannschaft wie berauscht, auch wenn durch die Führung Sekunden vor Schluss sogar ein Sieg möglich gewesen wäre. Dass Fabian Böhm wie schon Paul Drux am Vortag ein kapitaler Fehlpass in einer heiklen Phase unterlaufen war, konnte er gut verzeihen. "Irgendwann werden wir uns belohnen", sagte der 40-Jährige. Treppenstufe für Treppenstufe eben.

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