Handball-WM:Schnarcher, DJs, Cheerleader

Mehr als zwei Wochen lang bot die deutsche Handball-Mannschaft ein aufreibendes Unterhaltungsprogramm. Wer hat überragt, wer nicht? Das Team in der WM-Einzelkritik - mit Voting.

Von Saskia Aleythe, Joachim Mölter und Carsten Scheele

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Andreas Wolff

Germany v Norway: Semifinal - 26th IHF Men's World Championship

Quelle: Martin Rose/Getty Images

Jubelte im Vorrundenspiel gegen Brasilien so emotional, als hätte er den WM-Titel gewonnen - dabei stand es 0:0, ihm waren zum Spielstart zwei schöne Paraden geglückt. "Die Halle ist explodiert, er ist explodiert. Diese Bühne macht er zu seiner Bühne", sagte Co-Trainer Alexander Haase. Gegen Island hatte Andreas Wolff seine stärkste Partie mit einer Quote von 40 Prozent, rückte aufgrund der Defensivstärke seiner Vorderleute aber manchmal in den Hintergrund. Es sei "teilweise sehr langweilig, weil ich nicht mitspielen darf", scherzte der 27-Jährige. Im Halbfinale lachte er nicht mehr: Wurde trotz vier Paraden nach 20 Minuten ausgewechselt, presste das Gesicht vor Wut ins Handtuch. Wurde zum traurigen Wolff. Saskia Aleythe

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Silvio Heinevetter

-

Quelle: Odd Andersen/AFP

Der Älteste im Team, mit 34 Jahren, war von dieser WM im eigenen Land ganz besonders berührt. Ständig glitzerte es in den Augen von Silvio Heinevetter, beim Einlauf in die Halle, wenn das Publikum frenetisch jubelte oder die Nationalhymne sang. "Pipi in den Augen", nannte es Heinevetter. In Berlin als Gruppenleiter der Nationalmannschaft unterwegs, waren die Mitspieler doch quasi bei ihm zu Hause zu Gast. Suchte abends die Restaurants aus. "War geil in Berlin, ne?", fragte er die Kollegen vor dem Umzug nach Köln. Ist ruhiger und souveräner als früher, davon profitierte die Mannschaft. Klagte den Nummer-eins-Status von Andreas Wolff nie an, sondern packte zu, wenn er eingewechselt wurde. Carsten Scheele

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Patrick Groetzki

Deutschland - Norwegen

Quelle: Soeren Stache/dpa

Verbrachte von allen deutschen Spielern die meiste Zeit auf dem Parkett, 420 Minuten in neun Partien bis zum Spiel um Platz drei, rund anderthalb Stunden mehr als Abwehrchef Hendrik Pekeler. Das lag daran, dass Bundestrainer Prokop nur einen Rechtsaußen mitgenommen hatte und diesen dann kaum schonen konnte. Patrick Groetzki vergab die eine oder andere Chance von außen, gab aber auch den einen oder anderen Pass, der zum Tor führte, spielte insgesamt ein solides Turnier. Wichtigster Beitrag: Erfüllte als DJ die musikalischen Wünsche, mit denen sich die Mannschaft auf die Partien einstimmte. Neben der üblichen Mucke erklang dabei auch Roland Kaiser, "auf expliziten Wunsch von Silvio Heinevetter", wie Groetzki umgehend klarstellte. Joachim Mölter

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Finn Lemke

Handball WM 2019 Spiel um Platz 3 Deutschland - Frankreich

Quelle: Christina Pahnke / sampics

Verkörperte wie kein anderer das Image der "Bad Boys", das die Mannschaft 2016 pflegte, als sie den EM-Titel und Olympia-Bronze gewann; war damals der Schrecken der gegnerischen Angreifer, die wegen seiner Größe (2,10 Meter) und seiner Spannweite schwer an ihm vorbeikamen. Finn Lemke wird jetzt weniger gebraucht, weil die Mannschaft unter Prokop eine neue Identität sucht; hilft nur noch sporadisch in der Abwehr aus. Ist trotzdem wichtig, wie alle versichern, vor allem als Motivator in der Kabine und als Cheerleader an der Seitenlinie. Springt nach gelungenen Aktionen immer als Erster von der Bank auf, wedelt mit Armen und Handtüchern. Ist zwar erst 26, dürfte aber in Prokops System keine sehr große sportliche Zukunft mehr haben. Joachim Mölter

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Paul Drux

Deutschland - Frankreich

Quelle: Martin Meissner/dpa

Vor Millionen Fernsehzuschauern kritisierte sich Paul Drux erstmal selber. Es war die Live-Schalte nach dem Remis gegen Russland, in den letzten Minuten hatten die Deutschen den Sieg verspielt - auch weil Drux, 23, ein kapitales Anspiel in die Arme des Gegners unterlief. "Dann mache ich so einen dummen Fehlpass", sagte er danach, mit Kratzspuren am Hals. Doch an seinem Selbstvertrauen rüttelte das nicht, Drux spielte weiter und Drux spielte gut: Auf mutigen Wegen durch die kleinsten Abwehrlücken erzielte er wichtige Tore, holte Siebenmeter heraus und die ein oder andere Zeitstrafe für den Gegner. Auf ihn war meist Verlass, zeigte gegen Frankreich und Island seine besten Spiele. Saskia Aleythe

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Patrick Wiencek

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Quelle: Soeren Stache/dpa

Immer wieder Patrick Wiencek. Der Erfolg der Deutschen trägt an allen Stellen seinen Namen, ohne den Abwehr-Experten wäre die WM-Reise viel eher vorbei gewesen. Wiencek, 29, blockte so viele Bälle wie kein anderer, pendelte konzentriert in alle Richtungen aus und wurde zum Schrecken der Rückraumschützen. "Das sind zwei völlig verschiedene Menschen", sagte DHB-Vize Bob Hanning über den Wiencek auf dem Spielfeld und den Wiencek im Privaten: Der Mann vom THW Kiel gilt als ruhiger Zeitgenosse, mutierte bei der WM aber zum Einpeitscher des Publikums. Erst die Norweger konnten ihn im Halbfinale überwinden, weil sie flink vorbeizischten. War trotzdem das Herz der Mannschaft, nicht nur der Abwehr. Saskia Aleythe

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Kai Häfner

Deutschland - Spanien

Quelle: Marius Becker/dpa

Einer der Helden des EM-Gewinns 2016, als er im Halbfinale gegen Norwegen in der Verlängerung sieben Sekunden vor Schluss den Siegtreffer erzwang. Kai Häfner fand diesmal zunächst keinen Platz im 16er-Kader. "Brutal hart" sei das gewesen, sagte Häfner, 29; umso größer die Freude, als der Hannoveraner zur Hauptrunde nachnominiert wurde, um den rechten Rückraum zu stärken, weil Weinhold verletzt war und Wiede auf der Mittelposition aushelfen musste. Hatte gute Phasen, unter anderem gegen Kroatien, stark im Eins-gegen-eins, Häfner konnte immer überraschen, wenn er beidbeinig im Rückraum absprang und den Ball aufs Tor wuchtete. Aber auch mit manchem Fehlpass und Fehlwurf. Diesmal kein Matchwinner. Carsten Scheele

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Hendrik Pekeler

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Quelle: Martin Meissner/AP

Litt am meisten unter der strengeren Linie der Schiedsrichter bei dieser WM. Hendrik Pekeler kassierte so viele Zeitstrafen wie kein anderer Deutscher; achtmal musste er für zwei Minuten auf die Bank. Im Halbfinale gegen Norwegen führte das zur roten Karte - ohne ihren Abwehrchef bekamen die Kollegen keinen Zugriff mehr auf die flinken Norweger, da ging erst die Ordnung verloren und dann das Spiel. Der Kreisläufer aus Kiel ist ja derjenige, der Kommandos gibt, der ansagt, wie jetzt verteidigt wird, in einer 6-0-Formation (ganz defensiv) oder in einer 3-2-1 (ganz offensiv); der Bundestrainer lässt ihm da freie Hand. Zeugt vom Vertrauen. Der 27-Jährige gilt auch innerhalb der Mannschaft als einer der Wortführer. Joachim Mölter

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Steffen Weinhold

15 01 2019 Handball IHF Weltmeisterschaft Dänemark und Deutschland 2019 Vorrunde Gruppe A Deuts

Quelle: Cathrin Müller/imago

Sollte eine Hauptfigur werden, doch diese WM zog irgendwie an Steffen Weinhold vorbei. Zog sich in der Vorrunde gegen Frankreich eine Zerrung zu, Bundestrainer Prokop verzichtete trotzdem darauf, ihn gegen einen fitten Rückraumspieler einzutauschen. Leistete sich den Luxus, Weinhold, 29, malad durch das Turnier zu schleppen - um ihn dann zum Zeitpunkt, als der Spieler endlich wieder fit war, auf der Bank zu belassen. Weinhold zog seine Trainingsjacke im Halbfinale gegen Norwegen nur kurz aus, er habe "keine Veranlassung" gesehen, Weinhold zu bringen, sagte Prokop. Wiede hatte ihn auf der Position im rechten Rückraum längst überholt. Weinholds Hauptaufgabe bestand schließlich darin, die jüngeren Mitspieler zu trösten. Carsten Scheele

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Jannik Kohlbacher

Deutschland - Norwegen

Quelle: Axel Heimken/dpa

Teilte sich das Zimmer mit Torwart Wolff und schnarchte nach dessen Aussage mitunter so laut, als würde er "ganz Brasilien abholzen" wollen. Doch Jannik Kohlbacher tankte dabei offenbar die nötige Energie für eine gute WM. Der 23-Jährige musste sich schließlich gegen seine zwei Konkurrenten am Kreis durchsetzen und war offensiv eine verlässliche Waffe. Wo Pekeler sich in den gegnerischen Armen festlief, drehte sich Kohlbacher einmal zackig und schon war der Weg zum Tor frei. Zeigte auch in der Defensive, dass man ihn nicht mehr - wie früher - in der Abwehr auswechseln muss. Wurde im letzten Vorrunden-Spiel gegen Serbien zum "Spieler des Spiels" gewählt, das Schnarchen verzieh ihm Wolff schnell. Saskia Aleythe

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Matthias Musche

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Quelle: Martin Meissner/AP

Genoss wie kein Zweiter, wenn die deutsche Hymne gespielt wurde: Arm in Arm mit den Kollegen schloss Matthias Musche die Augen, streckte die Brust raus und schaffte er es sogar, beim Singen ein Grinsen im Gesicht zu tragen. Wollte sich bei seiner ersten WM auf das Schöne konzentrieren: Mit Uwe Gensheimer vor der Nase waren die Spielanteile für Musche, 26, rar. Also gab der Linksaußen den Antreiber von der Bank, immer gut gelaunt. Scheiterte bei seinen wenigen Einsätzen mit Würfen aus der Ecke ein bisschen zu oft, war aber eine echte Alternative bei Siebenmetern: Verwandelte sicher, auch im Halbfinale gegen Norwegen. Gab Fabian Wiede nach dem geplatzten Traum einen aufmunternden Kuss auf die Stirn. Saskia Aleythe

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Martin Strobel

Handball-WM 2019/ Hauptrunde/ Kroatien - Deutschland 21-22

Quelle: Anke Waelischmiller/SvenSimon

Leitete das deutsche Team sicher durch die Vorrunde, obwohl er ja nur in der zweiten Liga aktiv ist. Martin Strobel warf sogar Tore, was sonst gar nicht so sein Ding ist. Strobel dirigierte, bis zu diesem Moment in der Hauptrunde gegen Kroatien: eine falsche Drehung mit dem Knie, Schreie auf dem Hallenboden, geschockte Mitspieler, Sanitäter mit der Trage, Krankenhaus. Kreuzbandriss. Acht Monate Pause. Verfolgte noch im Rettungswagen am Handy den Livestream der Kollegen, die ohne Strobel das Halbfinale klar machten. Sorgte am Abend für einen der emotionalsten WM-Momente, als Strobel nachts an Krücken im Hotel auftauchte und eine Ansprache hielt. Brachte dabei selbst die härtesten Männer zum Schluchzen. Carsten Scheele

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Tim Suton

Deutschland - Norwegen

Quelle: Soeren Stache/dpa

Wurde für den verletzten Strobel nachnominiert, ist aber ein ganz anderer Spielertyp: nicht so sehr der Regisseur, eher der Zweikämpfer. Führte sich beim 31:30 gegen Spanien gleich gut ein mit vier Toren, war aber gegen Norwegen im Halbfinale überfordert, als Lenker in der Mitte ebenso wie als Wühler auf halblinks. Tim Suton konnte die Tradition der siegbringenden deutschen Joker also nicht fortsetzen, ist aber auch noch jung, erst 22. Bereits früh als großes Talent gepriesen, als 17-Jähriger schon ausgezeichnet als bester Spielmacher der U19-WM. Hielt es bei all dem Ruhm nicht immer zwingend für nötig, auch viel zu trainieren. Hat diese Einstellung wohl geändert. Und damit das Potenzial, sich in der Auswahl zu etablieren. Joachim Mölter

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Fabian Böhm

Deutschland - Frankreich

Quelle: dpa

Der "Krieger", wie Prokop sagt. Eine Entdeckung dieser WM. Mit dem Bundestrainer aus Essener Zeiten gut bekannt - weshalb Prokop ihn dabei haben wollte, zeigte sich immer dann, wenn das Stammpersonal auf der linken Rückraumposition schwächelte. Fabian Böhm, 29, sprang ein und warf wichtige Tore, hatte seinen besten Auftritt dann im Halbfinale gegen Norwegen, als Fäth zauderte. Tankte sich immer wieder durch die Abwehr, immer energisch, manchmal hart an der Grenze zum Stürmerfoul. Hielt die Mannschaft mit sechs Toren im Spiel, als sich schon abzeichnete, dass Norwegen an diesem Tag zu stark sein würde. Anschließend traurig, aber nicht so sehr wie andere Kollegen. Diese WM war für ihn so oder so ein Gewinn. Carsten Scheele

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Franz Semper

Germany v Serbia: Group A - 26th IHF Men's World Championship

Quelle: Boris Streubel/Getty Images

Sagte nach der Vorrunde einen bemerkenswerten Satz: "Wenn wir so die WM gewinnen, muss ich auch gar nicht spielen". Franz Semper bezog sich dabei respektvoll auf die Leistungen der Kollegen, in vier Partien kam der Jüngste im Team gerade mal auf 48 Minuten Spielzeit. Drei Treffer gelangen dem 21-Jährigen, aber ihm unterliefen auch zwei Fehlpässe. Er war etwas überraschend anstelle von Kai Häfner in den Kader gerückt und rutschte aus selbigem nach der Vorrunde wieder raus - für Häfner. Immerhin: Semper konnte WM-Luft schnuppern. Und haderte auch kein bisschen mit seinem Schicksal. Er blieb beim Team und feuerte die Mannschaft weiterhin an, in Köln halt dann von den Rängen aus. Ist nun ein etwas erfahrenerer Frischling. Saskia Aleythe

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Uwe Gensheimer

Deutschland - Frankreich

Quelle: Axel Heimken/dpa

Als Kapitän das Gesicht der Mannschaft. Wieder einmal erfolgreichster Schütze mit 49 Toren. Leider auch wieder einmal erfolglos beim Bemühen, seine Karriere mit einem großen Titel zu krönen. Uwe Gensheimer gilt zwar als Weltbester auf seiner Position, hat als Linksaußen aber halt wenig Einfluss aufs Spielgeschehen. Gewohnt kaltblütig vom Siebenmeterstrich, keiner trat häufiger an (27 Mal), keiner traf häufiger ins Netz (22 Mal). Ungewohnt leidenschaftlich, wenn er versuchte, das Publikum zu mobilisieren: Ruderte dann immer heftig mit den Armen. Wenn er wirft, genügt ihm weiterhin ein Schlenker mit dem Handgelenk, um die Zuschauer zu verzücken. Joachim Mölter

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Steffen Fäth

Deutschland - Norwegen

Quelle: Soeren Stache/dpa

Fast schon peinlich berührt war Steffen Fäth, als er nach seinen sechs Toren gegen Island als "Man of the match" ausgezeichnet wurde; der öffentliche Auftritt ist nicht seine Lieblingsdisziplin. Der Knoten sei geplatzt, Fäth habe sich "freigeschwommen", sagte DHB-Vize Bob Hanning nach dem Spiel. War es doch so wichtig, dass die Mannschaft Fäth ins Laufen bekommt: Der Mannheimer verfügt über ein Alleinstellungsmerkmal im deutschen Rückraum. Kann die einfachen Tore werfen, hochsteigen und reinwuchten. Das klappte nur leider im Halbfinale gegen Norwegen überhaupt nicht. Vier Gelegenheiten, vier Fehlwürfe in der ersten Halbzeit. Auch deshalb verpasste Deutschland das Finale. Carsten Scheele

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Fabian Wiede

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Quelle: Patrik Stollarz/AFP

Je mehr auf dem Spiel stand, desto besser wurde er: Fabian Wiede übernahm nach dem Ausfall von Strobel die Verantwortung, warf und passte in den richtigen Momenten, trug das Team trotz Rückenproblemen ins Halbfinale. Stemmte sich dort auch kräftig gegen die Niederlage gegen Norwegen, war am Ende sehr geknickt, aber sicher nicht wegen seines Rückens. Unter den Top Five der WM-Vorlagengeber; spielte mit Tempo, passte mit Mut, warf mit Wucht. Gutes Auge, großes Spielverständnis, immer auch selbst torgefährlich. Alles Argumente dafür, den 24-Jährigen dauerhaft von halbrechts auf die Spielmacherposition zu befördern. Als kreativer Linkshänder in der Mitte ein Albtraum für alle Gegner. Joachim Mölter

© SZ vom 28.01.2019/jki/ebc
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