Handball-WM:Im Zweifel mit links

Germany v FYR Macedonia - EHF Euro Croatia 2018; Weinhold

Linkshänder: Steffen Weinhold.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Bundestrainer Christian Prokop setzt im deutschen Rückraum nun stärker auf Linkshänder - das hatte er vor zwölf Monaten noch ausgeschlossen.
  • Das soll dem deutschen Spiel bei der WM im eigenen Land mehr Variabilität bringen.
  • Schon in der Vorrunde trifft die Mannschaft auf Schwergewichte wie Frankreich und Serbien.

Von Carsten Scheele, Hamburg

Es verfestigt sich der Eindruck, dass sich mittlerweile der gesamte Tross der deutschen Handball-Nationalmannschaft auf diesen einen Moment freut. Auf das Eröffnungsspiel der Heim-WM am Donnerstag kommender Woche gegen das vereinte koreanische Team, wenn der klassische Mittelmann Martin Strobel seine Arbeit fürs erste verrichtet hat und ein Bruch ins Spiel kommt. Vielleicht nach zehn Minuten, vielleicht nach einer Viertelstunde, ein mutwillig herbeigeführter Bruch, denn das passiert im Handball, wenn plötzlich ein Linkshänder statt eines Rechtshänders auf der Position des Strippenziehers in der Rückraummitte eingesetzt wird. Dieser Strippenzieher wird Fabian Wiede sein, und neben ihm wird vermutlich Steffen Weinhold auf der Platte stehen, ein weiterer Linkshänder.

Ein von Linkshändern dominierter Rückraum, das ist ein Kulturwandel im deutschen Team. Und der schien vor zwölf Monaten quasi undenkbar zu sein.

Damals hatte Christian Prokop, der Bundestrainer, ziemlich rigoros erklärt, dass er in der Rückraummitte ausschließlich Spieler einsetzen werde, die mit rechts passen und werfen. Prokop kennt sich mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen aus, er selbst hatte während seiner Karriere verletzungsbedingt vom Rechts- zum Linkshänder umschulen müssen, um sein arg lädiertes linkes Knie zu entlasten. Prokops Vorgänger Dagur Sigurdsson hatte auf der Mittelposition hingegen eine andere Strategie verfolgt: Da durfte Wiede in der Zentrale groß aufspielen, obwohl sich die Mannschaft jedes Mal im Angriff umstellen musste, wenn er das Feld betrat. Auch dank ihm wurde das Team Europameister.

Letztlich missriet Prokop der Versuch, sich von seinem Vorgänger abzugrenzen. Ohne Wiede, der es nicht einmal in den Kader schaffte, wurde Deutschland vor einem Jahr in Kroatien als Titelverteidiger nur Neunter. Es dauerte nicht lange, bis Prokop sich gezwungen sah, seine Meinung öffentlich zu revidieren.

Gegnerische Abwehrreihen benötigen eine Weile, um sich auf Linkshänder einzustellen

Ein Linkshänder wie Wiede auf der Mitte sei "ein ganz wichtiges Thema", sagt Prokop heute, der beim Medientermin in Hamburg betont, dass er ja durchaus etwas gelernt habe aus dem Debakel bei der EM. Wenn das deutsche Team am Freitag im vorletzten Testspiel vor der WM auf Tschechien trifft (16.15 Uhr/ARD), wird Wiede seine Spielminuten auf der Zentralposition erhalten. Der Linkshänder werde "nicht immer die erste Option sein", sagt Prokop, aber eine besondere Variante. Als Mittelmänner hat Prokop in seinem Kader noch den sehr erfahrenen Strobel, 32, vom Zweitligisten HBW Balingen-Weilstetten, vorgesehen sowie den jungen Lemgoer Tim Suton, 22, wobei Suton befürchten muss, dass er am Sonntag bei der finalen Streichung zweier Spieler noch aus dem endgültigen WM-Kader fliegen könnte.

Wiede und Weinhold werden dagegen, sofern sich keiner mehr verletzt, sicher dabei sein. Und sie sprechen bereits über die neue Linkslastigkeit, als sei sie das normalste der Welt. "Ich habe gezeigt, dass ich beide Positionen spielen kann", sagt Wiede, der im Verein bei den Füchsen Berlin zwischen Mitte und Rückraum rechts hin und her wechselt. Er ist der jüngere von beiden, erst 24 Jahre alt, Weinhold ist erfahrener, hat mit seinen 32 Jahren schon so ziemlich jede Schlacht geschlagen, die es im Handball zu schlagen gibt. Er weiß am besten, dass gegnerische Abwehrreihen ein Weilchen benötigen, um sich auf einen Linkshänder als Mittelmann einzustellen. Weil dieser nicht nur mit dem anderen Arm wirft, sondern auch andere Bewegungsabläufe hat, andere Drehungen, die Mitspieler häufig spiegelverkehrt einsetzt.

Es sei nur daran erinnert, welche Konfusion noch vor wenigen Jahren ein Linkshänder wie Christian Zeitz auslöste, wenn er plötzlich auf die Mitte wechselte und den Mittelblock des Gegners vor völlig neue Aufgaben stellte. Auch Martin Schwalb, der spätere Trainer und Präsident des HSV Handball, spielte während seiner aktiven Karriere häufig als Linkshänder auf der Mitte. Er ist noch heute der vierterfolgreichste Torschütze der Bundesliga-Geschichte.

Für Weinhold ist das deutsche Linkshändertum ein Vorteil, den es bei der WM zu nutzen gilt, wenn es bereits in der Vorrunde in Berlin gegen Schwergewichte wie Frankreich, Serbien und Russland geht. "Da kommt Variabilität ins Spiel", sagt Weinhold und macht damit durchaus Werbung für seine Spezies. Er selbst hat auch häufig auf der Mitte ausgeholfen, sieht für die WM aber Wiede vorne. "Fabian kann die Rolle etwas mehr bekleiden", sagt Weinhold. Etwas mehr, das heißt: zwingender, überraschender. Neben seinem strategischen Geschick, das ihn für die Mittelposition qualifiziert, ist Wiede mit einer weiteren Gabe gesegnet: Wenn die Spiele richtig eng werden, ist es häufig er, der die entscheidenden Würfe nimmt - das ist bei den Füchsen Berlin so, aber auch bei der Nationalmannschaft. Ein solcher "Go-to-guy", wie es im US-Sport heißt, wird von den Mitspielern gesucht, weil nicht jeder seine besten Würfe auspacken kann, wenn nur noch wenige Sekunden zu spielen sind und dringend ein Tor her muss. Wiede übernimmt diese Rolle gerne. Er schnappt sich den Ball und fasst einen Plan, wie der Ball ins Tor gelangen soll. In einer solchen Situation zu zaudern, würde ihm nicht einfallen: "Ich bin einfach ein Typ, der keine Hemmungen hat und gerne Entscheidungen trifft."

Funktioniert alles wie gewünscht, hat Wiede die Chance, einer der Spieler dieser Weltmeisterschaft zu werden. Schon im Eröffnungsspiel wird sich zeigen, ob der deutsche Linkshänderplan aufgeht.

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